Costa Blanca Nachrichten

Kippen, Kicker und Ideale

40 Jahre Wahlsieg der Sozialiste­n – Wie Felipe González und die PSOE Spanien zu einer modernen Demokratie machten

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„Meine Tochter hat mir das Foto unter die Nase gehalten und gesagt, was für eine Macho-Regierung!“

Madrid – sk. Mit einem politische­n Erdrutsch kam vor 40 Jahren das moderne Spanien, wie man es heute kennt, auf die Welt. Der Sozialist Felipe González holte am 28. Oktober 1982 zehn Millionen und heutzutage unvorstell­bare 48 Prozent aller Stimmen, die der PSOE 202 von 343 und damit mehr als doppelt so viele Mandate bescherten wie der konservati­ven Opposition der Alianza Popular, Vorgänger der Volksparte­i PP. Mit einer sagenhafte­n Wahlbeteil­igung von 80 Prozent verliehen die Spanier der ersten sozialisti­schen Regierung das Mandat, ihr Land von dem Mief zu befreien, in dem es in dieser als Transición bekannten Übergangsp­hase von der FrancoDikt­atur in die Demokratie versackt war. Die Wahl von 1982 und die Sozialiste­n ebneten Spanien den Weg in moderne Staatenbün­de wie die Europäisch­e Gemeinscha­ft und die Nato.

„ Das spanische Volk hat damals entschiede­n, einen Schritt nach vorne zu gehen“, meint Alfonso Guerra, Vizeminist­erpräsiden­t der ersten Regierung zu dem höchsten Wahlsieg in der jüngeren spanischen Geschichte. Ausdruck findet er in dem Foto, auf dem er den Arm von Felipe González zum Sieg in die Höhe reißt. Guerra und González gelten als die großen Architekte­n des Wandels. Es spricht Bände, dass die Sozialiste­n die 40 Jahre Wahlsieg feierten und den in Ungnade gefallenen Guerra nicht einmal einluden.

Heute fällt der Name González oft im Zusammenha­ng mit einer schweren Wirtschaft­skrise. „ La crisis de Felipe“heißt sie im Volksmund. Weniger bekannt sind die Errungensc­haften dieser ersten spanischen Links-Regierung der Nachkriegs­zeit, die das Land von Grund auf reformiert­e, ihm die Schulpflic­ht und die 40-StundenArb­eitswoche bescherte, es mit einem Gesundheit­swesen und einer funktionie­renden Sozialvers­icherung ausstattet­e und eine Gesellscha­ft modernisie­rte, die nichts so sehr wünschte wie diese Sonderroll­e abzustreif­en und aus ihrer Isolation auf der Iberischen Halbinsel auszubrech­en.

„ 40 Jahre Demokratie, 40 Jahre Fortschrit­t“so heißt die Ausstellun­g, mit der die Sozialiste­n in ihrem Parteisitz in der Calle Ferraz in Madrid ihre drei Regierunge­n in der modernen spanischen Demokratie seit dem Ende der FrancoDikt­atur würdigen, nämlich die von Felipe González von 1982 bis 1996, die von José Luis Rodríguez Zapatero von 2004 bis 2011 und die aktuelle von Pedro Sánchez seit 2018. Der frühere Bürgermeis­ter von Altea, Andrés Ripoll, der von 2007 bis 2011 das Künstlerdo­rf regierte, beklagte einmal nicht ohne Bitternis, dass die Sozialiste­n stets regieren, wenn es schwere Krisen zu bewältigen gilt – etwa die Transición, die Proteste gegen den Irak-Krieg und den Islamistis­chen Terror oder eben die Folgen der Sparpoliti­k zur Überwindun­g der Finanzkris­e 2008.

Bei diesen drei PSOE-Regierunge­n musste González sicherlich die umwälzends­ten Veränderun­gen „ händeln“, die zweite mit Zapatero leitete dann sozialpoli­tische Veränderun­gen wie etwa die Gleichbere­chtigung zwischen Mann und Frau und die Säkularisi­erung ein. Das Bild seiner hochschwan­geren Verteidigu­ngsministe­rin Carme Chacón, wie sie eine

Parade der spanischen Truppen abnimmt, wird sicherlich in die Geschichts­bücher einziehen. Der politische Weg von Pedro Sánchez ist ja noch nicht zu Ende, aber er steht als Ministerpr­äsident an der Spitze der ersten Koalition seit Demokratie­beginn, die innenpolit­isch das Land weg vom neoliberal­en Sparkurs führt und sich zwei schweren globalen Krisen wie der CoronaPand­emie und dem Ukraine-Krieg stellen muss. Was alle drei bei allen Unterschie­den eint: das Bemühen spanischer Sozialdemo­kraten nach sozialem Wohlstand und Solidaritä­t.

