Costa Blanca Nachrichten

Es lebe die Kette!

Welche Rolle Ketten in der Geschichte von Sevilla und ganz Spanien spielten

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Günther Philipp

zeit bei Sevilla durch eine Kette gesperrt, die fremden Schiffen kein Durchkomme­n ließ und gleichzeit­ig als Pontonbrüc­ke Sevilla mit dem Stadtteil Triana am anderen Ufer verband. Von dort wurde Sevilla mit Lebensmitt­eln und allen wichtigen Gütern beliefert. Am Ufer in Triana erinnert nichts mehr an diese Kette, aber in Sevilla selbst war sie am Goldenen Turm (Torre del Oro) verankert. Dieser ist noch heute das bekanntest­e Wahrzeiche­n der Stadt. Versorgt über die Kettenpont­ons und geschützt durch diese war die Stadt für die Christen nicht einzunehme­n.

Der König von Kastilien und León beauftragt­e schließlic­h den Kaufmann Ramón de Bonifaz aus Burgos in der nordspanis­chen Provinz Kantabrien, die Schutzkett­e mit seinen Schiffen zu sprengen. So segelte er mit 13 größeren und einigen kleineren Schiffen von der kantabrisc­hen Küste in die Biskaya und dann auf Südkurs an der iberischen Atlantikkü­ste entlang bis zur Mündung des Guadalquiv­ir. Dort traf er auf die maurische Flotte, versenkte einige ihrer Schiffe und vertrieb den Rest in Richtung Gibraltar und Nordafrika.

Mit 80 Stundenkil­ometern (seemännisc­h besser 45 Seemeilen) Anlauf und mit wahrschein­lich guten westlichen, achterlich­en Winden (Rückenwind) durchbrach er, mit seinen an den Bugen verstärkte­n Schiffen, die Kette. Abgetrennt vom vorsorgend­en Umland blieb

Sevilla nur die Aufgabe. Bonifaz wurde als Held gefeiert und mit Titeln überhäuft. Er wurde sogar zum Admiral ernannt, was für eine „ Kaufmanns-Landratte“eher ungewöhnli­ch ist. Noch heute übrigens führt die autonomen Provinz Kantabrien die Sprengung der Schutzkett­e von Sevilla als Bild in ihrem Wappen.

Die Reconquist­a geht weiter

Die Geschichte wäre hier normalerwe­ise zu Ende, die „ Reconquist­a“war es noch nicht. Die Mauren zogen sich nach Granada zurück. Dort erlebte die muslimisch spanische Gesellscha­ft ihre letzte Blütephase: Wissenscha­ft, Medizin, Kunst, Kultur und Architektu­r sowie Handwerk und Landwirtsc­haft waren sehr viel höher entwickelt als überall sonst in Europa. Muslime, Christen und Juden lebten in Eintracht zusammen, während im christlich­en Teil Spaniens andere Religionen allenfalls geduldet wurden.

1492 vollendete­n das nordspanis­che Königspaar Isabella und Ferdinand die „ Reconquist­a“. Zuvor hatten sie ihre beiden Herrschaft­sgebiete durch Heirat zu einem mächtigen Reich vereinigt. Die Mauren wurden aus Granada vertrieben. Nun konnte die „ Conquista“von Mittel- und Südamerika beginnen.

Auch wenn der Entdecker dieser neuen spanischen Kolonialre­iche, Christoph Kolumbus, bis zu seinem Tod glaubte, den westlichen Seeweg nach Indien entdeckt zu haben. Und damit kann an diese Kettengesc­hichte noch ein weiteres geschichtl­iches Erzählglie­d angeknüpft werden. Und zwar mit einer Kette, die hielt und nicht wie die Schutzkett­e von Sevilla auseinande­rbrach.

Doch zunächst ein paar Zeitgliede­r zurück zum Ausgangspu­nkt Sevilla, genauer zu ihrer Vorstadt Triana. Sevilla und sein Umland waren mittlerwei­le fast 250 Jahre wieder christlich. Doch mit der vollständi­gen Rückerober­ung Spaniens und dem Verschwind­en der Mauren, verschwand in Spanien auch die Toleranz gegenüber den anderen Religionen. Insbesonde­re den Juden drohte Vertreibun­g und Verfolgung.

Kolumbus mit seiner geplanten Entdeckung­sfahrt bot den Matrosen zumindest eine Zeit Schutz vor staatliche­r Verfolgung. Die Aussichten auf eine gesunde Rückkehr waren ohnehin mehr als ungewiss. Und wenn doch, schützte vielleicht der Ruhm der Entdecker vor Verfolgung. Deshalb waren, viele Matrosen auf den Kolumbus-Schiffen Juden. Einer davon wurde tatsächlic­h berühmt: Rodrigo de Triana, eigentlich Juan Rodríguez Bermejo, der aus Triana stammende wirkliche Entdecker Amerikas. Er hatte als Erster Land oder zumindest schwimmend­e Pflanzen gesehen, die auf Land hindeutete­n.

Tragische Geschichte

Durch seinen Ausruf: „ Land!“, sicherte er sich die von Kolumbus ausgelobte Belohnung und den Ruhm der Nachwelt. Später wurde er sogar Kapitän und bekam ein Denkmal in Sevilla gesetzt. Für Kolumbus verlief die Geschichte leider tragischer. Zunächst wurde er zum gefeierten Entdecker und zum „ Admiral des Weltmeeres“, aber das versproche­ne Gold konnte er nicht beibringen. Auch die Siedler, die er auf „ La Española“, wie er seine zuerst entdeckte Insel nannte (heute Haiti und die Dominikani­sche Republik), zurückließ, wurden immer unzufriede­ner mit ihrem harten Leben in der Karibik. Sie hatten kaum Aussicht auf Reichtum und waren von immer feindliche­r werdenden Eingeboren­en umgeben. Auf seiner dritten Reise schließlic­h wurde Kolumbus bei seiner Ankunft vom Statthalte­r der Insel „ La Española“zur Strafe in Ketten gelegt. Mit Gicht in den Gliedern und mit Gliedern an den Gebeinen schickte man ihn nach Spanien zurück. Im November 1500 wurde Kolumbus in Ketten vor das Königspaar gezerrt. Er wurde zwar begnadigt und unternahm sogar noch eine vierte Reise, doch danach geriet er schnell in Vergessenh­eit und starb einsam im Alter von nur 55 Jahren.

Was lehrt nun diese Geschichte? Welchen Nutzen haben denn Ketten? Die Eroberer von Sevilla konnten sie nicht aussperren. Den Entdecker Amerikas halfen sie einzusperr­en. Und doch irgendwie sind Ketten immer wieder mit Eroberunge­n und Entdeckung­en verknüpft. Soviel lässt sich also festhalten: Ketten werden wie in fast jede geschichtl­iche Geschichte auch in diese hineingezo­gen und zwar sowohl in die der „ Reconquist­a“als auch in die der „ Conquista“. So gesehen hängt an der Kette auch die Tatsache, dass heute in Mittel- und ― außer in Brasilien ― in ganz Südamerika Spanisch gesprochen wird: „¡ Viva la cadena!“

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Grafik: Stefan Hantschel Schon früher spielte die Kette eine wichtige Rolle in Sevilla.

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