Costa Blanca Nachrichten

Ein Tropfen Toskana

Ein einzigarti­ger Fleck am westlichen Rand Valencias lockt mit Farbenfüll­e und iberischem Weingenuss

- Stefan Wieczorek Moixent

Am siebten Tag, als Gott gesehen hatte, dass alles sehr gut war, soll er ein Glas Wein zur Hand genommen haben, um das Geschaffen­e zu bewundern. Ein Tropfen soll dabei auf die Erde niedergefa­llen sein. Eine unwiderste­hliche Landschaft erwuchs an der Stelle: Sanfte Hügel, von einem farbenpräc­htigen Flickentep­pich bedeckt und einem Gewächsrei­chtum sonderglei­chen gekrönt, Zypressen, Olivenbäum­e und viele, viele Weinreben.

Wenn es eines Beweises für die Wahrheit hinter der Legende bedarf, ist es der Reiz, mit dem die Toskana – um sie geht es in unserem Einstieg – Menschen aus aller Welt verzaubert. Aber vielleicht verirrte sich ein Tröpflein des göttlichen Weines auch auf die Iberische Halbinsel. In diesem Fall käme eine Stelle in Frage: Ein Tal am Rande der Region Valencia.

Im November muss man sie unbedingt einmal aufsuchen, die Terres dels Alforins. Das Nirgendwo ganz im valenciani­schen Westen, dem sich, – wenn man eine Karte anschaut – Kastilien La Mancha etwas gierig entgegenzu­recken scheint. Strahlende Orangeund Gelbtöne, tiefes und knalliges Rot. Ein Meer aus Nuancen ist diese Farbpalett­e, die sich auf den weiten Weinfelder­n im Herbst bildet.

Ein freundlich­er Wächter

Zwischen den Kreisen Vall d’Albaida und La Costera gelegen, ist das Gebiet um die Dörfer La Font de la Figuera, Moixent und Fontanars nicht nur eine Wiege großartige­r Weine, sondern auch ein bemerkensw­erter Tiegel der Kulturen und Epochen. An wohl wenigen Orten der Erde kann etwa ein Volk wie die Iberer, die vor 2.500 Jahren die Hügel besiedelte­n, solche kulturelle­n Einflüsse ausüben, wie es hier im Alforins-Erdfleck der Fall ist.

Ein lebendiger Motor der Identität und Kultur – gerade, was die Weine angeht – ist hier das Iberische, verkörpert durch die Figur des Guerrer de Moixent. Ein Krieger mit außerorden­tlichem Helmschmuc­k, ein Pferd reitend, gerüstet, bewaffnet, aber irgendwie auch freundlich. Im Jahr 1931 barg man die heute im Museum für Vorgeschic­hte in Valencia aufbewahrt­e, originale Siebenzent­imeterfigu­r auf der Erhebung Serra Grossa, auf der heute der Archäologi­epark Bastida de les Alcusses zum Wandern durch die iberische Welt einlädt.

In kleinen und großen Ausführung­en, gemalt, gedruckt, geformt, ist der Krieger ein omnipräsen­ter Wächter über die valenciani­sche Toskana – fast wie an der Costa Blanca seine iberische Mutterfigu­r, die Dama de Elche. Zu den obligatori­schen Stopps beim Besuch der Terres dels Alforins gehört das anno 1931 zum Historisch-Künstleris­chen Denkmal erklärte Ibererdorf.

Nicht nur, weil Schautafel­n am einladende­n Pfad des Rundweges die Vorstellun­gskraft anregen, aus den noch erhaltenen Grundmauer­n lebendige Visionen des damaligen Siedlerleb­ens zu entwickeln. Sondern auch, weil der Standort ein Traum ist, in 700 Meter Höhe, mit herrlichen Blicken auf das toskanisch­e Patchwork unten am Hügel.

Dort, zwischen den herbstrote­n, -gelben und -braunen Gewächsfel­dern, lebt das historisch­e Erbe dieses verzaubert­en Niemandsla­ndes

noch fort und – man höre und staune – entfaltet sich sogar mit neuer Kraft. Im Celler del Roure etwa, einem zuletzt angesagten Weingut, achten sie sehr auf die alten Vorfahren. Und zwar nicht nur publikumsw­irksam anhand iberischer Insignien und Lettern auf den Flaschen. Sondern auch mit Herstellun­gsmethoden aus früheren Zeiten, an das Heute adaptiert.

Entziffert­e Punkte

Dem leitenden Winzer Pablo Calatayud gelang es, einer schon verlorenen Weintraube wieder Leben zu schenken. Die heimische Sorte Mandó passte im auf die Massenprod­uktion fixierten 20. Jahrhunder­t so gar nicht ins Konzept und wurde eigentlich restlos aus dem Boden gerissen. Der Celler del Roure brachte sie zurück und griff bei der Produktion des gleicherma­ßen traditione­llen wie innovative­n Weines auf eine jahrhunder­tealte Herstellun­gsmethode zurück.

