Ein Tropfen Toskana
Ein einzigartiger Fleck am westlichen Rand Valencias lockt mit Farbenfülle und iberischem Weingenuss
Am siebten Tag, als Gott gesehen hatte, dass alles sehr gut war, soll er ein Glas Wein zur Hand genommen haben, um das Geschaffene zu bewundern. Ein Tropfen soll dabei auf die Erde niedergefallen sein. Eine unwiderstehliche Landschaft erwuchs an der Stelle: Sanfte Hügel, von einem farbenprächtigen Flickenteppich bedeckt und einem Gewächsreichtum sondergleichen gekrönt, Zypressen, Olivenbäume und viele, viele Weinreben.
Wenn es eines Beweises für die Wahrheit hinter der Legende bedarf, ist es der Reiz, mit dem die Toskana – um sie geht es in unserem Einstieg – Menschen aus aller Welt verzaubert. Aber vielleicht verirrte sich ein Tröpflein des göttlichen Weines auch auf die Iberische Halbinsel. In diesem Fall käme eine Stelle in Frage: Ein Tal am Rande der Region Valencia.
Im November muss man sie unbedingt einmal aufsuchen, die Terres dels Alforins. Das Nirgendwo ganz im valencianischen Westen, dem sich, – wenn man eine Karte anschaut – Kastilien La Mancha etwas gierig entgegenzurecken scheint. Strahlende Orangeund Gelbtöne, tiefes und knalliges Rot. Ein Meer aus Nuancen ist diese Farbpalette, die sich auf den weiten Weinfeldern im Herbst bildet.
Ein freundlicher Wächter
Zwischen den Kreisen Vall d’Albaida und La Costera gelegen, ist das Gebiet um die Dörfer La Font de la Figuera, Moixent und Fontanars nicht nur eine Wiege großartiger Weine, sondern auch ein bemerkenswerter Tiegel der Kulturen und Epochen. An wohl wenigen Orten der Erde kann etwa ein Volk wie die Iberer, die vor 2.500 Jahren die Hügel besiedelten, solche kulturellen Einflüsse ausüben, wie es hier im Alforins-Erdfleck der Fall ist.
Ein lebendiger Motor der Identität und Kultur – gerade, was die Weine angeht – ist hier das Iberische, verkörpert durch die Figur des Guerrer de Moixent. Ein Krieger mit außerordentlichem Helmschmuck, ein Pferd reitend, gerüstet, bewaffnet, aber irgendwie auch freundlich. Im Jahr 1931 barg man die heute im Museum für Vorgeschichte in Valencia aufbewahrte, originale Siebenzentimeterfigur auf der Erhebung Serra Grossa, auf der heute der Archäologiepark Bastida de les Alcusses zum Wandern durch die iberische Welt einlädt.
In kleinen und großen Ausführungen, gemalt, gedruckt, geformt, ist der Krieger ein omnipräsenter Wächter über die valencianische Toskana – fast wie an der Costa Blanca seine iberische Mutterfigur, die Dama de Elche. Zu den obligatorischen Stopps beim Besuch der Terres dels Alforins gehört das anno 1931 zum Historisch-Künstlerischen Denkmal erklärte Ibererdorf.
Nicht nur, weil Schautafeln am einladenden Pfad des Rundweges die Vorstellungskraft anregen, aus den noch erhaltenen Grundmauern lebendige Visionen des damaligen Siedlerlebens zu entwickeln. Sondern auch, weil der Standort ein Traum ist, in 700 Meter Höhe, mit herrlichen Blicken auf das toskanische Patchwork unten am Hügel.
Dort, zwischen den herbstroten, -gelben und -braunen Gewächsfeldern, lebt das historische Erbe dieses verzauberten Niemandslandes
noch fort und – man höre und staune – entfaltet sich sogar mit neuer Kraft. Im Celler del Roure etwa, einem zuletzt angesagten Weingut, achten sie sehr auf die alten Vorfahren. Und zwar nicht nur publikumswirksam anhand iberischer Insignien und Lettern auf den Flaschen. Sondern auch mit Herstellungsmethoden aus früheren Zeiten, an das Heute adaptiert.
Entzifferte Punkte
Dem leitenden Winzer Pablo Calatayud gelang es, einer schon verlorenen Weintraube wieder Leben zu schenken. Die heimische Sorte Mandó passte im auf die Massenproduktion fixierten 20. Jahrhundert so gar nicht ins Konzept und wurde eigentlich restlos aus dem Boden gerissen. Der Celler del Roure brachte sie zurück und griff bei der Produktion des gleichermaßen traditionellen wie innovativen Weines auf eine jahrhundertealte Herstellungsmethode zurück.
