Ausgerechnet Torrevieja
Wie kamen die vielen Nordeuropäer in die Salinen-Urbanisationen? Der etwas andere Ausflugstipp
Sonne, Strand und günstige Mieten. Die Faszination von Nordeuropäern, sich eine Ferienunterkunft in Spanien – genauer: an der Costa Blanca – zu suchen, ist nichts Ungewöhnliches. Dennoch fällt auf, dass einige Städte dafür beliebter sind als andere. Man kennt die Wolkenkratzer aus Benidorm oder die nicht endenden Neubauten in Calpe. Also warum ausgerechnet zieht es die Menschen seit Jahrzehnten nach Torrevieja?
Ursprünglich war Torrevieja bekannt für die Salzgewinnung, den Fischfang und die Schifffahrt. Ab den 60er Jahren begann sich jedoch einiges zu ändern.
Eins, zwei, drei – gewonnen
Mit der spanischen Fernsehshow der 70er bis 90er Jahre „ Un, dos, tres, responda otra vez“wurde Torrevieja in ganz Spanien bekannt. Unternehmer Julio Quesada mit seiner Firma Manoli S.A, der an der Costa Blanca Ferienwohnungen baute, handelte einen Deal mit der Fernsehsendung aus. Nach Vorbild des Baumeisters aus Málaga, Antonio Toré Toré, begann er seine Wohnungen in Torrevieja als Hauptgewinn der Sendung anzubieten. Im Gegenzug wurden die Wohnungen zum gesellschaftlichen Status beworben – eine Ferienwohnung in Torrevieja war das Ziel der Arbeiterklasse.
Immer mehr Menschen zog es nach Torrevieja, und der Tourismus begann zu boomen. Das Tourismuswachstumsmodell der Stadt verstärkte den Fokus auf den Wohnaspekt. Schnell gebaute, billige Bungalows verwandelten sich zu Siedlungen. Teilweise in Gegenden, die nicht richtig erschlossen waren. Viel zu nah an Feldern und den rosafarbene Lagunen entstand unter anderem Torreta.
Viele der 50-QuadratmeterBungalows, die dort stehen, gehörten zum Hauptpreis der spanischen Fernsehsendung. Wenn man in die Siedlung hineinfährt, fühlt man sich wie in einem Videospiel. Häuser à la Copy-Paste stehen aneinandergereiht teilweise hinter elektrischen Zäunen, teilweise über löchrige Schotterwege erreichbar.
Gabriele Prinz wohnt in einem dieser Bungalows. Vor 23 Jahren kauften sie und ihr Mann diese Ferienwohnung in Spanien. „ Davor haben wir schon öfter Urlaub in San Juan de Alicante gemacht“, sagt sie. Die Gegend sei für sie definitiv die Richtige gewesen. Es war gemütlich, der alicantinische Stil gefiel – nur die Hochhäuser störten sie ein wenig. In Torreta gab es die dagegen nicht.
Massenverkauf in Europa
Gabriele Prinz gehört zur Welle von Nordeuropäern, die zur Jahrhundertwende ihren saisonalen Zweitwohnsitz an der Costa Blanca wählten. Nachdem der spanische Markt vor allem durch Menschen aus dem Großraum Madrid gesättigt war, wurde der europäische Markt in Angriff genommen. In den 80ern begannen Masa International, das früher Manoli S.A hieß, und die Firma „ Edificios Toto, SL mit Massenverkäufen an
Europäer. Im Sinne der großen Werbeaktion reisten Teams der Firmen durch Deutschland, Belgien und ganz Europa und verkauften eimerweise Off-PlanWohnungen. Gabriele Prinz berichtet von Angeboten Masas für Besichtigungstouren der Domizile inklusive Flug von Deutschland nach Torrevieja.
Damals beliefen sich Baukosten auf circa eine Million Peseten, also umgerechnet etwa 6.000 Euro. Verkauft wurden die Massen-Bungalows dann für jeweils 25.000 Deutsche Mark.
Europäer dachten, dass sie ein Schnäppchen gemacht hatten, und bei den spanischen Baufirmen klingelte das Geld in den Kassen. Das Schnäppchen kam jedoch ohne explizite Vorwarnung. Die rasche Kaufentscheidung zeigte in den letzten 20 Jahren, welche Folgen schnelle Billig-Siedlungen mit sich bringen.
