„In Spanien regiert die Vernunft!“
Deutsche Korrespondenten sahen die Ausarbeitung der Verfassung 1978 positiv
Teulada-Moraira – ck. Friedrich Kassebeer arbeitete seit 1972 als Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“in Madrid. Er war Zeitzeuge der letzten Jahre des Franco-Regimes und des anschließenden Übergangs in die Demokratie.
CCN: Wie war die politische Stimmung 1978?
Friedrich Kassebeer: Franco war drei Jahre tot, die Parteien waren zum großen Teil gebildet und formiert. 1977 hatten die ersten Wahlen stattgefunden. Die Republikaner waren nach wie vor dagegen, dass Juan Carlos König von Spanien ist. Er hatte sich ja gleich nach Francos Tod zum König krönen lassen und damit die Linie bestimmt. Aber die Sozialisten unter Felipe González und sogar die Kommunisten unter Santiago Carrillo haben dann im Laufe dieser Jahre, als die Verfassung ausgearbeitet wurde, schon zu verstehen gegeben, dass sie unter König Juan Carlos, wenn er denn die Demokratie weiter fördert, mit ihm weiterarbeiten würden.
Juan Carlos hat mit der Ernennung des Chefs der konservativen UCD, Adolfo Suárez, die Richtung gezeigt?
Das war 1976 eine ziemliche Überraschung, dass der alte Franquist Carlos Arias Navarro von Juan Carlos abgesetzt und an seine Stelle als Ministerpräsident Adolfo Suárez gesetzt wurde, der dem König als reformfreudiger Politiker aus dem Movimiento Nacional bekannt war.
Das politische Klima war von Konsens bestimmt.
Ja, aber einige der radikalen Rechten wollten Carlos Arias behalten, andere organisierten Demonstrationen auf den Straßen mit dem Sprechchor: „España manaña será republicana“. Aber Sozialisten und Kommunisten waren bereit, mit Juan Carlos weiterzuarbeiten, wenn er denn die Verfassung anerkennen würde.
Ein erstaunlicher Kompromiss.
Felipe González hatte sich im Wahljahr 1977 gefragt, ob der republikanische Charakter der PSOE es zulässt, eine Rolle, wie sie König Juan Carlos damals einnahm, überhaupt zu akzeptieren. Juan Carlos I., Adolfo Suárez und die Verfassungsväter. Er fragte sich, „haben wir eigentlich mit Juan Carlos den angestrebten demokratischen Bruch mit der alten franquistischen Verfassung?“Und bestätigte: „Wenn wir die Verfassung so verabschieden, wie sie jetzt ist (und in wesentlichen Zügen blieb), ist es in der Tat die ruptura democrática, die wir als illegale Opposition haben wollten.“
Die Bevölkerung wollte trotz Putschversuchen, ETAAttentaten und rechtsradikalen Anschlägen die Demokratie?
Es zeigten sich mehrfach Reaktionen auf die wachsende Zahl von Terroranschlägen, die es leider während des Prozesses der Verfassungsberatungen gegeben hat. Die Menschen waren bereit, mit den Parteien zusammen den Terror zurückzuweisen und die Verfassung so zu akzeptieren, dass sie als allgemeines friedliches Instrument für das ganze Land gelten konnte.
Hat der König direkt an der Verfassung mitgearbeitet?
Nein, er hat sich nicht in die Verfassungsberatungen eingemischt. Die fanden im Parlament statt, das nicht als verfassungsgebende Versammlung gewählt worden war, sondern in dem peu a peu die Parteien miteinander darum kämpften, wer nun am meisten Einfluss in dieser parlamentarischen Monarchie, wie man sie dann nannte, bekommen würde.
Hat Deutschland beraten?
Ja, nach meinem Eindruck und dem anderer Kollegen war das durchaus erwünscht – auf beiden Seiten. Die deutschen Parteien wie die Christdemokraten und die Sozialdemokraten hatten ja ihre Verbindungsleute in Spanien und deren Einfluss ist deutlich spürbar gewesen. Sie haben den Kollegen geholfen, eine Formulierung zu finden, die eine vernünftige Verfassung ermöglichte. Ein Beispiel ist die Übernahme des konstruktiven Misstrauensvotums aus dem deutschen Grundgesetz in die spanische Verfassung oder der Artikel 155 über die Zwangsverwaltung, der entspricht Artikel 37 des Grundgesetzes.
Lassen sich die Bundesländer und die spanischen Regionen vergleichen?
Es wird immer gesagt, die Autonomen Regionen haben fast schon Charakter wie die deutschen Bundesländer, aber es gibt immer noch starke Unterschiede.
Ist eine föderalistische Verfassungsreform ausgeschlossen?
Nein, die wäre durchaus möglich, wenn sich alle, auch die wichtigen großen Regionen in Spanien einigen, auf der Basis des Staates eine neue Verfassung zu schreiben, damit alle tatsächlich gleichberechtigt im Staat präsent sind. Denn, dass es da große Unterschiede gibt, das zeigt die Katalonien-Krise jetzt. Aber auch die baskischen Regionen haben eine große Selbstständigkeit mit großen steuerlichen Vorrechten, um die sie andere Regionen beneiden. Das ist, glaube ich, das größte Hindernis, das es heute gibt, um eine noch stärkere Föderalisierung durchzuführen. Und dadurch Risiken, wie in Katalonien, auf friedliche Weise zu regeln. Ich sehe aber im Moment keine Basis, kein Einvernehmen für eine weitere Föderalisierung unter den Regionen.
Deutschland war neugierig?
Nachdem klar war, dass Spanien mit dem König auf dem richtigen demokratischen Weg war, hat man in Deutschland in vielen Sektoren und eben auch bei der Presse erkannt, dass das eine wichtige Entwicklung werden würde in Spanien und auch im Interesse der Stärkung Europas ein richtiger Weg werden könnte – und der ist er ja dann auch geworden. Ich habe, wie andere ausländische Korrespondenten auch, übrigens positiv zu diesen Verfassungsberatungen geschrieben. Wir sahen das als eine gute Entwicklung. „In Spanien regiert die Vernunft“, war etwa der Titel meines Leitartikels am 2. November 1978, nachdem das Parlament mit großer Mehrheit der Verfassung zugestimmt hatte.