Zeit für die Freiheit
Am 11. November 1918 wurde Polen unabhängig – Prägende Menschen des Jahrhunderts in heutiger spanischer Kunst
„2018 ist ein violettes Jahr“, sagte Manuela Carmena am 17. Oktober im Rathaus von Madrid, „die Zeit des neuen Feminismus“. Die linksalternative Bürgermeisterin sprach über „Polnische Frauen, die die Welt veränderten“. Die Konferenz organisierte die Botschaft des Landes, das dieses Jahr Besonderes feiert. Am 11. November 1918, vor 100 Jahren, kehrte Polen als unabhängiger Staat auf die Karte zurück. Nach 123 Jahren Abstinenz.
In Madrid wurden Polinnen geehrt, die das Jahrhundert prägten. Um drei von ihnen geht es auch in diesem Text. Stellt man sie sich als befreite, unerschrockene, moderne Frauen vor, wirken sie so anders als das heutige Polen. Dessen erzkonservative Regierung es so strikt gegen alle internen und eingewanderten Gefahren abschirmen will.
„Podaj rękę tonącemu, nawet jeśli nie umiesz pływać“– „Gib dem Ertrinkenden die Hand, selbst wenn du nicht schwimmen kannst“. 2018 traut man dem Land einen solchen Satz kaum zu. Und doch sagte und lebte ihn Polens Mensch des Jahres. Die 2008 gestorbene Irena Sendler. Die Frau, die „im Zweiten Weltkrieg 2.500 Kinder aus dem jüdischen Ghetto rettete“, wie heute – auch in Spanien – Kinderbücher erzählen.
Isabel Ruiz malte sie im Buch „Mujeres“vor einem Stacheldraht mit großen Augen, in denen Furcht und Trauer, doch auch ein starker Wille zu sein scheint. An die Brust drückt sie zwei Gläser mit Papierschnipseln. So versteckte Sendler die Namen der Kinder, damit sie irgendwann zu ihren jüdischen Familien zurückkehren konnten.
Ihre Opferbereitschaft für Juden zeigte Sendler schon vor dem Krieg. An der Uni setzte die Sozialistin sich in die Bänke, die Juden vorbehalten waren. Wegen ihres Einsatzes im Krieg ernannte die Stätte Yed Vashem die Polin 1960 zur „Gerechten unter den Völkern“, doch Sendlers Geschichte geriet in Vergessenheit.
Gebrochenes Völkerrecht
2000 erst lenkte eine Theatergruppe aus den USA die Aufmerksamkeit auf Sendler – mit dem Stück „Life in a Jar“, Leben in einem Glas. Vieles erzählte man sich nun über Sendler, doch nicht alles war wahr, wie 2018 eine neue Biographie enthüllt. Sogar die oft zitierte Zahl 2.500 sei fiktiv, meint Autorin Anna Bikont.
Sendler selbst habe, als 90-Jährige, dies und jenes dazuerfunden. Doch das, sagt Bikont, mache die Heldin nicht kleiner, sondern, im Gegenteil, menschlicher und greifbarer. Hunderte Kinder gerettet zu haben war ein Meisterstück von Sendlers Netzwerk „Żegota“– und ein Spiel mit tödlichem Feuer.
Denn in Polen erteilten die Nazis die strengsten Strafen fürs Verstecken von Juden. Es drohte der Tod der ganzen Familie. Umso erstaunlicher, dass Sendler 98 Jahre alt wurde, und nicht nur 1918 und das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 miterlebte, sondern 1991 auch noch den Fall des Sowjetregimes.
Um 1918 zu verstehen, blicken wir zurück. 100 Jahre vor Sendler, 1810, wurde Fryderyk Chopin geboren. 15 Jahre zuvor hatten Preußen, Österreich, Russland sowie ein korrupter polnischer Adel zum unfassbaren Bruch des Völkerrechts geführt: zur Teilung Polens.
Chopin verließ Polen mit der „Großen Emigration“: 1830 zerschlug der Zar einen Aufstand und drangsalierte das polnische Volk. Tausende flohen nach Europa und Amerika. Chopin trieb es auf der Suche nach Heimat und Liebe über Frankreich bis nach Mallorca, was wohl nicht so schrullig-leicht ausfiel wie im bebilderten Musikbuch der Spanierin Núria Palau.
Der Pianist hatte einen schwachen Leib, der nur 39 Jahre hielt. Doch seine letzte Note war stark: Er ließ sein Herz in Warschau, im besetzten Polen, begraben. Und die Heimatklänge, die er in seine Musikstücke eingebaut hatte, machen sie bis heute zur Musik der Heimweh habenden Polen in aller Welt.
Chopin habe mehr für die Freiheit Polens getan als Politiker und Soldaten, heißt es manchmal. Ähn-