Sintflut kurz vor Weihnachten
Auszug aus „Alles ist möglich – Mit dem Fettnäpfchen im Wohnmobil nach Spanien“
Das Buch erzählt von gehäuften kuriosen Erlebnissen auf den Wegen mit einem Wohnmobil von Nord-Deutschland über die Provence bis nach Süd-Spanien. In humorvoller und besinnlicher Art wird mitunter von menschlichen Begegnungen rings um das Mar Menor/Murcia erzählt. Noch nie sollte für Steffi und Martin eine Reise dermaßen aufschlussreich werden, wie die im Winterhalbjahr 2016/17. Kaum verging ein Tag, an dem nichts Erfreuliches oder Spannendes geschah. Vieles kann unter der Rubrik „Pleiten, Pech und Pannen“verbucht werden.
Zum bedrohlichen Erlebnis wurde die sintflutartige Katastrophe kurz vor Weihnachten 2016, die sich in der Küstenregion von Murcia bis Andalusien zutrug.
Warnung: Freitag, 16. Dezember 2016
In Los Alcazares treffen wir auf Jose. Er weist uns auf eine wichtige meteorologische Nachricht hin: Über unserer Urlaubs-Region bildet sich eine gewaltige Regen-Blase, eine sogenannte Gota fría (gefrorener Tropfen). In den nächsten Stunden wird sie aufplatzen und Unmengen von Wasser herabregnen. Also fahren wir gleich mit unserem Wohnmobil sechzig Kilometer nördlicher.
Sintflutartige Regengüsse: Samstag, 17. Dezember 2016
Geweckt werden wir von einem gruseligen Trommelkonzert auf dem Autodach. Es folgt ein Gewitter, bei dem es in Sekundenabständen kracht und blitzt. Dazu entfesselt sich ein gewaltiger Orkan. In kürzester Zeit sind Platanen entlaubt. Ein Mimosenstrauch kracht entwurzelt vor unsere Kühlerhaube. Bedrohlich steigt das Wasser zur Seitentür. Besser, wir flüchten schnell von hier. Doch auch die Hauptstraße verwandelt sich rapide zu einem reißenden Fluss. Gerade so schaffen wir es auf eine erhöhte Stelle. Das Mittelmeer hören wir von weiten brüllend tosen.
Land unter: Montag, 19. Dezember 2016
Vorsichtig fahren wir durch die überfluteten Straßen von Lo Pagán nach San Javier bis Los Alcázares. Überall umschließt eine dicke Schlammmasse die Häuser. PKW liegen zerbeult in den Gräben. Ein schrecklicher Anblick! – Dennoch möchten wir unsere gereinigte Wäsche von dem Einkaufszentrum Dos Mares abholen. Vorsichtig schlurfen wir auf dem Glitsch zum Haupteingang. Dort erklärt gerade ein Sicherheitsbeamter einigen Wartenden, dass das Einkaufszentrum vorläufig geschlossen bleibt. Währenddessen kratzt Reinigungspersonal den festgeklebten Schlamm aus Fenster- und Türfugen. Ein kurzer Blick in das Innere lässt Angestellte erkennen, die mit einer Art großen Schneeschieber den pampigen Schlamm aus den überfluteten Geschäften hinaus befördert.
Schreckensnachrichten: 20. bis 23. Dezember 2016
Durch die murcianische Zeitung „La Opinión“und die deutschsprachige „Costa Cálida Nachrichten“wird uns das Horrorszenarium noch bewusster. Eine Luftaufnahme auf der Titelseite zeugt von dem katastrophalen Zustand. Schriftlich wie bildlich wird die Tragik dokumentiert.
Zum Beispiel gingen in kürzester Zeit 230 Liter/Quadratmeter am Flughafen bei Los Alcázares nieder. Nicht nur Menschen an der 250 Kilometer langen Costa Cálida erlitten erhebliche existenzielle Schäden. Acht Tote sind zu beklagen. Bedenklicherweise wurde durch die fortfließende Erde der nahen Gemüsefelder die ansonsten heilbringende Lagune Mar Menor unter anderem mit Pestiziden verseucht. Davon abgesehen, geschah eine ähnliche Tragödie vor vierzig Jahren.
(K)eine Weihnachtshetzerei: Heiligabend 2016
Dankbar sind wir, das WinterHalbjahr in Spanien verbringen zu dürfen. Ohnehin ist das ursprüngliche fromme Weihnachtsfest zum Kommerz verkommen. Angetrieben von der Werbung rennt und hastet jeder wie ein Bekloppter in den Geschäften herum, um das Fest möglichst perfekt zu gestalten. Eltern und Großeltern befinden sich im Irrglauben, für die Lieben tief in das Portemonnaie greifen zu müssen. Ist doch verständlich, dass durch den Stress an den Festtagen Streitereien vorprogrammiert sind? Ein Grund mehr für uns, anstelle bei einem Weihnachtsbaum sich lieber unter spanischen Palmen aufzuhalten.
In Spanien wird Weihnachten und Ostern „anders herum“gefeiert. In Deutschland wird am Abend des 24. Dezember Christi Geburt bedacht und sich beschenkt. In Spanien wird nur der 1. Weihnachtstag fröhlich gefeiert. In der Nacht vom 5. zum 6. Januar wird dann „richtig“Weihnachten zum Anlass der Ehrung der „Heiligen Drei Könige“begangen.
Würden Spanier unsere getragene Musik vernehmen, könnten sie denken: „Oh, jemand gestorben?“Dem entgegen wird in Spanien Ostern trauernd bedacht. Zum Gedächtnis des Todes Christi tragen in der Semana Santa zehn Nächte lang tiefgläubige Bürger zu monotonen Trommelschlägen die schwere Last der Heiligen auf ihren Schultern durch die Straßen. Also wird in Spanien zu Weihnachten die Heilige Jungfrau Maria verehrt. Aber zu Ostern der Tod Christi betrauert. Für uns Nord-Europäer sind das gegensätzliche Emotionen.
Jetzt möchte ich dir wieder etwas von meinem „mitgebrachten Fettnäpfchen“berichten: Aus der uns gewohnten deutschen Einstellung heraus, dass Ostern fröhlich gefeiert wird, posaunte ich allen mir auf der Promenade entgegen kommenden Spaniern zu: „Feliz Pascua!“(Glückliche Ostern). Wieso haben die mich alle so „angesäuert“angeschaut?
Silvester 2016
Am späten Nachmittag des letzten Tages des Jahres verweilen wir, der Martin und ich, die Steffi, am Strand des ersten Viertels der La Manga. Unsere Blicke schweifen über das blauschimmernde Mar Menor. Dunst umhüllt die rundlichen Gebirgszüge der Calblanque. Noch ist die geduckte Siedlung der Playa Honda zu erkennen. Zunehmend matter wird das Tageslicht. Die Dämmerung setzt ein. Orange, dann rote bis violette Farben verändern den Abendhimmel. Braun marmorierte Schattierungen fügen sich ein.
Langsam versteckt sich die blutrote Sonnenscheibe hinter den Inseln im Mar Menor. Das Naturschauspiel ist wie ein freudiges Himmelsfest. Beglückt von diesem Anblick schließen wir uns in die Arme. Dabei flüstert Martin mir ins Ohr: „Das und das größte Glück ist, dass wir uns haben und alles gemeinsam erleben und die Winter in Spanien genießen dürfen.“Dankbar nicke ich.
Und wie aus einem Munde fragen wir uns: „Was wird uns wohl das Neue Jahr bringen?“