Erschreckender Geburtenrückgang
Regierungen sehen Sozialpolitik als lästige Ausgabe und nicht als Investition
Madrid – ck. Spanien als Land kinderreicher Großfamilien – das war einmal. In den vergangenen zehn Jahren ist die Geburtenrate um fast 30 Prozent zurückgegangen. Die Frauen bekommen immer weniger Kinder und sie bekommen sie immer später. Um 63 Prozent hat die Zahl der Frauen zugenommen, die mit 40 oder mehr Jahren erstmals Mutter wurden. 8.000 Spätgebärenden vor 20 Jahren stehen 36.000 heute gegenüber. Und die Gefahr, das Kinderkriegen so lange herauszuzögern, bis es dann nicht klappt, ist groß, sind sich die Spezialisten einig.
Gleichzeitig ist Spanien ein Land mit sehr hoher Lebenserwartung, bald der höchsten weltweit: 83,2 Jahre – 80,5 für Männer und 85,9 für Frauen. Ein Land der Greise ohne Kinder steht uns bevor. 2050 kommen auf zehn arbeitende Menschen sechs Rentner, heute sind es drei. Langfristig unhaltbar für das Rentensystem. 2015, 2017 und 2018 war der Saldo Geburten-Sterbefälle negativ. Es starben mehr Menschen als geboren wurden. Die Bevölkerung schrumpft.
Was sind die Gründe für den dramatischen Rückgang der Geburtenrate? Die geburtenstarken Jahrgänge der 80er und 90er Jahre gehören der Vergangenheit an. Es gibt weniger Frauen im gebärfähigen Alter, die Krise hat eine Kultur prekärer Arbeitsverhältnisse gefördert, die geblieben ist, Wirtschaft und Politik tun zu wenig, um Arbeit und Familie besser zu vereinbaren oder Anreize für das Kinderkriegen zu schaffen. Es fehlen flexible Arbeitszeiten und Kindergartenplätze, wie sie in Ländern Nordeuropas mit großem Erfolg gepflegt werden.
Auch ist die Zahl der Immigranten zurückgegangen. Sie haben im vergangenen Jahr eins von fünf Kindern geboren und dafür gesorgt, dass die Bevölkerungszahl bei 47 Millionen blieb, nach provisorischen Zahlen des Nationalen Statistikinstituts (INE). Spaniens Bevölkerung wächst nur dank der Ausländer, schreibt die Zeitung „El País“. Während die Spanierinnen mit durchschnittlich 31 Jahren Mutter werden, bekommen die Immigrantinnen, die hier leben, mit 28 Jahren ihr erstes Kind. Ende der 70er Jahre lag das Durchschnittsalter der spanischen Mütter noch bei knapp 25 Jahren.
Inzwischen ziehen junge Spanier zehn Jahre später aus dem Elternhaus aus als in Deutschland etwa. Die hohen Mieten und unsicheren Arbeitsverhältnisse machen die Unabhängigkeit und Gründung einer eigenen Familie zu einer riskanten Angelegenheit. Auch wenn es vorsichtige Verbesserungen gibt, hat die Politik auf der ganzen Linie versagt. Seit Jahrzehnten warnen Experten vor der Bevölkerungsentwicklung, ohne dass Maßnahmen ergriffen wurden.
Politik scheitert auf ganzer Linie
Teresa Castro vom Obersten Rat für Wissenschaftliche Forschung (CSIC) und Expertin für Geburtenrate findet deutliche Worte: „Die Überalterung beunruhigt mich nicht, sie ist ein globales Phänomen, das wir mit unseren Nachbarländern teilen. Beunruhigend ist, dass die Paare, obwohl sie wollen, keine Kinder bekommen, weil unsere Regierungen Sozialpolitik als lästige Ausgabe sehen und nicht als Investition“.
Seit Jahrzehnten warnen Experten vor der Bevölkerungsentwicklung