Vor allem Torreta III ist berühmt für den Pfusch, den sich die Bauunternehmer damals geleistet hatten. Masa International baute
Torreta III auf Feuchtgebieten mit Salzwiesen, sogenannten Saladar. Da der Bauunternehmer nicht darauf gewartet hatte, bis das Gebiet erschlossen war, ist die Urbanisation verwaltungstechnisch nie als solche in die Stadt eingegliedert worden. Demnach ist die Stadt auch nicht für die Erhaltungskosten verantwortlich.
Dies führte dazu, dass Torreta III nach und nach verwahrloste. Grünflächen wurden nicht gepflegt, kaputte Straßenlaternen nicht repariert, Straßenschäden nicht behoben.
Um den Problemen entgegenzutreten, schlossen sich Eigentümergemeinschaften zusammen und kamen für einige Kosten auf. Dennoch ließen sie nichts unversucht und klagten ihren Status als Urbanisation von Torrevieja ein. Das Oberlandesgericht Valencia und Spaniens Oberster Gerichtshof gaben jedoch dem Rathaus recht. Torreta III zählt weiterhin nicht zu den Vierteln der Stadt Torrevieja.
Mittlerweile kommt hinzu, dass viele der früheren Eigentümer verstorben sind. Erben haben kein Interesse am Domizil oder sind gar erst vorhanden. Geschweige von denen, die sich nach den ersten Anzeichen von Verfall aus dem Staub gemacht hatten. Über die Jahre sind von den circa 500 Einzel- oder Doppelhaushälften nur noch 100 bewohnt.
Neue Bewohner im Leerstand
Dies bereitet den idealen Nährboden für das nächste Problem. Torreta stellt mit den dauerhaft leer stehenden Bungalows den perfekten Ort für Hausbesetzer, sogenannten Ocupas, dar. Die Hausbesetzer handeln oftmals aus überlappenden Motiven. Sei es eigener Wohnungsmangel, Obdachlosigkeit oder Protest gegen spekulativen Leerstand und die steigenden Mieten. Größtenteils sind sie den Residenten ein Dorn im Auge.
Vereinzelt kam es zu Einigungen von Eigentümern und Ocupas, bei denen am Ende ein Mietvertrag ausgehandelt wurde. Der überwiegende Teil passiert jedoch durch illegale Hausbesetzungen, bei denen die Nachbarschaft eingreifen muss.
Ein weiteres Ärgernis für Torreta-Bewohnerin Gabriele Prinz ist der avantgardistische Kurpavillon des japanischen Star-Architekten Toyoo Ito. Das 2006 fertiggestellte Balneario „ La Caracola“sollte für 1,6 Millionen Euro den Tourismus auf Wellness-Ebene ankurbeln. Die Weltfinanzkrise ließ das Projekt stoppen. Seitdem vegetiert das Mahnmal des Größenwahns vor sich hin und verwandelte sich zum Treffpunkt für Jugendliche und Drogenabhängige. „ Mit der Zeit ist es immer mehr zugewuchert. Jetzt
wurde das Umland um die Cucaracha (Kakerlake) gerodet und man hat einen perfekten Blick auf den Schandfleck“, regt sich Gabriele Prinz auf. Insgesamt schaffe die Stadt es, viel Geld in andere Sachen zu stecken, aber nicht in den Abriss von diesem Odium.
Dennoch scheinen bei Gesprächen mit deutschen Residenten die negativen Aspekte des Gebiets beim Angesicht der Positiven zu verpuffen. Keiner von ihnen würde den Kauf des Domizils in Torreta oder La Mata bereuen.
Siedlung statt Innenstadt
Niemand von ihnen wohnt in der Innenstadt Torreviejas, sondern in den Urbanisationen darum verteilt. Im Gegensatz zu deutschen Großstädten ist es in Spanien nicht unbedingt hoch angesehen, wenn man in der Innenstadt lebt.
In Torrevieja ist es genau umgekehrt. Während man in der Innenstadt Wohnraum zwischen 500 Euro und 600 Euro pro Monat mieten kann, starten die Preise in
den Urbanisationen meist bei 900 Euro pro Monat. Da der Hafen Torreviejas direkt an die Innenstadt anknüpft, spielte sich das Arbeitergeschehen der Einwohner seit dem 19. Jahrhundert hauptsächlich dort ab. Häuser wurden vor allem für die zunehmende Zahl an Salinenarbeiter gebaut.
