Viel Wind um die Windkraft
„Windkraft ja, aber nicht so“: Spaniens Ökostrom-Branche reagiert alarmiert auf wachsenden Widerstand
Es gibt hierzulande kaum eine öffentlichkeitswirksamere Bühne als die Verleihung der Goya-Preise, des spanischen Pendants zu den OscarPrämierungen. Der renommierte Filmregisseur Rodrigo Sorogoyen, mehrfacher Preisträger allein in diesem Jahr, nutzte die Bühne in Sevilla zu einem markanten Spruch: „ Windkraft ja, aber nicht so!“. Er spielte damit auf ein Projekt in den galicischen Bergen von Pontevedra an, das auch in seinem preisgekrönten Thriller „ As Bestas“(Galicisch: Die Bestien) indirekt eine Rolle spielt. Dort, wo sich seit Jahrhunderten Tausende von Wildpferden tummeln, hat die Regionalregierung von Galicien einen Mega-Windpark genehmigt. Der Wahnsinn pur.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ohne Rücksicht auf lokale Besonderheiten oder soziale Verhältnisse ist zu einem Problem in Spanien geworden. Wie schon zu Zeiten des wilden Immobilienbooms geht es vielfach nur um Profit. Der Widerstand dagegen wächst. Und in Sorogoyen hat er einen prominenten und mächtigen Fürsprecher gewonnen.
Branche ist alarmiert
Die Windkraft- und Solarbranche reagierte jedenfalls alarmiert auf den Spruch des Filmemachers. „ Wir sind besorgt und beunruhigt. Weil wir die Argumente nicht verstehen, die dahinter strecken“, sagte der Chef der Vereinigung der Windkraft-Unternehmer (EAA), Juan Virgilio Márquez, gegenüber der Zeitung „ El País“. Er führt „ die Alarmstimmung“und „ die negative Einstellung“einiger Gruppen auf die Vorurteile zurück, „ das alles, was an Megawatt vorgeschlagen, dann auch installiert wird“. Viele Projekte würden schließlich auf der Strecke bleiben. Es sei bedauerlich, sagte Márquez, mitansehen zu müssen, „ wie die Windkraft oder die Erneuerbaren Energien allgemein betrachtet werden, als seien sie gegen die Menschen gerichtet. Das Gegenteil ist der Fall“. Was Sorogoyen gesagt habe, „ ist nur das iTüpfelchen. Wir haben seit Jahren einen Diskurs in diese Richtung. Aber bislang war es kein großes mediales Thema“.
Kollege José Donoso vom Photovoltaik-Dachverband (Unef) argumentiert ähnlich. Die soziale Opposition gegen Erneuerbare Energien „ war klar rückläufig. Die Worte des Regisseurs von ‚ As Bestas‘ haben sie wiederbelebt“. Die Branche brauche soziale und politische Unterstützung, sagte Donoso. „ Wir sehen, wie Parteien der extremen Rechten und Linken den Widerstand als Banner nutzen, besonders in einem Wahljahr.“In den meisten Ortschaften, in denen große Solarparks geplant würden, sei das Gegenteil zu erleben. „ Die Leute wollen die Anlagen, weil sie eine wirtschaftliche Chance bedeuten. Das Problem ist, dass diese Fälle, in denen die Leute zufrieden damit sind, nicht an die Öffentlichkeit gelangen“, sagte der Unef-Vorsitzende.
José María González Moya von der Vereinigung der Unternehmen in Erneuerbarer Energie (Appa) glaubt, dass noch immer eine Mehrheit Wind- und Solarkraft unterstützte. „ Der soziale Protest ist noch nicht alarmierend, aber bietet Anlass zur Sorge, denn das Problem könnte sein, dass wir uns als Gesell
schaft davon angesteckt sehen“, sagte González Moya. Und ergänzte: „ Seit Jahrzehnten haben wir die Existenz von Stromleitungen und Autobahnen optisch verinnerlicht. Und genauso werden wir uns an Windkraftanlagen und Photovoltaik-Paneele gewöhnen.“
Spaniens Energieministerin Teresa Ribera meldete sich in „ El País“zu Wort: „ Die Erneuerbaren Energien sollten verantwortlich agieren. Nicht alles ist erlaubt. Aber man sollte sich auch nicht von der Idee leiten lassen, dass man auf mittlere und große Anlagen verzichten könne“, sagte Ribera. „ Alle Anlagen müssen die höchsten Umweltgarantien erfüllen und einen wirtschaftlichen Nutzen für die betroffenen Gemeinen erbringen. Deshalb müssen alle Projektplaner von Anfang an mit den Menschen dort, wo sie die Anlagen installieren wollen, zusammenarbeiten.