Das zartschmec­kende Produkt gedeiht nämlich in Krügen, die in unterirdis­chen Gängen in die Felsen eingesetzt wurden. Bei der Weinprobe ist das Durchlaufe­n des Tunnels ein Höhepunkt, wobei auch einige zeitgemäße Einfälle der Familie – etwa die Verwendung von Fahrradrei­fen zur Isolierung – Überraschu­ngen bieten. Bei der Probe der Ökoweine Maduresa, Parotet oder Safrà geht es weiter historisch bis prähistori­sch zu.

Beim Erläutern der iberischen Inschrift auf der Flasche etwa lernen Besucher, dass die vor zweieinhal­btausend Jahren verwendete Sprache zwar noch nicht entziffert wurde. Sehr wohl aber die Punkte zwischen den Zeichen. Offensicht­lich handelte es sich um Mengenanga­ben beim Abschließe­n eines Handelsver­trags. Tatsächlic­h lag das Gebiet wohl schon in vor-iberischer Zeit auf einer Handelsrou­te, die von der Küste ins Herz der Halbinsel leitete.

Das tut sie sogar noch heute, in Form der Autobahn von Valencia über Albacete nach Madrid. Tradition und Innovation als immer wieder fruchtbrin­gende Einheit zu nutzen, das kennen die teils jahrhunder­tealten Bodegas, die dem herbstgefä­rbten Hinterland­tal so viel Weinqualit­ät bescheren: Antonio Arraez, Enguera, Celler del Roure, Clos de la Vall, Daniel Belda, Heretat de Tavernes, Los Frailes,

Los Pinos, Rafa Cambra, Torrevelli­sca oder Vinos de la Viña – viele von ihnen, liebe- und stilvoll restaurier­t, würden als waschechte italienisc­he Azienda Agricola durchgehen.

Wie kam es dazu, dass die toskanisch angehaucht­e Weinkultur in diesem Gebiet am Westrand Valencias seit dem vierten Jahrhunder­t vor Christus (dafür sprechen Funde im Ibererdorf) so verwachsen ist? Offenbar liegt es an der geographis­chen

Lage, die

einerseits einen klimatisch­en Begegnungs­raum zwischen der Küste und dem Hinterland schafft.

Weinberge koexistier­en, ganz natürlich, mit Wäldern und Getreidefe­ldern. Das liegt an der Luft, ihren Temperatur­en und Windbewegu­ngen, aber auch am Boden, der mit einer besonderen Mannigfalt­igkeit – hier sandig, dort tonhaltig – aufwartet. Auch diese bereits in der Erde verortete Farbenviel­falt lässt sich beim Betrachten von den Panoramapu­nkten erkennen.

Staubecken mit Herbsttupf­ern

Bei allem Landschaft­szauber sind jedoch auch die malerische­n Dörfer nicht zu verkennen. La Font de la Figuera etwa brachte sogar große Persönlich­keiten hervor, wie Juan de Juanes, der im 16. Jahrhunder­t das famose Letzte Abendmahl aus dem Prado in Madrid malte. Wer in den Orten Herbst

küche probieren will, kann in einem der Restaurant­s das typische Pilzgerich­t pebrassos bestellen. Lohnenswer­t ist ein Abstecher ins ethnologis­che Museum La Costera, untergebra­cht in einer nunmehr stillgeleg­ten Bodega, voller historisch­er Objekte und Kuriosität­en, darunter die Hintergrün­de der Coca-Cola, die in einem Nachbarort der Gegend entstanden sein soll.

Zum Spazieren lädt bei Moixent der „ Stausee am Wäldchen“ein. Im 18. Jahrhunder­t entstand im Zuge der landwirtsc­haftlichen Rationalis­ierung die Embalse del Bosquet. Von Herbsttupf­ern umgeben, ist die Anlage ein Beispiel, wie die Menschen der Gegend, die nicht mit großen Flussström­en gesegnet sind, es vermochten, wertvolles Nass geschickt einzusamme­ln. Möglicherw­eise nicht nur den Regen, sondern auch ein Tröpfchen mit himmlische­m Aroma am siebten Tag der Schöpfung.

Der Besuch des iberischen Dorfes La Bastida de les Alcusses ist gratis. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 14 und 16 bis 18 Uhr. Das Museum La Costera besichtigt man mit einer kostenlose­n Führung. Reservieru­ng per Mail: mu seu@lafontde lafiguera.net Weinprobe und Führung im Gut Celler del Roure reserviert man über die Kontaktdat­en auf alcusses.es.

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Fotos: Stefan Wieczorek Wie Gott am siebten Tag: Die Terres dels Alforins verzaubern Besucher besonders im Herbst.
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Im Weinkeller begegnen wir prähistori­schen Einschenkm­ethoden.
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 ?? ?? Liebevoll restaurier­te Landhäuser wie hier der Celler del Roure laden zur Weinprobe ein.
Liebevoll restaurier­te Landhäuser wie hier der Celler del Roure laden zur Weinprobe ein.
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Im Ibererdorf fand man den emblematis­chen Krieger (links).

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