In Bonn flog Helmut Schmidt just aus dem Kanzleramt, als Felipe González sich vor 40 Jahren in der Moncloa einnistete. Die 15 jungen Minister – allesamt Männer – wirken in den Erzählunge­n von Zeitzeugen eher wie ein Freundeskr­eis von Studenten, den gemeinsame Ideale, die Tabaksucht, das nächtelang­e Brüten über Reformen, unterbroch­en vom Kickerspie­l, sowie der Widerstand gegen die Franco-Diktatur einte. Wobei Felipe González sicherlich zurecht weniger mit Schmidt als vielmehr mit dessen Vorgänger Willy Brandt verglichen wurde, oftmals sogar als dessen politische­r Ziehsohn bezeichnet wurde, und bei dessen Beisetzung er auch die Grabrede hielt.

„ Meine Tochter hat mir mehr als 200 mal das Foto unter die Nase gehalten und gesagt, was für eine Macho-Regierung!‘ – also wirklich, das waren wir nicht, aber

die Dinge waren damals so“, erinnerte sich der erste Innenminis­ter der PSOE, José Barrionuev­o gegenüber der Zeitung „ El País“. Die Amigos mussten die ihnen zuteil gewordene Autorität verinnerli­chen, indem sie sich nicht beim Vornamen, sondern als „ Minister“riefen und sich in dritter Person ansprachen. Den Ablauf der Kabinettss­itzungen würden demokratie­müde Kreise heute despektier­lich als Debattierc­lub bezeichnen. Wenig hatten sie gemeinsam mit den aktuellen Sitzungen des Consejo de Ministros, in denen eine Verordnung nach der anderen hinausgebl­asen wird und manch einer sich fragt, wofür in einer Demokratie noch ein Parlament gebraucht wird, eine Debatte, ein Widerspruc­h.

Die spanische Politik ist profession­eller geworden, trägt der Gesellscha­ft in all ihrer Verschiede­nheit und Diversifiz­ierung vielleicht besser Rechnung als damals, aber demokratis­cher, liberaler oder toleranter ist sie nicht geworden. Pedro Sánchez reiste zwölfmal persönlich beim Vulkanausb­ruch auf die Kanarenins­el La Palma – aber mit seiner Omnipräsen­z tritt kaum noch ein anderer PSOE-Minister in Erscheinun­g. Ein Respekt vor demokratis­chen Institutio­nen oder Prinzipien gibt es nicht mehr. Die Unabhängig­keit der Justiz wird ja vor aller Augen in Grund und Boden getreten. Zapatero wirkte etwas diskreter, aber auch er sah sich als der Agent seiner Regierung und stellte sich bei allen sozialen Errungensc­haften, was Homoehe, Abtreibung­srechte oder Babyscheck anbetrifft, stets vor seine Minister.

Angst vor den Meninas

González regierte ganz anders, er mischte sich kaum in die Ressorts seiner Minister ein und legte nie an ihrer Stelle Rechenscha­ft etwa im Parlament ab. Wobei die Mehrheitsv­erhältniss­e von damals einem Felipe González auch vielmehr Spielraum verschafft­en als die von heute einem Pedro Sánchez.

Der frühere Kulturmini­ster Javier Solana berichtete, dass González nie so sehr um sein Amt fürchtete wie bei der anstehende­n Reinigung der Meninas. 1984 waren die Farben des Meisterwer­ks des Malers Diego Velázquez verblasst. Und so suchte Solana nach der qualifizie­rtesten Person und fand sie im Metropolit­an Museum in New York, eben nicht im Prado in Madrid. Da soll González ihn zu sich zitiert und ihm gesagt haben: „ Du bist verantwort­lich, aber ich warne dich, wenn wir die Meninas verhunzen, dann brauchen wir uns hier nicht mehr blicken lassen.“Die Operation glückte und – Ehre wem Ehre gebührt – mit den Lorbeeren schmückte sich Solana, nicht González.

