Paco, der Caldero von Monóvar
Der Letzte seines Standes: Ein kauziges Männchen mit einem Schinken über der Schulter als Zeitzeuge einer Epoche
Monóvar – mar. Es gibt Berufe, die gibt es gar nicht. Kürzlich kehrten meine bessere Hälfte und ich vom Schneckensammeln aus den Bergen um Monóvar zurück, ein dringender Auftrag der besten Schwiegermutter von allen – beide sind unverzichtbar für das Gelingen der sonntäglichen Paella.
Da stromerte vor uns ein altes, gebeugtes Männchen von Haus zu Haus, über der Schulter einen riesigen, zerfransten Schweineschinken und in der anderen Hand einen Leinensack aus dem mehrere Hufe ragten. Im Mund eine Selbstgedrehte, unrasiert, in einem Blaumann, der scheinbar nur noch vom eingewebten Fett zusammengehalten wurde. Auch war nicht ganz sicher, ob er den Schinken trug oder das Schweinebein ihn stützte.
Er liefert keine Schinken aus, sondern tunkt die Stumpen nur ein paar Minuten in die brodelnden Kochtöpfe der Kunden, die ihn anrufen, um ihrem Cocido mehr Substanz zu geben. Mir erklärte man, das sei ein Beruf. Sein Beruf. Er ist der Caldero, wörtlich also „Brüher“des Ortes, und das schon seit 50 Jahren. Mit seinem Bruder hatte er früher eine kleine Eisenwarenhandlung, aus der er sonntags schlachtwarme Kaninchen verkaufte. Die Ställe standen im Verkaufsraum, die Tiere wurden live vor dem Kunden zerhackt. Irgendwann, recht früh, starb der Bruder, das Geschäft auch, und Paco kam auf die Idee mit dem mobilen Brühgeschäft.
Singvögel in die Paella
„Ich weiß nicht, ob er davon noch leben kann“, erzählt die Schwiegermutter, „aber ohne den Job könnte er wohl noch viel weniger leben.“Sie erinnert sich an ihn noch aus Jugendtagen, damals hatte er einen strengen Zeitplan, denn die Armut war grausam, Fleisch war für viele ein seltenes Plaisier.
„Damals kamen viele Vertragsarbeiter für die Schuhfabriken zu uns. Für sie baute man billige Häuser am Stadtrand. Die hatten weder ein Stück Land, nicht mal Balkons, um ein paar Hühner zu züchten. So fingen sie sich Singvögel, damit sie überhaupt Fleisch für eine Paella hatten. Nur geben die natürlich keine Brühe.“Ein paar Peseten, je nach Zeitspanne, „nicht mehr als heute 50 Cent“habe der Service gekostet. Wobei der Kunde zwischen Normal- und Schinkenqualität wählen konnte oder eine Mischung aus beidem. Hatte er seine Runde beendet, verscherbelte er die ausgekochten Knochen an einen Wirt, der noch die letzten Fleischfasern abschabte und in Salate mengte.
„Paco gehörte immer dazu, bekam während der Kochzeit sein Schnäpschen und teilte den neuesten Tratsch. Wer wen betrogen hatte, wer Ärger mit der Obrigkeit hatte.“Man sagte ihm die eine oder andere Liebschaft mit verheirateten Dorfschönheiten nach, doch nichts Genaues weiß man nicht. „Er hat ein großes Herz, ist aber kauzig geworden.“
Gebucht aus alter Treue
„Wenn er früher gesehen hatte, dass in der Küche neben Gemüse nichts weiter neben dem Herd lag, schnitt er schon mal eine dicke Scheibe vom Schinken in den Topf, ohne ein Wort“, erklärt die Schwiegermutter und fährt fort: „Heute stecken ihm eher die Kunden etwas zu Essen zu, Tabak oder geben ein Trinkgeld. Sie rufen ihn mehr aus Anhänglichkeit oder Tradition denn Notwendigkeit.“
Mit Fremden spricht er nicht gerne. „Er ist unser Faktotum, alle belächeln ihn, aber er gehört einfach dazu.“Und er ist womöglich der Letzte seines Standes. Die Armut ist „eigentlich die gleiche geblieben hier, nur die Ansprüche sind gewachsen“, seufzt die Schwiegermutter und zeigt auf die jungen Leute, die heute deutlich kleinere, aber viel teurere sowie illegale Pakete als Paco ausliefern.