Pedro Fresco, Ministerialdirektor für ökologischen Übergang in der Region Valencia, sieht seit Monaten „ ein klares Risiko“im Aufkommen einer gegen Erneuerbare Energien gerichteten Debatte. „ Das erscheint vielleicht als etwas Punktuelles. Aber seit einigen Jahren steigt die Ablehnung. Das lässt sich nicht mehr ignorieren.“Für den ökologischen Übergang, so Fresko, würden noch 200 Gigawatt an Photovoltaik fehlen. Das wären drei Paneele pro Spanier. Daneben bräuchte es noch 150 Gigawatt an Windkraft. Die Erneuerbaren Energie seien der einzige pragmatische Weg, um die schlimmsten Szenarien des Klimawandels zu vermeiden.
Fernando Ferrando ist Präsident der Stiftung Erneuerbare Energien, die die Bevölkerung für den energetischen Umbau sensibilisieren will. Er sieht die Sache etwas differenzierter. Probleme, so sagte er, würden sich vor allem auf mittlere und längere Sicht ergeben. „ Die Ziele für den ökologischen Umbau in den 40er und 50er Jahre können in Gefahr sein wegen der Art und Weise, wie das derzeit abläuft“, sagte Fernando. Es fehlt an Dialogbereitschaft mit den ländlichen Gemeinden, auf deren Territorium die Anlagen aufgestellt würden. Im Moment werde eine Art Politik der verbrannten Erde betrieben, „ die für ein negatives Echo sorgt“. Die Stiftung sei keineswegs gegen Großanlagen. „ Uns ist schon klar, dass wir nur mit Eigenverbrauch und Solardächern die Ziele nicht schaffen werden, aber es bedarf einer vernünftigen Abstufung.“
Die Greenpeace-Direktorin für Spanien, Eva Saldaña, spricht aus, dass die Zentralregierung mit ihrem Dekret, das Projekte, die unabhängig von ihrer Größe als strategisch wichtig angesehen werden, von einer gründlichen Umweltverträglichkeitsprüfung freistelle, das Gleichgewicht zwischen Bürger- und Industrieinteresse störe. Diese Flexibilisierung im Umweltverfahren, die es unter anderen ihrer Organisation verbiete, Einwände gegen Projekte vorzubringen, „ ist ein großer Fehler der Regierung“, damit sei Projektplanern freie Hand gegeben worden.
Weitere 300 Projekte auf Liste
„Seit einigen Jahren steigt die Ablehnung. Das lässt sich nicht ignorieren“
Um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was an Ökostrom-Anlagen auf Spaniens Orte zukommt, reicht ein Blick auf den jüngsten Genehmigungsprozess. Großprojekte ab einer Leistung von 50 Megawatt bedürfen der abschließenden Zustimmung des Energieministeriums in Sachen Umweltverträglichkeit. 50 Megawatt entsprechen in etwa der Leistung von 20 Windkraftanlagen. Mit Stichtag 25. Januar standen im Ministerium noch 202 Großprojekte zur Genehmigung an. Davon wurden 152 Projekte in 130 Solarparks mit 42.500 Hektar und 22 Windparks mit fast 500 Windrädern „ durchgewunken“, für zusammen 28.000 Megawatt.
Betroffen von den Plänen sind 243 Ortschaften. Beantragt wurden die Parks von 36 Unternehmen und Investmentfonds. Es dominieren Iberdrola, Enel (Endesa) und TotalEnergies. Der nächste Stichtag für die 152 Projekte ist der 25. Juni 2025. Bis dahin muss die Betriebsgenehmigung erteilt sein. Unterdessen stehen laut Energieministerium 300 weitere Großprojekte auf der Bearbeitungsliste für die Umwelt-Genehmigung.