Das zartschmeckende Produkt gedeiht nämlich in Krügen, die in unterirdischen Gängen in die Felsen eingesetzt wurden. Bei der Weinprobe ist das Durchlaufen des Tunnels ein Höhepunkt, wobei auch einige zeitgemäße Einfälle der Familie – etwa die Verwendung von Fahrradreifen zur Isolierung – Überraschungen bieten. Bei der Probe der Ökoweine Maduresa, Parotet oder Safrà geht es weiter historisch bis prähistorisch zu.
Beim Erläutern der iberischen Inschrift auf der Flasche etwa lernen Besucher, dass die vor zweieinhalbtausend Jahren verwendete Sprache zwar noch nicht entziffert wurde. Sehr wohl aber die Punkte zwischen den Zeichen. Offensichtlich handelte es sich um Mengenangaben beim Abschließen eines Handelsvertrags. Tatsächlich lag das Gebiet wohl schon in vor-iberischer Zeit auf einer Handelsroute, die von der Küste ins Herz der Halbinsel leitete.
Das tut sie sogar noch heute, in Form der Autobahn von Valencia über Albacete nach Madrid. Tradition und Innovation als immer wieder fruchtbringende Einheit zu nutzen, das kennen die teils jahrhundertealten Bodegas, die dem herbstgefärbten Hinterlandtal so viel Weinqualität bescheren: Antonio Arraez, Enguera, Celler del Roure, Clos de la Vall, Daniel Belda, Heretat de Tavernes, Los Frailes,
Los Pinos, Rafa Cambra, Torrevellisca oder Vinos de la Viña – viele von ihnen, liebe- und stilvoll restauriert, würden als waschechte italienische Azienda Agricola durchgehen.
Wie kam es dazu, dass die toskanisch angehauchte Weinkultur in diesem Gebiet am Westrand Valencias seit dem vierten Jahrhundert vor Christus (dafür sprechen Funde im Ibererdorf) so verwachsen ist? Offenbar liegt es an der geographischen
Lage, die
einerseits einen klimatischen Begegnungsraum zwischen der Küste und dem Hinterland schafft.
Weinberge koexistieren, ganz natürlich, mit Wäldern und Getreidefeldern. Das liegt an der Luft, ihren Temperaturen und Windbewegungen, aber auch am Boden, der mit einer besonderen Mannigfaltigkeit – hier sandig, dort tonhaltig – aufwartet. Auch diese bereits in der Erde verortete Farbenvielfalt lässt sich beim Betrachten von den Panoramapunkten erkennen.
Staubecken mit Herbsttupfern
Bei allem Landschaftszauber sind jedoch auch die malerischen Dörfer nicht zu verkennen. La Font de la Figuera etwa brachte sogar große Persönlichkeiten hervor, wie Juan de Juanes, der im 16. Jahrhundert das famose Letzte Abendmahl aus dem Prado in Madrid malte. Wer in den Orten Herbst
küche probieren will, kann in einem der Restaurants das typische Pilzgericht pebrassos bestellen. Lohnenswert ist ein Abstecher ins ethnologische Museum La Costera, untergebracht in einer nunmehr stillgelegten Bodega, voller historischer Objekte und Kuriositäten, darunter die Hintergründe der Coca-Cola, die in einem Nachbarort der Gegend entstanden sein soll.
Zum Spazieren lädt bei Moixent der „ Stausee am Wäldchen“ein. Im 18. Jahrhundert entstand im Zuge der landwirtschaftlichen Rationalisierung die Embalse del Bosquet. Von Herbsttupfern umgeben, ist die Anlage ein Beispiel, wie die Menschen der Gegend, die nicht mit großen Flussströmen gesegnet sind, es vermochten, wertvolles Nass geschickt einzusammeln. Möglicherweise nicht nur den Regen, sondern auch ein Tröpfchen mit himmlischem Aroma am siebten Tag der Schöpfung.
Der Besuch des iberischen Dorfes La Bastida de les Alcusses ist gratis. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 14 und 16 bis 18 Uhr. Das Museum La Costera besichtigt man mit einer kostenlosen Führung. Reservierung per Mail: mu seu@lafontde lafiguera.net Weinprobe und Führung im Gut Celler del Roure reserviert man über die Kontaktdaten auf alcusses.es.