Heiliges Antlitz in Gefahr
Klarissen mussten nach 500 Jahren Kloster Santa Faz in Alicante verlassen – Gläubige wehren sich gegen Kirchenwillkür
Wenn vier Nonnen ein Kloster verlassen, weil sie es wegen Überalterung und mangels Nachwuchs nicht mehr unterhalten können, ist das in unserer säkularen Zeit nicht mehr als eine Fußnote. Doch als am Samstagabend des 10. November die vier verbliebenen Schwestern des Ordens der Heiligen Klara, „unter Tränen“und „überstürzt“wie Zeugen schildern, ihren Konvent, das Kloster de la Santa Faz, räumten, war das anders. Ein Viertel, ja die halbe Stadt, Klerus, Laien und Politik waren in Aufruhr.
Ein Raunen ging durch die Stadt: „Das Tuch“sei unbeschützt, die wichtigste Reliquie der Katholiken Alicantes in Gefahr. Was für Valencia der „Heilige Gral“ist, ist für Alicante das Schweißtuch der Veronika, auf dem sich das Antlitz Jesus, also das Santa Faz, eingegerbt haben soll und dem diverse wundertätige Eigenschaften nachgesagt werden (siehe Kasten Seite 5).
Singen, beten, putzen
Das Tuch wurde seit 1518, also sozusagen auf den Tag genau seit 500 Jahren von eben jenen Klarissen gehütet, die jetzt ihre Heimstatt verließen. Schon zuvor soll einer der Nonnen wegen „Ungehorsams“der Zutritt in die Klausur verweigert worden sein, sie wurde vor einem Monat von einer Gläubigen aufgenommen. Vor wenigen Jahren kümmerten sich noch 16 Nonnen um Kloster und Reliquie, aber die Natur und die Zentrale der Klarissen, die im ganzen Land und bis Padua über 40 Dependancen betreiben, reduzierten die Zahl systematisch. Die Frauen wohnten in mittelalterlicher Tradition völlig isoliert und wurden kontrolliert, jeder Telefonanruf nach außen ging über eine Vermittlungsstelle.
Seit einigen Monaten kursiert das Gerücht, der Orden will das Kloster auflösen und zu einer Museumskirche mit angeschlossenem Parador konvertieren, also die Klausur der Schwestern zu einem Hotel umgestalten. Es wäre nicht der erste Orden, der seine finanziellen Engpässe durch solche Transformationen bekämpft.
Mag die Säkularisierung auch voranschreiten, zu seinen Reliquien pflegt noch der liberalste spanische Katholik eine innige Verbindung. Das Kloster Santa Faz prägt nicht nur das Viertel beim Krankenhaus Alicantes seit Jahrhunderten, sondern der Gebäudekomplex aus dem 16. bis 18. Jahrhundert ist Sehenswürdigkeit, Kulturgut und längst auch weltliches Stadterbe geworden. Bis zu 250.000 Menschen pilgern jeden zweiten Donnerstag nach Ostersonntag bei der Romería de Santa Faz zu Ehren der Reliquie nach Alicante. Die Gläubigen kommen dazu aus ganz Europa und die Wallfahrt soll schon seit 2002 zum Geschützten Kulturgut (BIC) erklärt werden, doch das Rathaus scheint an den verwaltungstechnischen Hürden der Landesregierung zu scheitern. Jedenfalls geht schon seit zwei Jahren nichts mehr voran.
Als die Kunde vom Auszug der Klarissen die Runde machte, begab sich Bürgermeister Luis Barcala aber sofort an den Ort des Geschehens, wie es Politiker sonst eigentlich bei Naturkatastrophen zu tun pflegen. Er brachte sogar die Polizei in Stellung, um das Tuch nicht unbewacht zu lassen. Kaplan José Luis Casanova richtete gar eine Gebetskette ein: „Alle zwei Stunden werden sich jeweils zwei Gläubige im Gebet vor der Reliquie abwechseln“, bis das Kloster wieder besetzt sei. Es gab spontane Versammlungen, eine Protestaktion von 2.000 Alicantinern am Sonntag. Einer Unterschriftensammlung, die die Rückkehr der Nonnen fordert, folgten in nur drei Tagen 7.000 Menschen.
Stadtchef Barcala forderte vom Bistum, das gar nicht zuständig sein will, ein klares Bekenntnis, dass die Reliquie in Santa Faz, die Nonnen im Kloster und sozusagen die Kirche im Dorf zu bleiben hat. „Wenn der Orden der Klarissen das Problem nicht löst, das er produziert hat, wird das Rathaus alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um den Verbleib und die Sicherheit des Klosters und der Reliquie zu garantieren.“Wer eine Ahnung vom Selbstverständnis des spanischen Katholizismus und dessen brüderlicher Bande mit der PP hat, der staunt nicht schlecht.
Es ging um Schadensbegrenzung und Krisenmanagement. Der Furor der Gläubigen war mittlerweile so weit fortgeschritten, dass eine Bruderschaft im nahen Aspe ankündigte, den Bischof Jesús Murgui zur persona non grata erklären zu wollen. Die örtlichen Pfarrer mussten die Präsidenten der Laienverbindungen ins Gebet nehmen, bis diese von ihrem Aufstand Abstand nahmen.
Der Bischof schob jede Verantwortung von sich. Immerhin gab er zu, dass man mit dem Orden schon seit Monaten verhandele. Worüber genau, sagte er freilich nicht. Unter dem Druck der Straße stellte er klar, dass „niemand die Absicht habe, die Reliquie aus Santa Faz fortzuschaffen“. Dann war seine Exzellenz offenbar so erschöpft, dass er den Dekan der Concatedral de San Nicolás, Ramón Egío, als Sprecher vorschickte, der seine heilige Not hatte, das Geschehen schlüssig zu erklären. Aber er stellte sogleich in einer Botschaft an
„Niemand hat die Absicht, die Reliquie aus Santa Faz fortzuschaffen“