Graubners Bronzestadt
Von einem Österreicher, der auszog, um eine spanische Gemeinde vor 250 Jahren für neue Zeiten in Form zu bringen
In der Geschichte gibt es die Gaudís oder Picassos, die durch ihr famoses Talent selbst großen Städten ihren Stempel aufdrückten. Dann gibt es Leute wie Juan Jorge Graubner. Nie von ihm gehört? Wahrscheinlich. Dabei gelang es dem Österreicher, eine spanische Stadt grundlegend zu wandeln – ja, sie sozusagen in eine neue Form zu gießen und auf diese Weise ihr Überleben zu sichern. Die Rede ist von Riópar, der Bronzestadt in der Provinz Albacete.
Für eine Gestalt, die mindestens regional eine Ära prägte, ist über Graubner überraschend wenig bekannt. Es muss ein rastloser und tüchtiger Geist gewesen sein, der sein Handwerk – die Metallverarbeitung – liebte. Logisch, dass es den 1736 in Wien Geborenen in seinen Studienjahren nach Goslar verschlug, die Stadt der wertvollen Erze. Mit 22 Jahren hatte er es dort in der Tasche: das Diplom eines fertigen Metallingenieurs.
Die Ferne aber rief den begeisterten Reisenden, und Graubner landete in Madrid. Das nun Spanien regierende Königshaus Bourbon setzte nach Jahren der Kriege in Europa sehr auf Technik und Wissenschaft – und das reizte den jungen Österreicher, dem das spanische Wesen irgendwie besonders lag. Tatsächlich gelang es Graubner – allein dafür kann man ihm gratulieren –,
in Spanien seinen deutschen Ingenieurstitel anerkennen zu lassen.
Vielleicht kam dabei schon der Trick mit dem Namenswechsel zur Geltung: Aus (wahrscheinlich) Hans Georg machte der Wahlspanier Juan Jorge, und nahm bald die spanische Nationalität an. Keineswegs ein dicker Fisch, ging der pfiffige Einwanderer in der Hauptstadt ab wie ein Fisch im Wasser.
Kontaktfreudig kam er an hohe Aufträge –
und verwaltete prompt die Wasserpumpen der Madrider Feuerwehr. Lizenzen des Königlichen
Rats für Handel,
Münzen und Bergbau machten den Österreicher zum offiziellen Gießer, dessen Produkte aus Bronze bis Messing, mechanische und hydraulische Teile und manch eigene Erfindung das Wappen des Königs von Spanien tragen durften.
Privat lief es auch: Mit María Gertrudis Ópiz ging Graubner die Ehe ein. Leider starb sie früh, wonach er mit Vicenta Ortineri eine weitere Spanierin heiratete. Aber nicht die Liebe zu einer Frau brachte ihn auf das kuriose Lebensziel – Riópar.
Von dort, dem Rande Albacetes zu Murcia, ging eine Nachricht ein, die das bronzene Herz Graubners hochschlagen ließ: Eine Mine sei entdeckt worden. Und darin werde Galmei gefördert – eine Mineralmischung, die es so in ganz Spanien nirgendwo gab.
Glühend zum König
Galmei ist kein Gold. Aber für damalige Metallprodukteure war der – etwa für die Herstellung von Messing – überaus nützliche Stoff wie Gold. Eine glühende Vision flammte in Graubners innerem Auge auf: Das Bild seiner Studienstadt Goslar erschien. Aber anders, neu, in Spanien verortet. Graubner zuckte: Könnte nicht hier, in seiner Wahlheimat, eine zweite europäische Metallhauptstadt erwachsen?
Ja, genau das würde er tun – eine Fabrik bauen, in Riópar, in der Nachbarschaft der einzigartigen Galmei-Mine. Dem ganzen Land würde das Werk zugute kommen. Und es würde den Titel einer „ Fábrica Real“(königliche Fabrik) tragen. Frech brachte Graubner anno 1771 seine Vision nicht irgendjemandem vor, sondern dem spanischen König. Und Carlos III. sagte zumindest nicht „ no“, sondern gab etwas später sogar grünes Licht.
Am 19. Februar 1773 war es soweit – 250 Jahre sind nun exakt vergangen –, als Graubner die königliche Urkunde in den Händen hielt, die dem Unternehmer ein unglaubliches Privileg zuteilte. Am Bach Gollizo fand der Ingenieur einen guten Standort und ließ die im heutigen Riópar als Reales Fábricas de Bronce y Latón (Königliche Fabriken für Bronze und Messing) bekannte Anlage erwachsen.
Man darf sie sich nicht als abgesonderte Fabrikhalle irgendwo im Industriegebiet vorstellen. Es war eine andere Zeit, ein Vierteljahrtausend vor der mobilen, digitalen Normalität. Arbeiter mussten vor Ort leben, ein Zuhause haben.
Ein solches entwarf Graubner, indem er eine Siedlung rund um die Produktionsstätte im Tal unterhalb des eigentlichen Riópar entwarf.
Dieses, ein Dorf auf dem Berggipfel fern vom Schuss, war bereits in der Bronze-Ära errichtet worden und fortan kontinuierlich bewohnt. Es ergab sich aber just in Graubners bewegten Zeiten, dass der historische Gemeindeverband Cinco Villas, zu dem das alte Riópar gehörte, sein Ende erlebte. Bewohner verloren ihre Rechte und fürchteten um ihre Existenz.
