Halbgötter im freien Fall
Manchmal haben Zeitungen viel gemein mit den Orakeln aus der Antike. „El Mundo“brachte am Sonntag wenige Stunden vor dem Clásico von Real Madrid und FC Barcelona einen Bericht über die baskische Familie Lopetegui heraus und veröffentlichte dazu ein bemerkenswertes Foto. Das historische Bild aus den 1960ern zeigt José Antonio Lopetegui. Ein Bär von einem Mann, der einst in einer Minute 22-mal 100 Kilo stemmen konnte. Mit weit ausgebreiteten Armen steht er in der Pose eines Gekreuzigten und hält in jeder Hand eine seiner Töchter in die Höhe, als seien sie Gewichte einer Hantel. Im Vordergrund blickt ein Knirps namens Julen Lopetegui nachdenklich ins Nichts – ganz so, als ahnte er das Schicksal, das ihn einmal ereilen sollte.
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Ach, der Fußball, was für ein himmlisches oder göttliches Spektakel, mit seinen Gladiatoren in der Arena, seinen Halbgöttern in der Klatschpresse und seinen tragischen Figuren auf den Trainerbänken. Man denke an Franz Beckenbauer, Diego Maradona oder Lothar Matthäus – mit ihrem kometenhaften Aufstieg und dem tiefen Fall erschütterten sie die ganze Welt, als ob der Fußball sie zu den Protagonisten einer griechischen Tragödie gemacht hätte. Gut, mit der Katharsis war es bei dem Trio immer so eine Sache, ihr Schauspiel kam oft mit einer Tiefe daher, bei der nicht einmal eine Big-BrotherSendung abgesoffen wäre. Julen Lopetegui aber war anders. Der diskrete Hüne aus dem Baskenland passte nicht so in den olympischen Hühnerstall des Fußball-Spektakels. Der wollte Real Madrid wirklich trainieren – als ob das eine echte Fußballmannschaft wäre und nicht eben Real Madrid oder elf eitle Gockel auf dem Misthaufen von Francisco Pérez. Wie kam er auf so eine Schnapsidee?
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Die sportliche Schwesterzeitung von „El Mundo“stellte Lopetegui als einen Ikarus dar, der zu hoch hinaus wollte und „verbrannte“ihn vor dem zehnten Schicksalsspiel. Seine Spieler sahen ihn wohl eher wie einen Atlas, auf dessen Schultern allein nach dem Weggang von Cristiano die Last der Gunst der wankelmütigen madrilenischen Fans ruhte, während sein Allerwertester auf dem Schleudersitz des Präsidenten Pérez parkte. Das hätte in dieser Pose nicht einmal sein Vater schultern können. Der 88-Jährige klagte dem medialen Orakel ja schon Stunden vor dem tragischen Fall seines Sohnes, dass Madrid dem Sprössling 50 Tore geklaut hätte. Man stelle sich vor, was 50 Tore bei Real Madrid bedeuten, mit Bale und Benzema im Sturm, die das gegnerische Tor oft nicht klarer sehen als der geblendete Ödipus nach Entdeckung der furchtbaren Wahrheit. Oh, Cristiano.