Amtliche Armenküche
„Gesund, schnell und billig“: Spaniens Regierung kämpft mit 1-Euro-Rezeptbuch gegen Übergewicht, Inflation und Umweltkrisen
Ministerielle Rezeptsammlung als Bankrotterklärung?
Madrid – mar. Im Oktober 2022 lag die Jahresinflation in Spanien „ nur“noch bei 7,3 Prozent und damit unter den meist zweistelligen Werten anderer EUStaaten. Doch kaum einem Bürger ist entgangen, dass die Teuerung bei Lebensmitteln ihre eigenen Wege geht. So sind Grundnahrungsmittel heute im Schnitt 14 Prozent teurer als vor einem Jahr, so Essentielles wie Olivenöl oder Mehl legten gar um bis zu 40 Prozent zu. Schmalhans wird Küchenmeister, nicht mehr nur in jenen Küchen und Familien, die es ohnehin schon immer schwer hatten, „ ans Ende des Monats zu kommen“, wie man in Spanien sagt.
Zwar hat die Regierung Sánchez mit etlichen kleinen und großen Maßnahmen versucht, gerade die verletzlichsten Bevölkerungsschichten zu schützen, doch für einen direkten Eingriff in die Preispolitik des Marktes und seiner Player gibt es kaum eine rechtliche Grundlage, noch die nötige politische Unterstützung.
Guter Rat muss aber nicht teuer sein, dachte sich Konsum-Minister Alberto Garzón von der Vereinigten Linken und Mitglied der Kommunistischen Partei und legte, bis die Zeit für eine echte Revolution gekommen ist, den Spaniern ein Kochbuch für Krisenzeiten vor, das nicht nur den Geldbeutel schonen soll, sondern, wie es Kommunisten nun mal eigen ist, auch volkserzieherische Zwecke verfolgt. „ Die Menschen brauchen Informationen, um richtige Entscheidungen treffen zu können“, schreibt Garzón im Vorwort und lockt mit „ Schnelles, billiges und gesundes Essen“.
Grünkohl gegen Industrie
Die Ernährungswissenschaftlerin Marián García, die Michelin-besternte Köchin aus Alicante María José San Román und die Journalistin Arantxa Castaño bildeten das Autorinnenteam, also auch unter kommunistischer Fuchtel, so kommentierte es ein Leser auf Twitter „ stehen die Frauen in der Küche“.
Minister Garzón, der durch seine Verbalattacken gegen Exzesse der Massentierhaltung kein unbeschriebenes Blatt ist und sich mehrfach als Feind spanischer Traditionen bezeichnen lassen musste, geht auch mit diesem Rezeptbuch mal
wieder gegen die Lebensmittelindustrie vor: „ Die ungesunde Ernährung vieler basiert auf ultraprozessierten Industrieprodukten, die besonders billig sind“, aber die Menschen krank machten und die Kinder auf falsche Wege führten. „ Es gibt eine klare Verbindung zwischen Armut und schlechter Ernährung, die Rate der Fettleibigkeit bei Kindern ist in den ärmsten Familien doppelt so hoch wie im Schnitt“, erklärt er und warnt: „ Unsere Kinder nähern sich den Werten der USA oder Mexikos“an.
Dem begegnet er mit Obst und Gemüse, lokal und saisonal und im klimatisch privilegierten Spanien ganzjährig frisch und leistbar. Theoretisch. Zwei Drittel der Rezepte auf 94 PDF-Seiten sind vegetarisch, mit „ nachhaltigen“Zutaten, eingeteilt in „ Snacks und Vorspeisen“, „ Hauptgerichte“und „ Desserts“. Besonders auffallend ist die graphische, geradezu infantile Gestaltung des Werks. So als halte man arme Menschen für etwas zurückhaltend beim Verständnis längerer Sätze. Idiotensicher erklärt und optisch wie eine Ikea-Bauanleitung aufbereitet, können wir Guacamole mit Karottensticks zubereiten, Chips aus Grünkohl-Sträuchern zaubern oder „ Falsche Sushi-Rolls“aus Gurken-Laminat mit Feta-Käse und Joghurt befüllen.
Kritik an dem Werk kam von rechts, links und aus der Küche.