Wie gerufen kam da jener Einwanderer aus dem Norden mit seiner Fabrik im Tal, über die jeder im Umkreis sprach. Immer mehr
große Ideen auch in Sachen Gemeindeentwicklung kamen dem Unternehmer, der für seine Projekte jedoch mehr Geld brauchte.
Als ihm ein staatlicher Kredit versagt blieb, ging er mit der Stadt Alcaraz einen Pakt ein und wandelte das bisherige Privat- in ein Gemeinschaftsunternehmen. Graubner gab damit Kontrolle ab, blieb aber Generaldirektor. Bald jedoch stellten sich die Nachteile des riskanten Schritts ein. Mit Alcaraz gab es Differenzen. Ein geplantes, für die Arbeiterausbildung gedachtes Nebenwerk wurde nie gebaut.
Allerdings wuchs – auch durch eine Förderinitiative der Regierung – Graubners Werk stetig. Zur Niederlassung San Juan mit vier unterirdischen Öfen im heutigen Ort Riópar gesellte sich die zweite, San Jorge, nahe der Mine am Fuß des heutigen Naturpark-Gebirges Los Calares del Mundo.
Letztes Mal „El Dorado“
1785 kam es auf Betreiben des Grafen von Campomanes zur Verstaatlichung der Fabriken. Dies jedoch etablierte sie endgültig, und ihre Produktivität zog ordentlich an. Graubner, noch als Direktor für die technische Seite am Steuer, sah, wie sein Unternehmen nun richtig durchbrach, wie der Río Mundo, Ríopars Bergfluss, durch seine spektakuläre Felsenquelle.
Ganz Spanien wollte glänzende Metallprodukte der Reales Fábricas, und alsbald regte sich auch internationales Interesse. Bald war die wieder privatisierte Firma in der Lage, im Ausland moderne Technik zu beschaffen, dank der man sogar Medaillengewinne auf globalen Fachmessen feierte: Madrid (1850), London (1862), Philadelphia (1876), Paris (1878, 1889), Barcelona (1888) Riópar spielte in der Champions League der Metallindustrie.
Kirchen hüllten ihre Kerzen in Metall aus der Bronzestadt. Klinken aus Riópar gab man sich im edlen Spanien in die Hand. Ein unvermeidlicher Kunde klopfte natürlich auch an, die Waffenindus
trie, und bediente sich seit 1869 an Patronen Made in Riópar.
Als sogar Spaniens Regentin Maria Christina von Österreich als Aktionärin einstieg, war ihr Landsmann, der die Fabriken begründet hatte, längst ferne Geschichte. 1801 starb Graubner in Spanien und erlebte auch nicht mehr, wie sich mitten im Boom der Metallfabrik schon ihr Niedergang abzeichnete.
Die Bergbaukrise, der Aufstieg der Zinkindustrie im Norden und der immer stärker als ungünstig wahrgenommene Standort im Albacete-Nirgendwo setzte den Reales Fábricas zu, die im Bürgerkrieg nochmals intensiv den spanischen Tötungswahn bedienten. Ein Hoch noch erlebte das Werk in Francos Nachkriegsspanien, als es für die Herstellung von Utensilien aus
Bronze, Silber und Neusilber 400 Arbeiter unter Vertrag nahm.
Rekordhafte 3.000 Bewohner zählte das Fabrikdorf, das man zum letzten Mal als „ El Dorado“feierte, bevor die neuen liberalen Zeiten dem alten Metallwerk die endgültige Krise brachten. In den 80ern noch als Arbeitergesellschaft gerettet, machte die Real Fábrica 1996 das Licht aus. Aber ausgerechnet da vervollständigte sich das Vermächtnis des Juan Jorge Graubner.
Denn Spaniens Regierung erfüllte 1997 einen Wunsch der Ortschaft. Die längst zum hübschen Lebensmittelpunkt der Gegend gewordene Arbeitersiedlung im Tal erhielt einen neuen Namen, und der lautete – übernommen vom abgelegenen überholten Dorf – Riópar.
Auf diese Weise wurde der Österreicher – 225 Jahre nach der Fabrikgründung – zum Garanten für das Überleben der Gemeinde auch im 21. Jahrhundert. Nun steht NeuRiópar vor der Aufgabe, für die teils ruinösen, teils hübsch herge
stellten Hallen der Reales Fábricas neue Zwecke zu finden. Von Kultur über Gastronomie bis Tourismus gibt es so manche glühende Visionen, aber auch noch viel Arbeit.
Ein Mutmacher schaut auf dem Rathausplatz freundlich drein: Die Figur des Metallverarbeiters. Gewidmet ist sie Juan Jorge Graub
Am 19. Februar 1773 hielt Graubner das unglaubliche Privileg in der Hand
ner, aber zugleich „ allen Männern und Frauen, die in den Reales Fábricas de Bronce arbeiteten“.
Auch wenn sie ihn nicht direkt darstellt, passt die Würdigung zu Riópars Österreicher: Kein goldener Pokal für die eigene Ehre, sondern eine kollektive Huldigung aus dem Material der Bronzestadt.