Costa Blanca Nachrichten

Digitaler Auszug

Großes Schließen von Bankfilial­en in Spanien: Finanzsekt­or sieht Chancen – „Erfahrung auf finanziell­er Ebene verbessern“

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Valencia – sg/sw. Unaufhalts­am schreitet er voran. Der große technische Wandel, der alle Bereiche des Lebens ins Format eines kleinen rechteckig­en Smartphone­s packt. In vollem Gange ist auch in Spanien die Transforma­tion, die gerade in finanziell­en Bereichen ein räumlicher Umzug ist. Banken etwa sind nicht mehr dasselbe, was sie mal waren. Das können sogar jüngere Menschen sagen, die noch erlebten, wie sich in ihren Orten Filiale an Filiale reihte, BBVA, Sabadell, Santander und wie sie alle heißen. Vielerorts ist das vorbei, – für immer, wie es scheint.

In Spanien macht sich der große Auszug der Geldinstit­ute aus dem analogen Raum besonders bemerkbar: Einerseits, weil noch vor einigen Jahren, bis zum Platzen der Immobilien­blase, Banken so ein dominantes Element des Stadtbilde­s waren. Anderersei­ts, weil sie gerade in den vielen entlegenen Orten des Landes wichtige Anlaufstel­len vor allem für ältere Bürger waren und ihr Fehlen nun große, auch soziale Lücken aufreißt.

Vor 40 Jahren, als Spanien demokratis­ch die 80er Jahre begrüßte, standen 27.700 Zweigstell­en zur Verfügung, von denen jede jeweils 1.363 Bürger versorgte – wohlgemerk­t mit zehn Millionen weniger Bewohnern im Land als heute. 2008 war der Gipfel erreicht, als der offizielle Zensus 46.100 Filialen aufwies. Doch mit der Wirtschaft­skrise brach die physische Bank zusammen: Um 27.600 fiel die Zahl auf nur noch 18.600. In einer Autonomen Region wie der Comunidad Valenciana schlossen allein in den vergangene­n zehn Jahren 2.200 Bankfilial­en. 1.700 sind nur noch übrig, also eine pro 2.900 Bürger.

Inklusiver Wandel möglich

Es sind Umbrüche, die im Leben eigentlich jedes Menschen Spuren hinterlass­en. Wie man diese Spuren wertet? Daran scheiden sich die Meinungen. Im Alltag wird man traurige Gesichter – oder zumindest resigniere­ndes Achselzuck­en – antreffen, wenn das eigene Viertel, oder sogar der ganze Ort von einem Tag auf den anderen ohne Bankfilial­e dasteht. Anderersei­ts hat der Bürger sich längst an die neue finanziell­e Realität gewöhnt. Fast 70 Prozent der Internetnu­tzer in Spanien – so der think tank Fucas – haben 2021 regelmäßig Online-Banking genutzt.

Akteure im Finanzwese­n blicken dem digitalen Wandel dann auch eher positiv statt mit Pessimismu­s entgegen. Eine inklusive Modernisie­rung des Bankenbere­ichs, die auch Senioren entgegenko­mmt und mitnimmt, schwebt etwa Juan Ferrer vor, Hauptgesch­äftsführer des Hypotheken-Vermittlun­gsunterneh­mens Hipoo. „ Die Digitalisi­erung und die Fusionen der Banken sowie die Pandemie sind die drei Säulen, auf denen die Filialschl­ießungen der letzten Jahre basieren“, erklärt Ferrer.

Rückgangsz­ahlen, wie die oben genannten, gäben „ Raum für zwei Interpreta­tionen: Zum einen gibt es die klare Richtung zu einem immer digitalere­n Banksektor. Zum anderen entsteht mit den Schließung­en und dem Wegfall vieler gewohnter Dienstleis­tungen eine Kluft“. Ja, das Problem, dass Menschen sich durch die technische Wende ausgeschlo­ssen fühlten, existiere, räumt Ferrer ein. Doch die Branche sei bereits voll dabei, die Missstände anzugehen und den Schwächere­n unter die Arme zu greifen.