Und dann ereignete sich 1829 das große Erdbeben in der Region. Dieses Beben zerstörte Torrevieja, Almoradí, Guardamar del Segura , Benejúzar , Rojales, Rafal und San Bartolomé vollständig. Beim Wiederaufbau entschied sich Ingenieur José Agustín de Larramendi für breite Straßen und relativ niedrige Häuser, aufgebaut im Schachbrettmuster. Definitiv sicherer im Falle eines Erdbebens – man könnte jedoch behaupten, dass Praktikabilität hier vor ein schönes Stadtbild gestellt wurde.
Kein Wunder also, wenn die Neubauten in den umliegenden Siedlungen beliebter für die europäischen Urlauber sind als eine enge kastige Wohnung in der Innen
stadt. Hinzu kommen die Gemeinschaften, die sich mit der Zeit dort entwickelt haben.
Wo viele ausländische Menschen leben, kommen mehrere unterschiedliche Kulturen zusammen. Mehr als die Hälfte der Einwohner Torreviejas sind Ausländer. Es überrascht also nicht, wenn die Öffnungszeiten einer Bar nicht nur auf Spanisch, sondern auch auf Deutsch, Englisch oder Russisch an der Scheibe stehen.
Man hält sich einfach viel mehr draußen auf und trifft die Nachbarschaft
Das verstärkt die Attraktivität dieser Gebiete. Unter Gleichgesinnten zu sein beschreiben Mitglieder der deutschen Wandergruppe „ Flotte Geher“als einen der größten Pluspunkte. Die Geselligkeit und Hilfsbereitschaft untereinander sei eine andere als in Deutschland. Auch die einheimischen Spanier würden den Deutschen sehr positiv und respektvoll gegenübertreten. „ Selbst die Stadträtin setzt sich für uns Deutsche ein“, bestätigt Bernd Zimmermann, Mitglied der „ Gemäßigten Geher“Torreviejas.
Gabriele Prinz kann dem zustimmen: „ Es ist viel heller und wärmer als in Deutschland. Man hält sich einfach viel mehr draußen auf und trifft die Nachbarschaft.“In Torrevieja hatte es im vergangenen Jahr 320 Sonnentage und selbst im Winter wurde es kaum kälter als zehn Grad. Von der Wissenschaft ist es längst bewiesen, dass das Wetter einen Einfluss auf unsere Laune und unser Wohlbefinden hat.
Das Prinzip ist sehr einfach: Sonnenlicht lässt unseren Körper das Glückshormon Serotonin ausschütten. Dunkelheit hingegen das Schlafhormon Melatonin, das die Müdigkeit reguliert. Zu viel Melatonin lässt wiederum den Serotoninspiegel sinken. Hinzu kommt das Vitamin D3, das produziert wird, wenn Sonnenlicht auf die Haut fällt. Dieses Vitamin bestimmt, wie viel Serotonin und Melatonin gebildet werden.
Demnach macht Sonne den Menschen glücklicher. Ganz abgesehen davon, dass wir bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen mehr draußen sind, was uns sozialer, geselliger und damit glücklicher macht.
Trotz des vergleichsweise warmen Winters an der Costa Blanca scheint es doch noch größtenteils eine Feriengegend zu sein. Es gibt zwar einige Eigentümer, die in Torrevieja überwintern und dem heißen Sommer Spaniens wieder entfliehen. Dennoch beginnt der Tourismussektor erst so richtig wieder zum Sommer. „ La Mata ist im Winter tot“, findet Gabriele Prinz. Die Ferienwohnungen seien leer, keine Lichter würden mehr brennen, weil alle wieder zurück in der Heimat wären. Dementsprechend würden auch die Bars und Geschäfte in La Mata Winterschlaf machen.
Es scheint fast so, als wäre Torrevieja für den Sommer gerade gut genug. Sonne, schöne Strände, Golfplätze und mit ein paar Tapas am Meer ein perfekter Ort. Aber wenn die Menschen gehen, die Temperaturen sinken und die Geschäfte schließen, bleibt stellenweise gar nicht mehr so viel übrig.