Das ist auch kein Wunder, denn Spanier reden über ihr Essen mindestens genauso viel und ausladend, wie sie es kochen und genießen. Zentral war der Vorwurf einer „ Bankrotterklärung“der Regierung gegenüber struktureller Armut und Bildungssegregation, die mit ihrem amtlichen Kochbuch für Prekärkonsumenten die Armut sozusagen normalisiere.
Andere vermissen explizit spanische Paradegerichte und klagen über neumodische Trends und zu viele englisch angehauchte Namen von Gerichten. Schließlich sei es doch die Küche der spanischen Großmütter, die sich durch ihren Einfallsreichtum in mageren Zeiten bewährt hatte, mit ihren habas, torrijas oder migas. Einige Ernährungsexperten und Köche führten dem Minister vor, dass man mit dem gleichen Budget sinnlicher, spanischer und genauso gesund kochen könne, wenn man sich einfach an alte spanische Rezeptbücher halte, anstatt sich mit „ Poke“, „ Rainbow Wrap“und „ Snacks“dem Zeitgeist anzudienen.
Ernährungsexperten bemängelten zudem, dass der Nährwert vieler Gerichte vielleicht für das woke
Autorenteam und die urbane Mittelschicht genüge, aber sowohl für wirklich arbeitende Menschen als auch im Wachstum befindliche Schulkinder nicht adäquat sei. Es würden zu wenige hochwertige Eiweiße wie Hülsenfrüchte, Fisch und Fleisch verarbeitet, die Portionsgrößen seien im Grunde im Tapas-Bereich angesiedelt und gerade junge Menschen seien nicht mit „ Pizzas“mit dicken Brokkoli-Ästen oder ondolierten Karotten aus dem McDonalds zu locken.
Nicht zuletzt flog Minister Garzón auch seine Discount-Kalkulation beim Wareneinsatz um die Ohren. Er sei ein typischer Nadelstreifen-Kommunist, ein Zyniker, der den Spaniern den Ibérico-Schinken und das chuletón nicht gönne, mit seinem Grundgehalt von 75.000 Euro im Jahr aber auf nichts verzichten müsse – tönt es vor allem aus der rechten Küchenecke. Doch auch sozial engagierte Freiwillige direkt von der Armutsfront qualifizierten das Ministeriums-Kochbuch als einen Schuss in den Ofen.
Schuss in den Ofen
Abgesehen davon, dass sich die Kalkulation von „ unter ein oder zwei Euro pro Portion“seit dem Erscheinungsdatum November 2021 bei den meisten Zutaten längst nicht mehr halten lässt, gehe die Rechnung hinten und vorne nicht auf. Solidarische Tafeln, also die Suppenküchen, die täglich Zigtausende mit warmen Gerichten versorgen, kalkulieren mit zwölf bis höchstens 40 Cent pro Mahlzeit und Person. In der Schulspeisung ist die Quote nicht viel höher.
Nimmt man das Beispiel einer vierköpfigen Familie, die täglich eine kleine und zwei volle Mahlzeiten zubereitet, käme diese laut Minister-Tipp bestenfalls auf einen Einkaufspreis von 4x2, 4x2 und 4x1 Euro. Das sind 20 Euro am Tag, also 600 Euro pro Monat. Das Durchschnittsbudget einer spanischen Familie für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke liegt indes bei 380 Euro. In dieser Statistik sind aber die Garzóns schon mitgerechnet. Vor allem jene, die der Minister mit seiner Rezeptsammlung erziehen will, müssen mit 200 Euro monatlich oder sogar weniger über die Runden kommen – für die ganze Familie.
Viel fehle nicht mehr, dass die Regierung das Volk auf das sprichwörtliche „ Wasser und Brot“setze und ihm das dann noch als gesund und nachhaltig verkaufe, ätzte die Zeitung „ La Vanguardia“. Doch selbst dafür hat der Minister einen Rat. Im Mai empfahl Garzón den Spaniern „ Leitungswasser dem Mineralwasser in Flaschen vorzuziehen“. Denn das sei nachhaltiger und billiger. Immerhin, dank des Chlors darin schmeckt es wenigstens nach was.
Die ministerielle Rezeptsammlung gibt es als PDF kostenlos auf: Über Google leicht unter „gobierno recetas“