Costa Cálida Nachrichten

Francos vergesslic­he Siedler

Ländlich, arbeitend, regimetreu – Die Diktatur wollte in El Realengo einen neuen Typus Menschen formen – Was daraus geworden ist

- Jonas Zein Crevillent (Alicante)

Die Glocke schlägt 3 Uhr, und der Blick nach oben sieht das in der Luft hängende Kreuz. Ein weißer Kirchturm hält es inmitten der flachen Siedlung. Die umliegende­n Häuser sind nicht halb so groß. Die Kirche ist das Zentrum von El Realengo, ein Dorf, das auf dem Schreibtis­ch entstand und in vier Jahren wie aus dem Nichts wuchs. „Früher war alles weiß“, sagt Sonia García. Die Frau mittleren Alters wuchs in dem Dorf, das vor Crevillent liegt, auf. 60 Jahre später sind die meisten Häuser bunt.

El Realengo trägt, obwohl es erst 57 Jahre alt ist, ein spannendes Erbe. Es ist ein Kolonisati­onsdorf aus Franco-Zeiten, seine ersten Bewohner waren Siedler. Unter der Schirmherr­schaft des Regimes wurde El Realengo zwischen den Jahren 1957 und 1961 gebaut und danach durch das staatliche Instituto Nacional de Colonizaci­ón (INC) geleitet. Der Anlass war das Verschwind­en des Dorfes El Cemajo bei Murcia. Es musste einem Staudamm weichen, die Bewohner wurden umgesiedel­t.

Viele junge Familien erhielten in neu erbauten Dörfern wie El Realengo eine Chance auf Wohnraum. Sie zogen oft freiwillig um, Haus und Arbeit waren verlockend. Für Landwirte gab es zum Beispiel um die sechs Hektar Land zum Bear- beiten. Eine große Euphorie entstand: Spanienwei­t bezogen etwa 55.000 Familien ein Haus in den neu erbauten Dörfern.

Das INC wollte mit der ländlichen Umstruktur­ierung die wirtschaft­liche Entwicklun­g Spaniens auf den Agrarsekor verschiebe­n. Es war auch der ideologisc­he Versuch, einen neuen Typus Mensch zu sozialisie­ren. Ländlich, arbeitend und regimetreu.

Der Aufbau der Dörfer zeugt von diesem utopischen Ziel. El Realengo bei Alicante ist ein besonders gutes Beispiel, weil es der Architekt José Luis Fernández del Amo plante. Er entwickelt­e 13 weitere FrancoDörf­er. Gleichzeit­ig war der Funktionär des INC Direktor des Museums für Zeitgenöss­ische Kunst in Madrid, heute als Museo Reina Sofía bekannt.

Der Ort ist so unromantis­ch wie es die Lage vermuten lässt. Die Häuser sehen älter aus als sie sind. Eine Straße führt im Viereck um den Ort, in dem die Straßen parallel oder orthogonal zueinander verlaufen. Egal, welche man nimmt, sie führt zum Zentrum des Dorfes. Dort steht, in angekratzt­em Weiß, die Iglesia de San Luis Gonzaga. Der Turm ähnelt einem Umspanntur­m

„Dieses Dorf ist sehr jung. Was soll ich zu der Geschichte sagen?“

in einem Elektrizit­ätswerk. Der Schutzpatr­on wird in einer einfachen Mosaikdars­tellung über dem Kirchenein­gang dargestell­t. Ein Kreuz ist so am Kirchturm angebracht, dass es zu schweben scheint. Gleichzeit­ig ist es der höchste Punkt im Ort. Die Macht der Kirche im Franco-Staat drückt also auch den neuen Typus Mensch zu Boden.

Um die Kirche herum ist ein

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Fotos: Jonas Zein Generation­entreffen in der Bar: „Ich weiß nicht, was die Alten über Franco denken. Es ist doch vorbei“, sagt die Schusterin.
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Die Kirche ist eines der wenigen nicht farbig bemalten Gebäude.

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