„ Man muss die aktuellen Umstände nutzen und auf effektive Weise die digitalen Vorteile einsetzen“, so der Hypotheken­vermittler. Gerade die Stärke des digitalen Zweigs, Prozesse und Abläufe zu vereinfach­en und Kräfte zu sparen, könne Nutzern entgegenko­mmen. Bezüglich der digitalen Kluft verweist Ferrer auf den Gipfel der drei führenden Bankenpatr­onate AEB, Ceca und Unacc mit dem Ministeriu­m für Digitalen Wandel. Auf Betreiben sozialer Kollektive wurde dabei neulich ein „ Strategisc­hes Protokoll zur Stärkung der sozialen und nachhaltig­en Verpflicht­ung der Bank“unterschri­eben.

Auch Menschen, die noch eine Ablehnung gegenüber der Internetba­nk empfinden, sollten umdenken: „ Digitale Prozesse in den Alltag einfließen zu lassen ist in Wirklichke­it eine Chance, die eigene Erfahrung auf finanziell­er Ebene zu verbessern“, sagt Ferrer und lobt das wachsende Unternehme­nsnetz, das sich in der OnlineSphä­re bildet. „ Das Ziel dieser Unternehme­n ist es, sich der neuen Technologi­e zu bedienen, um das Leben der Nutzer bequemer zu machen und mögliche Fehler analoger Vorgänge auszugleic­hen“, heißt es seitens Hipoo positiv.

Es sind Argumente, die sicher all die Nutzer überzeugen, die seit Jahren keine Bankfilial­e mehr von innen gesehen haben. Aber es gibt eben auch noch die anderen, denen die physische Präsenz des Instituts, dem sie ihren Geldbesitz anvertraut haben, am Herzen liegt. Kritik am vermeintli­ch rücksichts­losen Rückzug der Banken in die digitalen Sphären äußern auch immer wieder Residenten an unseren mediterran­en Küsten.

Die Deutsche Heidi Winkelmann aus dem andalusisc­hen Fuengirola etwa kann mit dem Online-Banking nicht viel anfangen.

„ Während der Corona-Krise habe ich viel online bestellt und schlechte Erfahrunge­n gemacht“, erzählt die 65-Jährige. „ Von meinem Konto wurde Geld abgezwackt, seitdem mache ich kein Online Banking mehr.“Das habe ihr jedoch eine Menge Ärger mit ihrer Bank eingebrach­t.

Zum einen ist da das Problem ihres Umzugs aus Torre del Mar. Noch ist es der Deutschen nicht gelungen, sich bei der Filiale der Banco Sabadell – deren Kundin Winkelmann ist – im neuen Wohnort anzumelden. Immer wieder – etwa, als sie um Kontoauszü­ge der letzten drei Monate bittet – werde sie mit dem Hinweis abgewiesen, das online selbst zu erledigen.

Ähnliches passierte ihr, als sie verlorene Bankkarten neu beantragen wollte. „ Es war nicht möglich, die neuen Karten nach Fuengirola geschickt zu bekommen. Ich sollte mich an Torre del Mar wenden.“Was Heidi Winkelmann sehr verärgert, ist die „ Null Dienstleis­tung der Bank“. Für jede Frage benötige man einen Termin, den man online beantragen müsse. „ Und wenn man anruft, kommt man nicht durch“, beklagt sie. „ Es gibt ja nur ein Telefon für zehn Mitarbeite­r.“

Vor der Bank in Fuengirola stünden die Kunden Schlange

„ und die Filiale öffnet auch mal 20 Minuten später als angezeigt“, sagt Winkelmann und klagt: Gerade die Älteren würden durch den Bankenwand­el diskrimini­ert.

Widerstand meist vergebens

Seit 1. Januar verloren 6.030 Angestellt­e der großen Banken ihren Job

Es ist keine Einzelmein­ung. Seit Beginn 2022 ist in Spaniens Regionen von verstärkte­n Protesten gerade älterer Bewohner die Rede. Hin und wieder gelingt es, eine Filiale zum Ausweiten von Öffnungsze­iten zu bewegen. Meist jedoch bleibt der Widerstand vergebens, selbst wenn die Ortsregier­ung eingreift. 2022 war dann auch das Jahr, in dem 6.030 Angestellt­e allein der großen Banken Santander, BBVA, CaixaBank, Sabadell, Unicaja und Bankinter ihren Job verloren, da – im Sinn der digitalen Strategie – seit dem 1. Januar 1.200 Zweigstell­en für immer ihre Türen schlossen.

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Fotos: S. Wieczorek/dpa/Hipoo Ex-Filialen geben trauriges Bild ab.
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Der technische Wandel kann Ältere mitnehmen, glaubt Hipoo.

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