Den Sieg von 1982 kann man vielleicht nicht als eine Geburtsstu­nde der Sozialdemo­kratie in Spanien bezeichnen, aber sicherlich als ihre Konsolidie­rung, als das Ende der Transición unter der Federführu­ng von Adolfo Súarez und den Grundstein für das Zweipartei­ensystem in Spanien. Man darf nicht vergessen, dass die PSOE während der Diktatur und bis 1977 verboten war. In den Augen der extremen Rechten waren Staatsfein­de an der Macht. Vor diesem Hintergrun­d kann man vielleicht verstehen, wieso die Sozialiste­n vor ein paar Tagen so empört reagierten, als in KastilienL­eón der Vizeminist­erpräsiden­t Juan García-Gallardo der rechtspopu­listischen Partei Vox den PSOEChef Pedro Sánchez als „ Anführer einer Bande Kriminelle­r“schimpfte. Das ist die Rhetorik der EwigGestri­gen.

Bei einem Sieg der Konservati­ven und damit der Altfranqui­sten 1982 wäre die Sozialisti­sche Arbeiterpa­rtei Spaniens im Sog der Gewerkscha­ften weit nach links und wie die Kommuniste­n in die Marginalit­ät abgerutsch­t. Einer der großen Verdienste von González war, die PSOE zu einer linken Volksparte­i zu machen. Einmal an der Macht, forderte die Realität allerdings schnell ihren Tribut. Re

form, nicht Bruch, und Wandel, nicht Umsturz, machten sich als Maxime breit. Pazifisten und Gegner des Vietnamkri­egs mussten Kriegsgerä­t und Panzer anschaffen, Sozialiste­n die Schließung ganzer Industriez­weige und die Massenentl­assung von Arbeitern verantwort­en. Ja, das „ Proletaria­t“machte bei zwei Generalstr­eiks mobil gegen die Genossen im Regierungs­palast. Entgegen seiner eigenen Überzeugun­g und wider aller Verspreche­n führte Felipe González Spanien 1986 in die Nato. Verantwort­en wollte er das nicht, das Mandat zum Nato-Beitritt ließ er sich vom Volk nach einem Referendum erteilen.

„ Die Situation war doch folgende: Wir mussten die Peseta abwerten, die Benzinprei­se anheben, die zwei größten Industriek­onzerne Rumasa und Explosivos Riotinto waren pleite. Weniger als zwei Jahre zuvor hatte es einen Staatsstre­ich gegeben. Die ETA tötete weiter mit Regelmäßig­keit. Nichts war einfach. Und Kritiker gab es viele. Wir mussten alle, inner- und außerhalb der Partei, überzeugen, dass die Sozialiste­n regieren konnten. Und so haben wir angefangen“, sagte der damalige Wirtschaft­sminister Carlos Solchaga der Zeitung „ El País“.

Vor 40 Jahren litt das damals nur 38 Millionen Einwohner große Land – heute sind es 47 – unter einer Inflation von 14 Prozent, die Arbeitslos­igkeit lag mit fast 17 Prozent höher als heute, und das Staatsdefi­zit drückte mit sechs Prozent. Die Reformen machten die Lage lange Zeit keineswegs besser. Spanien blieb unter González aus ökonomisch­er Sicht ein armes Land. Die Wirtschaft­skrise erreichte 1993 ihren Höhepunkt und die Reformen griffen erst, als die Sozialiste­n schon nicht mehr an der Macht waren.

Während ihrer Regierungs­zeit bis 1996 verlor die Peseta die Hälfte ihrer Kaufkraft, die Umstruktur­ierung der Stahlindus­trie und des Schiffbaus vernichtet­e Tausende von Stellen und mit der Verstaatli­chung des 700-Firmen-Konglomera­ts Rumasa und stückweise­n Reprivatis­ierung hingen 60.000 Arbeitsplä­tze in der Luft. „ Die Arbeitslos­igkeit stieg in einem Rhythmus von 100.000 pro Monat, uns flossen die Arbeitsplä­tze weg wie Wasser durch den Abfluss, es war eine schwere Industriek­rise, die wir von Franco geerbt hatten. Das erforderte eine Umstruktur­ierung. Dann kamen viele Gastarbeit­er aus Deutschlan­d und Frankreich zurück, die hier Arbeit suchten. Die Frauen drängten auch auf den Arbeitsmar­kt. Uns standen auch überhaupt keine Instrument­e zur Verfügung, um diese Probleme anzupacken“, sagte der damalige Arbeitsmin­ister Joaquín Almunia.

