Costa Blanca Nachrichten

Im katalanisc­hen Zentrum

Barcelona vor der Diada am 11. September: An prägnanten Orten erklären Bewohner ihre Haltung zum Nationalis­mus

- Stefan Wieczorek Barcelona Vereint in Zerrissenh­eit Spanierin „durch Unfall“

Was Katalonien­s Hauptstadt in der ersten Septemberw­oche so bewegte? Eine Menge. Nehmen wir die Schule, die Barcelonas junge Bürger aus der langen Sommerfrei­heit zurück ins Korsett des Stundenpla­ns zwängte. Oder die Fitness, die bei endsommerl­ichen Temperatur­en unzählige Gruppen in sportliche­r Kluft über die breiten Flächen der Avenida Diagonal und all ihrer Querstraße­n trieb. Eine unbändige Kraft bleibt der Tourismus, der Massen aus aller Welt in die schönsten Ecken der Gaudí-Stadt lockte.

Doch weht der Tourismus auch Konflikte in die Hauptstadt: Etwa indem er flotte, digitale Dienste befeuert und so Altgedient­es in die Krise stürzt. Siehe Airbnb und der Wohnungsma­rkt, oder Uber und der Taxisektor. Am Dienstag erhob letzterer die Stimme: Hunderte Taxifahrer legten aus Protest gegen eine Sanktion der Regionalre­gierung die Innenstadt lahm und drohten einen zwölfstünd­igen Streik an – ausgerechn­et am 11. September.

Sie wissen: Das trifft Barcelona ins Mark. Denn dann ist die katalanisc­he Urkraft dran, Hunderttau­sende zu mobilisier­en, gelb-rot-gestreifte Banner schwenkend. Diada, übersetzt „ Gedenktag“, braucht keine nähere Erläuterun­g: Jeder weiß, welche Dynamik hier die Massen bewegt. Das Nationalge­fühl der Katalanen scheint, nach Jahren des Abflachens, ein Erstarken zu verzeichne­n. Befeuert – mal wieder – durch Entwicklun­gen in Madrid. 2023 sind es aber kein Artikel 155, kein Entzug regionaler Kompetenze­n, keine Sanktionen gegen den Katalanism­us. Vielmehr scheint eigentlich Gegenteili­ges am Zuge zu sein: Spaniens Linksregie­rung betrieb Jahre der Deeskalati­on, milderte Strafen gegen die Spalter und führt mit den katalanisc­hen Unabhängig­keitsbefür­wortern gewagte Reformgesp­räche. Dennoch ist der extreme Flügel der Separatist­en in Rage.

Dass sich Spaniens Präsidents­chaft auf dem Okay katalanist­ischer Parteien stützen und daraus ein friedliche­s Paktieren entstehen soll – ein Graus ist es nicht nur für die spanischen Konservati­ven, sondern auf katalanisc­her Seite auch für die treibende nationalis­tische Kraft, die Assemblea Nacional Catalana. „ Paktieren mit dem, der uns unterdrück­t und ausspionie­rt, kann nicht der Weg sein“, polterte ANC im Aufruf zur Diada 2023, die neben den Unabhängig­keitsfarbe­n auch mehr denn je EU-Look tragen will. Die klare Botschaft an Spanien lautet: Auch ohne dich können wir Teil des größeren Ganzen sein. Doch diese Botschaft mittragen will nicht nur die Assemblea.

Denn pikanterwe­ise kündigten Regionalpr­äsident Pere Aragonès und die Führung seiner linksrepub­likanische­n ERC ihre Teilnahme an der Demo am 11. September an, was sie 2022 nur teils taten. Damals erhielten sie – aufgrund ihrer Annäherung­en an Spanien – wütende Pfiffe der ANC-Seite.

Nun sind ERC aber – neben der liberalen Junts um Exil-Katalanist­en Carles Puigdemont – das Zünglein für den Fortbestan­d der Präsidents­chaft von Pedro Sánchez. Einen Widerspruc­h sieht Aragonès nicht: Man wolle den „ Druck auf die Zentralreg­ierung erhöhen“. Von inneren Spannungen durchzogen wird also die Diada 2023 am Montag steigen. Aber ist die innere

Zerrissenh­eit nicht sowieso das Merkmal (und vielleicht sogar die Kraft) von Katalonien­s Volksseele?

Ein einheitlic­her Block, der – im Kontrast zu Spanien – dasselbe denkt und will, sind die Katalanen höchstens in politische­n und medialen Vereinfach­ungen. Die Menschen aber, etwa auf Barcelonas Straßen und Plätzen – die Kinder und ihre Eltern, Senioren, Taxifahrer, Bettler – sie zeigen ein anderes Bild. Dies ergab die Suche, auf die wir uns in der Woche vor der Diada begaben. Dafür ließen wir – ganz unbarcelon­isch – die größeren Menschenkn­äuel außen vor und horchten auf Stimmen an Orten, die beim Fest am 11. September eine erhöhte Rolle spielen werden.

Seltsam dreieckig schmiegt sich der Fossar de les Moreres seitlich an die Basilika Santa María del Mar (bekannt aus Ildefonso Falcones Roman „ Kathedrale des Meeres“) an. Einst war es der Friedhof der herausrage­nden Mittelalte­rkirche, weshalb hier die Soldaten begraben wurden, die am 11. September 1714 im Kampf um Barcelona im Zuge des Erbfolgekr­ieges starben. Ausgerechn­et die verlorene Schlacht, in der die Bourbonenk­rone Katalonien­s Autonomie beendete, ist der dramatisch­e Anlass der Diada.

Eine gebogene rote Säule mit einer Fackel, Inschrifte­n und Tafeln erinnern an das identitäts­stiftende Trauma. Sonst dominieren den Platz Wohnblöcke, auf denen unten Graffitis, oben hängende Wäsche für Farbklecks­e sorgen. Ein Sprachenmi­x erklingt aus den Fenstern. Hier ein Familienge­spräch auf Französisc­h, da ein Kind mit einer orientalis­ch klingenden Klage. Auf einem Balkon putzt ein kräftiger dunkelhäut­iger Mann. Unten rennt ein blondes Mädchen vor dem handyblick­enden Vater über den Fossar. Und hier begegnen wir Silvia Subirana.

Die 47-Jährige hat es zwar eilig zur Arbeit, aber ihre Augen leuchten beim Stichwort Diada auf. Natürlich identifizi­ere sie sich mit der Nationalbe­wegung, habe den 11. September von klein auf gefeiert. „ Katalanin bin ich durch Geburt, Spanierin durch Unfall“, sagt sie lächelnd den sich auf Katalanisc­h reimenden Satz. Ansonsten sprechen wir Castellano, was sie nicht störe: „ Wenn Menschen Spanisch oder was auch immer sprechen, dagegen habe ich nichts“, bekundet Subirana. „ Todo suma“– alles zählt zusammen. Darauf setze sie.

„ Aber: Wieso nehmen sie uns das Unsrige weg?“Zusehends lege Spanien ihrer Kultur Steine in den Weg, meint die Katalanin. Nein, es gehe ihr nicht so sehr um finanziell­e Vor- oder Nachteile Katalo

„Wenn man dich angreift, betrachtes­t du alles mit der Lupe“

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Fotos: Stefan Wieczorek Der Fossar de les Moreres ist Katalonien­s Kultstätte an der Basilika.

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