An der Ukraine vorbeigerauscht
Zum Geburtstag von Miguel Hernández im 80. Todesjahr: Visionär mit blinden Flecken
Orihuela – sw. „ Warum haltet ihr nicht gegen alle Schurkereien eine Sichel der Rebellion und einen Hammer des Protests bereit?“, rief Miguel Hernández 1937 zum Kampf für eine gerechte Welt auf. Es sind Zeilen, die – wie so oft bei dem Universaldichter – bestens auf aktuelle Entwicklungen anwendbar sind. 2015 trösteten übersetzte Verse des Faschismusgegners arabische Migranten in Flüchtlingslagern. 2020 gab seine Kerkerpoesie Menschen im Corona-Lockdown Mut. Und heute, da würde Hernández doch dem gebeutelten Volk der Ukrainer beistehen, oder?
Sicher der idealisierte Hernández. Gerade im Jubiläumsjahr 2022, 80 Jahre nach seinem Tod, steht der Namensgeber des Flughafens Alicante-Elche als Universaldemokrat da, als Vorkämpfer für alle unfair Behandelten, Unterdrückten, Überfallenen. Auch deshalb versinkt jedes Jahr am 30. Oktober, dem Geburtstag des Poeten, sein Grab in Alicante unter einem Blumenberg. Aber Hernández, der echte, ist mit der Verklärung nicht deckungsgleich. Allen voran war der Poet nämlich kein Supermenschenrechtler, sondern ein Kind seiner politisch hochaufgeladenen Zeit.
Bahnhöfe der Propaganda
Hernández tickte, wie man es als 27-Jähriger in Spanien halt tat, als er die zitierten Eingangsworte notierte. Sie stammen aus dem Theaterstück „ El labrador de más aire“, in dem er das Bauernleben skizzierte und dem unterjochten spanischen Volk ein Sprachrohr verlieh. 1937 war ein Schlüsseljahr für den damals brennenden Kommunisten: In seiner Rolle als Kulturkommissar reiste Hernández nach Moskau.
Ein Land der Hoffnung wollte der idealistische Weltverbesserer auf der vom stalinistischen Russland organisierten Reise gesehen haben. Einen Hort der Fröhlichkeit und Brü
derlichkeit, sogar mit verblüffenden Ähnlichkeiten der bäuerlichen Klänge und Farben zu denen, die Hernández aus Orihuela kannte. Visionen einer heileren Welt ließ die Moskauvisite im jungen Mann gedeihen, dessen Heimat im Blut des Geschwisterkriegs ertrank.
Doch was der reiseunerfahrene Spanier nicht wusste, war, dass ihm die Kommunisten 1937 nicht das wahre sowjetische Land, sondern propagandistische Folklore vorgeführt hatten. Auf seiner aufregenden Zugfahrt stieg Hernández etwa nicht in der Ukraine aus. Also im Land, dem das Moskau-Regime so schwer zusetzte. Seit Beginn der 30er ließ Stalin stahlharte Hand walten, um das ukrainische Volk zu demütigen, der Identität und der Bodenschätze zu berauben.
Die Nation, die sich 1918 zu einer brüchigen Unabhängigkeit gemausert hatte, verlor alle Rechte, Freiheiten und mehrere Millionen Menschenleben. Vom Holodomor, dem Holocaust der Ukraine, wusste man natürlich in Europa. Jedoch
hatte ein Land wie Spanien mit eigenen Gefechten genug zu tun, sodass die Sowjetverbrechen nur als gefundenes Fressen für die FrancoPropaganda übrig blieben.
Aber ist das heute so anders? Nun zitieren junge Linksidealisten auf Twitter Hernández’ „ Sichel der Rebellion, Hammer des Protests“, welche auch in Orihuelas Wandbilderviertel San Isidro ihren prominenten Platz haben. Wie aber wirken solche Verse des zum Universaldichter Verklärten wohl etwa auf ein Volk wie das ukrainische?
1937 war der visionäre Jungpoet blind geworden für die schweren Verletzungen von Menschenrechten und millionenfachen Morde der Ideologie, auf die er und all die Gleichgesinnten sich beriefen. Einer Ideologie, die noch heute im Zeichen von Sichel und Hammer einem Milliardenvolk wie China eine Gleichheit überstülpt, die es aber aller Freiheitsrechte beraubt.
Hernández sollte noch durchblicken, auf lyrische Art. Als die Elite seines Lagers ihn 1939 fallenließ und
die quälende Haft begann, machte das Berauschtsein im wandelbaren Poeten Platz für ein tiefes Nachdenken über die universelle Natur des Menschen und ihre Abgründe.
Traurig sind alle Kriege
Und so verfasste der eingesperrte, aber von den Fesseln der Ideologie befreite Poet seine „ guerras tristes“. Zeilen, die wohl wirklich Opfer aller Schurkereien bis heute unterschreiben würden: „ Traurige Kriege, wenn nicht Liebe das Vorhaben ist. Traurige Waffen, wenn es nicht Worte sind. Traurige Menschen, wenn sie nicht aus Liebe sterben.“