Wie im Himmel, so auf Erden
Fragmenten-Sammlung über Pontius Pilatus von Sylvester Anmut – Erlebnisse aus der französischen Kleinstadt Vienne
Die Gnade, die er anlässlich Ostern walten ließ, überließ er wiederum und diesmal direkt dem Volk. Dieses entschied sich für Herrn Barabas. Damit war Jesus von Nazareth nun unwiderruflich dem Tod überantwortet. Sein leiblicher Vater ließ ihn die Wandlung zum Christus durchmachen. Das geschah alles in wenigen Tagen zum Osterfest des Jahres 33.
Diese Gedanken begleiteten mich durch die kleine Stadt, ohne dass ich wahrnahm, dass mein Weg direkt zum Hotel führte. Im Gedächtnis schien ein Autopilot zu existieren, dem mein Navigator, der auch einem Fußgänger den Weg zu weisen vermochte, Fußgängermodus nennt es das Gerät, nicht annähernd gewachsen war. Die Straßen waren zu eng, um ein Signal von oben zu empfangen. Vielleicht war es auch die Verbindung des deutschen Wortes – Fußgängermit dem aus dem Latein der Zeit von Pontius Pilatus abgeleiteten Wort -Modus, die mich hier in Vienne in die Irre zu führen versuchte. „Bitte umkehren“, sagte die freundliche Stimme in meiner Brusttasche. Wenn ich zurücksah, war der Tempel des Augustus bereits hinter einer riesigen Werbung für Coca-Cola verdeckt. Nein hierher konnte kein Signal von oben dringen.
Im Hotel lagen einige Prospekte vor der verlassenen Rezeption auf dem Tisch. Die Prospekte animierten zum Paragleiten im Massiv, zu einer Höhlenwanderung und eines zeigte eine Stele, wie sie auf Gräbern bedeutender Persönlichkeiten hin und wieder zu finden ist. Unter dem Foto stand: Grabmal des Pontius Pilatus. Das war seltsam, Pontius Pilatus, den ich bisher nur als ideelle Gestalt aus Büchern, Evangelien und als Bassstimme in Passionen kannte, verfolgte mich offensichtlich in diesem Vienne. Dass er leibhaftig hier umgegangen sein sollte und dem kurdischen Kaffeehausbesitzer nach immer noch umging, belustigte mich. Tatsächlich, so im Prospekt zu lesen, gab es einen Gedenkstein jenes römischen Provinzgouverneurs Pontius Pilatus, der seinerzeit anlässlich der Osterfeierlichkeiten nach Jerusalem gekommen war, wo er sonst selten hinreiste. Ich stand einen Moment unschlüssig vor dem Fahrstuhl, der einem Paternoster glich und entschied mich, das Gedenkmal zu finden.