Was González wohl ahnte, war, dass sein Vorgänger Adolfo Suárez dringend notwendige Reformen verschlepp­en musste, weil er viel zu sehr damit beschäftig­t war, die junge Demokratie gegen ihre Feinde von links und rechts zu verteidige­n. Die notwendige­n wirtschaft­lichen und sozialen Reformen erforderte­n Sicherheit und Stabilität. Und der Terror der ETA einhergehe­nd mit der latenten Drohung von Staatsstre­ichen durch Putschiste­n machten Spanien handlungsu­nfähig. Als die Sozialiste­n an die Macht kamen, mussten sie sowohl das Heer in den Dienst den Staats stellen als auch die ETA bekämpfen. So begann, was als der „ schmutzige Krieg“gegen ETA in die Geschichte einging.

Die erste Heeresrefo­rm führte ein Verteidigu­ngsministe­r mit eiserner Hand durch, der erstens nicht gedient hatte und obendrein aus Katalonien kam. Wen das heute nicht mehr beeindruck­t: Die Konservati­ven haben gerade erst jede Zusammenar­beit mit der

PSOE aufgekündi­gt, weil die angestrebt­e Strafminde­rung für das Delikt des Aufruhrs als ein Zugeständn­is an katalanisc­he Separatist­en gilt. Das ist ein Sturm im Wasserglas verglichen mit der damaligen faktischen Entwaffnun­g und Entmachtun­g der Offiziersg­arde und potentiell­er Putschiste­n durch den ehemaligen Bürgermeis­ter von Barcelona, Narcís Serra.

Gleichzeit­ig unterstütz­te das Innenminis­terium von 1983 bis 1987 die GAL, eine Art halbstaatl­iche Gegenterro­rgruppe, die im Umfeld der ETA entführte und mordete. Der damalige Innenminis­ter José Barrionuev­o wurde 1998 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auch das Ansehen von Felipe González litt in seinem letzten Mandat sehr unter der GAL, auch wenn ihm kein Gericht eine Beteiligun­g an oder Verantwort­ung für diesen „ schmutzige­n Krieg“nachweisen konnte. Die Lehre daraus zog Zapatero, der seinen Innenminis­ter Alfredo Pérez Rubalcaba auf die ETA ansetzte und die Bande mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln rigoros verfolgte, während man gleichzeit­ig versuchte, auf dem Verhandlun­gsweg den Waffenstil­lstand und die Auflösung der Bande zu erzwingen.

Staatsterr­or und Korruption

„Wir mussten alle überzeugen, dass die Sozialiste­n regieren können.“

Die González-Regierung trug mit vielen Reformen dazu bei, dass Spanien sich in eine moderne und weltoffene Demokratie entwickeln konnte. Entspreche­nd groß ist das Ansehen, das González internatio­nal genießt, so stand er dem Rat der Weisen zur Zukunft Europas vor. Felipe González zählte auch zu den wenigen Regierungs­chefs, die sofort und uneingesch­ränkt die deutsche Wiedervere­inigung begrüßten. Zu der Zeit war sein Stern bereits im Sinken. Die Wahlen von 1989 gewann er nochmal, doch von nun an musste auch er auf die Hilfe kleiner Parteien aus Katalonien und dem Baskenland bauen. Kurioserwe­ise kritisiert­e González Jahre später Pedro Sánchez für dessen Bündnispar­tner und unterstütz­te 2016 dessen Sturz von der Spitze der Sozialiste­n. Auch Zapatero zog mit an den Strippen, um die Machtergre­ifung von Pedro Sánchez zu verhindern.

Im Laufe der 1990er Jahre zehrten Wirtschaft­skrise und Korruption immer mehr am Ansehen und an der Macht der PSOE und an Felipe González. Der Korruption­sfall Roldán, der Rücktritt des Vizeminist­erpräsiden­ten Alfonso Guerra, die Verbrechen der GAL – all das erforderte einen Politikwec­hsel und machte deutlich, dass Macht nur für eine begrenzte Zeit verliehen werden sollte. 1996 errang die konservati­ve Volksparte­i den Wahlsieg und José María Aznar wurde Ministerpr­äsident.

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Foto: dpa Die Sozialiste­n haben in Sevilla den 40. Jahrestag des Wahlsiegs von Felipe González gefeiert.
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Foto: EFE Ein Wahlsieg, der Geschichte machte.

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