Im katalanischen Zentrum
Barcelona vor der Diada am 11. September: An prägnanten Orten erklären Bewohner ihre Haltung zum Nationalismus
Was Kataloniens Hauptstadt in der ersten Septemberwoche so bewegte? Eine Menge. Nehmen wir die Schule, die Barcelonas junge Bürger aus der langen Sommerfreiheit zurück ins Korsett des Stundenplans zwängte. Oder die Fitness, die bei endsommerlichen Temperaturen unzählige Gruppen in sportlicher Kluft über die breiten Flächen der Avenida Diagonal und all ihrer Querstraßen trieb. Eine unbändige Kraft bleibt der Tourismus, der Massen aus aller Welt in die schönsten Ecken der Gaudí-Stadt lockte.
Doch weht der Tourismus auch Konflikte in die Hauptstadt: Etwa indem er flotte, digitale Dienste befeuert und so Altgedientes in die Krise stürzt. Siehe Airbnb und der Wohnungsmarkt, oder Uber und der Taxisektor. Am Dienstag erhob letzterer die Stimme: Hunderte Taxifahrer legten aus Protest gegen eine Sanktion der Regionalregierung die Innenstadt lahm und drohten einen zwölfstündigen Streik an – ausgerechnet am 11. September.
Sie wissen: Das trifft Barcelona ins Mark. Denn dann ist die katalanische Urkraft dran, Hunderttausende zu mobilisieren, gelb-rot-gestreifte Banner schwenkend. Diada, übersetzt „ Gedenktag“, braucht keine nähere Erläuterung: Jeder weiß, welche Dynamik hier die Massen bewegt. Das Nationalgefühl der Katalanen scheint, nach Jahren des Abflachens, ein Erstarken zu verzeichnen. Befeuert – mal wieder – durch Entwicklungen in Madrid. 2023 sind es aber kein Artikel 155, kein Entzug regionaler Kompetenzen, keine Sanktionen gegen den Katalanismus. Vielmehr scheint eigentlich Gegenteiliges am Zuge zu sein: Spaniens Linksregierung betrieb Jahre der Deeskalation, milderte Strafen gegen die Spalter und führt mit den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern gewagte Reformgespräche. Dennoch ist der extreme Flügel der Separatisten in Rage.
Dass sich Spaniens Präsidentschaft auf dem Okay katalanistischer Parteien stützen und daraus ein friedliches Paktieren entstehen soll – ein Graus ist es nicht nur für die spanischen Konservativen, sondern auf katalanischer Seite auch für die treibende nationalistische Kraft, die Assemblea Nacional Catalana. „ Paktieren mit dem, der uns unterdrückt und ausspioniert, kann nicht der Weg sein“, polterte ANC im Aufruf zur Diada 2023, die neben den Unabhängigkeitsfarben auch mehr denn je EU-Look tragen will. Die klare Botschaft an Spanien lautet: Auch ohne dich können wir Teil des größeren Ganzen sein. Doch diese Botschaft mittragen will nicht nur die Assemblea.
Denn pikanterweise kündigten Regionalpräsident Pere Aragonès und die Führung seiner linksrepublikanischen ERC ihre Teilnahme an der Demo am 11. September an, was sie 2022 nur teils taten. Damals erhielten sie – aufgrund ihrer Annäherungen an Spanien – wütende Pfiffe der ANC-Seite.
Nun sind ERC aber – neben der liberalen Junts um Exil-Katalanisten Carles Puigdemont – das Zünglein für den Fortbestand der Präsidentschaft von Pedro Sánchez. Einen Widerspruch sieht Aragonès nicht: Man wolle den „ Druck auf die Zentralregierung erhöhen“. Von inneren Spannungen durchzogen wird also die Diada 2023 am Montag steigen. Aber ist die innere
Zerrissenheit nicht sowieso das Merkmal (und vielleicht sogar die Kraft) von Kataloniens Volksseele?
Ein einheitlicher Block, der – im Kontrast zu Spanien – dasselbe denkt und will, sind die Katalanen höchstens in politischen und medialen Vereinfachungen. Die Menschen aber, etwa auf Barcelonas Straßen und Plätzen – die Kinder und ihre Eltern, Senioren, Taxifahrer, Bettler – sie zeigen ein anderes Bild. Dies ergab die Suche, auf die wir uns in der Woche vor der Diada begaben. Dafür ließen wir – ganz unbarcelonisch – die größeren Menschenknäuel außen vor und horchten auf Stimmen an Orten, die beim Fest am 11. September eine erhöhte Rolle spielen werden.
Seltsam dreieckig schmiegt sich der Fossar de les Moreres seitlich an die Basilika Santa María del Mar (bekannt aus Ildefonso Falcones Roman „ Kathedrale des Meeres“) an. Einst war es der Friedhof der herausragenden Mittelalterkirche, weshalb hier die Soldaten begraben wurden, die am 11. September 1714 im Kampf um Barcelona im Zuge des Erbfolgekrieges starben. Ausgerechnet die verlorene Schlacht, in der die Bourbonenkrone Kataloniens Autonomie beendete, ist der dramatische Anlass der Diada.
Eine gebogene rote Säule mit einer Fackel, Inschriften und Tafeln erinnern an das identitätsstiftende Trauma. Sonst dominieren den Platz Wohnblöcke, auf denen unten Graffitis, oben hängende Wäsche für Farbkleckse sorgen. Ein Sprachenmix erklingt aus den Fenstern. Hier ein Familiengespräch auf Französisch, da ein Kind mit einer orientalisch klingenden Klage. Auf einem Balkon putzt ein kräftiger dunkelhäutiger Mann. Unten rennt ein blondes Mädchen vor dem handyblickenden Vater über den Fossar. Und hier begegnen wir Silvia Subirana.
Die 47-Jährige hat es zwar eilig zur Arbeit, aber ihre Augen leuchten beim Stichwort Diada auf. Natürlich identifiziere sie sich mit der Nationalbewegung, habe den 11. September von klein auf gefeiert. „ Katalanin bin ich durch Geburt, Spanierin durch Unfall“, sagt sie lächelnd den sich auf Katalanisch reimenden Satz. Ansonsten sprechen wir Castellano, was sie nicht störe: „ Wenn Menschen Spanisch oder was auch immer sprechen, dagegen habe ich nichts“, bekundet Subirana. „ Todo suma“– alles zählt zusammen. Darauf setze sie.
„ Aber: Wieso nehmen sie uns das Unsrige weg?“Zusehends lege Spanien ihrer Kultur Steine in den Weg, meint die Katalanin. Nein, es gehe ihr nicht so sehr um finanzielle Vor- oder Nachteile Katalo
„Wenn man dich angreift, betrachtest du alles mit der Lupe“