1978: Und es wurde Licht
Vor 40 Jahren spendete Künstler Eusebio Sempere Alicante seine Sammlung – „Wie ein Stern“eine neue Zeit markierte
Mit Geschmeidigkeit wird Stahl ja eher nicht verbunden. Zu Unrecht, wie man im dritten Stock des Museums für Zeitgenössische Kunst (Maca) in der Altstadt von Alicante erkennt. Betritt man den Raum mit den geometrisch komplex geformten Metallgebilden, steht der Wärter auf, zieht einen Handschuh über – und tippt Figur für Figur an. Sie kommen in Bewegung, drehen sich, schwingen, und spiegeln ein Licht an die Wand, das scheinbar den Saal zerrt und dreht.
Eusebio Sempere, der von Bewegung und Licht faszinierte Alicantiner, schuf die Werke. Dank der Spende seiner Sammlung entstand das Museum überhaupt. Vor 40 Jahren, am 30. September 1978, machte er das Geschenk für „alle Alicantiner“offiziell. Eine besondere Schöpfung gab er ihnen quasi in die Hände. Die Figur „Como una estrella“(„Wie ein Stern“), an der heute, am Springbrunnen beim Bahnhof, die wichtigsten Arterien der Stadt zusammenfließen oder, je nach Sicht, entspringen.
Aus allen Richtungen strömen Menschen und Autos herbei, um in Augenblicken in eine andere zu verschwinden. Als ahmten sie die Strahlen des „Sterns“, die in alle Richtungen weisen, nach. Dass die Figur sich (in der Regel) dreht, bemerken, in Tempo und Eile, die wenigsten. Beim CBN-Besuch an einem geschäftigen Tag sitzen nur zwei Vagabunden still – auf einer Mauer unter dem großen Fikusbaum – und betrachten, wie vier Polizisten versuchen, den Verkehr zu ordnen.
Unter dem Hotel Gran Sol
1978 war die Figur keineswegs so selbstverständlich-gleichgültig. Im schlimmsten Fall fand man sie hässlich. Doch vielen Zeitgenossen erschien sie auch „wie ein Stern“einer neuen Zeit, inmitten der Transición, dem friedlichen Übergang von Diktatur zu Demokratie.
Am 29. Dezember gipfelte die Übergangsphase in einer neuen Verfassung. Ein Jahr zuvor hatten die ersten Wahlen ein Zeichen für eine Ära der Freiheit gesetzt.
Es war Semperes Wunsch, den „Stern“in der Stadt und nicht in einem Museum aufzustellen. Doch wählte der 55-Jährige keinen glamourösen Platz wie die heutige Glorieta de la Estrella, sondern die dezente Plaza Portal de Elche. An der unteren Rambla, im Schatten des 31-Etagen-Hotels Gran Sol, rotierte „Como una Estrella“fast auf Augenhöhe der Bürger. Schaut man „Wie ein Stern“genau an, sieht man einen Polyeder mit zwölf Flächen von jeweils fünf Ecken und 45 Zentimeter langen Seiten.
Jedes Fünfeck bringt in Form von drei Zentimeter breiten Stäben 50 Strahlen hervor – die längsten ragen von oben gen Himmel. Sempere hatte seinen Stil zur Perfektion gebracht. Der am 3. April 1923 in Onil geborene Sohn einer Arbeiterfamilie formte auf dem Weg durch Alcoy, Valencia und Paris seine Identität als Künstler. Als Maler und Bildhauer bewegte er sich immer stärker gen Expressionismus, bis er in Abstraktion und Geometrie die Erfüllung, oder – wie er sagte – sein „Vokabular“fand.
Seine Werke sah er als „Bilder mit drei Dimensionen“oder „AntiSkulpturen“ an. Interessanterweise war er auf einem Auge fast blind, hatte Probleme mit dem räumlichen Sehen, sah alles flach und erkannte Distanzen nur schwer. Vielleicht war das entscheidend für Semperes besonderes Können, im Raum faszinierende geometrische Spiele zu schaffen. Was er in seinen Werken sah, wusste er wohl nur selbst. Als „Pionier des Maßes und der Nüchternheit“wurde Sempere einmal bezeichnet.
Zwar lernte er die optisch-kinetische Kunst in Frankreich kennen, wurde aber nie richtig Teil von ihr. Die Klassiker aus Studienzeiten, Goya oder de Ribera, steckten immer in ihm. Während die orthodoxe „Op-Art“den exklusiven Gebrauch flacher, eintöniger Formen verlangte, fügte Sempere seinen Bildern malerische Elemente bei, die ihnen diese seltsame Tiefe verleihen.
So brachte er es fertig, „Heiterkeit und Ewigkeit“widerzuspiegeln, „ohne die Traurigkeit zu vergessen“, wie ein Kritiker schrieb. Gegenüber des Informalismus, der in Spanien zumindest ästhetisch gegen die Zwänge der Zeit protestierte, wirkte Sempere wie ein Gegenspieler. 1960 und 1961 trug der nie unumstrittene Alicantiner auf den Biennalen von Venedig und São Paulo den Namen seiner Provinz in die Welt – jedoch nicht als Selbstdarsteller. Im Gegenteil.
Unheilbar erkrankt
Vielmehr soll er große Hemmungen gehabt haben, etwas aus seinem Innenleben zu zeigen, heißt es. Offenbar war das einer gescheiterten Liebesbeziehung geschuldet. Sempere blieb bis zum Tod Single. In den 70er Jahren vertiefte sich seine Bindung an Alicante-Stadt. 1971 stellte er dort mit Arcadio Blasco und Juana Francés aus und fand in ihnen Freunde. Ob zum Schulen junger Künstler oder als Jury-Mitglied, seine Besuche wurden häufiger. Letztlich nahm er aktiv an der Modernisierung der Stadt teil.
So entwarf er die Kacheln der Straße Oscar Esplá, die heute vom „Stern“zum Meer herabführt, oder die Fassade des alten Flughafengebäudes, das man zum Abflugterminal fahrend passiert. Sempere wurde in der Stadt zum „Adoptivsohn“und in der Provinz gar zum „bevorzugten Sohn“erklärt.
Auch Ehrendoktor der Uni Alicante durfte er sich nennen. Die Ehrungen nahm er bereits schwerkrank entgegen. 1975 erfasste ihn die Amyotrophe Lateralsklerose, jene unheilbare Krankheit, die zur Lähmung des Körpers führt.
Auf den Biennalen von Venedig und São Paulo trug Sempere den Namen Alicantes in die Welt