Leben unter der Giftwolke
Brand im Lager der Fabrik Indorama in San Roque – Bürger und Umweltschützer planen Aktionen
Ein Sattelschlepper hält mit lautem Zischen vor der Schranke der Fabrik Indorama im Industriegebiet Guadarranque in San Roque. Es riecht nach Schwefel und verbranntem Gummi. Dicker Rauch quillt aus den Schornsteinen. Heute ist er weiß. Am Nachmittag des 25. Juni war er tiefschwarz. Ein Lager für Zusatzstoffe zur Herstellung von PET hatte an diesem Tag Feuer gefangen. Polyethylenterephthalat (Kurzzeichen PET) ist ein durch Polykondensation hergestellter thermoplastischer Kunststoff aus der Familie der Polyester.
Von 15 bis etwa 19 Uhr sind rund tausend Tonnen der Kunststoffe PTA und PIA verbrannt. Diese sind notwendig zur Herstellung von Polyester und PET. Fünf Personen mussten wegen Rauchvergiftungen behandelt werden. Im Campo de Gibraltar befindet sich das größte Industriegebiet ganz Andalusiens. Unter Franco wurde das Gebiet als „zona preferente de localización industrial“– als für die Ansiedlung von Industrie geeignete Zone – erklärt. 1964 installierte das Erdölunternehmen Cepsa eine Raffinerie. Die petrochemische Industrieanlage Petresa folgte 1969, das Stahlunternehmen Acerinox siedelte sich 1970 an und die auf die Herstellung von Paraffin und Mikrowachs spezialisierte Firma Lubrisur folgte 1976. Die Erdölraffinerie Cepsa verarbeitet heute pro Jahr 16 Millionen Tonnen Erdöl. 1964 waren es noch vier Millionen Tonnen pro Jahr. Auch das Stahlunternehmen Acerinox hat seine Produktion erhöht. So konnte es in der Zeit von Januar bis März dieses Jahres ihre Produktion um 22 Prozent steigern. „Normalerweise müsste sich die Bevölkerung um diese Fabriken ansiedeln“, sagt Antonio Muñoz Secilla von der Umweltschutzorganisation Verdemar Ecologistas en Acción.
Ausdehnung der Industrie
„Hier haben sich die Fabriken jedoch immer weiter ausgedehnt, sodass die Einwohner von Los Barrios und Los Palmones direkt neben der Fabrik Acerinox leben. Somit werden ihre Gärten und Häuser von Schlacken und Feinstaub verseucht,“so Muñoz. Immer mehr verkaufen ihre Häuser, die Umgebung von Algeciras verwaist zusehends. Auch der Lärm macht die Menschen hier krank, in manchen Nächten schlafen sie bei 96 Dezibel, das ist so, als ob ständig eine U-Bahn durch ihr Schlafzimmer fahren würde.
Die Menschen sind deprimiert, man hat sie entwurzelt. Früher lebten sie vom Fischfang oder Gemüseanbau, manche hatten eine Bar oder ein kleines Hostal. In den Fabriken arbeiten heute großteils Fachleute aus anderen Städten. Die Hiergebliebenen können allenfalls als Skipper auf den Schiffen anheuern. Einige verkaufen Tabak aus Gibraltar, andere handeln mit Drogen. „Wir waren direkt unter der Rauchsäule und die Geräte zeigten alle grünes Licht“, berichtet Muñoz. Die Sensoren zur Messung der Emissionen seien oftmals gar nicht eingeschaltet. Während die Guardia Civil sich mit Gesichtsmasken schützte, liefen kleine Kinder ganz ohne Schutz auf der Straße herum. Ein Großteil der Medien im Campo de Gibraltar sei befangen, da Firmen wie Acerinox & Co. ein immenses Budget für die Schaltung von Werbeanzeigen ausgeben. Die Erdölraffinerie soll demnächst auch über Anlage zur Herstellung von Heizoks verfügen. Diese wird Muñoz zufolge für noch mehr Emissionen und giftige Abfälle sorgen.
„Wir haben bereits die Unesco, die EU, die andalusische Landesregierung und das spanische Kulturministerium auf diesen Missstand aufmerksam gemacht“, so Muñoz. In den meisten Fällen würden die Umweltdelikte nicht weiter verfolgt und den Firmen tun die Geldstrafen nicht weh. Sie zahlen sie und machen weiter wie bisher. Hinzu kommt, dass die Raffinerie in der archäologischen Ausgrabungsstätte Carteia installiert wurde. Während der jüngsten Bauarbeiten sind weitere archäologische Fundstücke ans Tageslicht gekommen. Von der N-340 war am 25. Juni die schwarze Giftwolke gut sichtbar. Auch der Techniker Jesús Cotel Lema in der direkt neben Indorama gelegenen Firma Euro Gruras muss sie gesehen haben. „Ja, ich habe den dunklen Rauch gesehen“, sagt Cotel Lema. „Gerochen habe ich nichts. Nein, giftig war das nicht. Cepsa und Indorama sind darauf bedacht, die Umweltstandards einzuhalten. Da passiert schon nichts.“
Seit Jahren kämpft Muñoz mit anderen Umweltschützern verbittert dafür, dass den Bewohnern von San Roque und jenen, die am Rande des Industriegebiets wohnen, ein Stückchen Lebensraum erhalten bleibt. Es ist der Kampf der Ameisen gegen Titanen. Hier dominiert die Industrie über Umweltschutz und Allgemeinwohl. Lapidar antwortete der Bürgermeister von San Roque, Juan Carlos Ruiz Boix (PSOE), in einem Zeitungsinterview, dass die durch den Brand verursachten Emissio
Die Menschen schlafen bei 96 Dezibel, so als ob eine U-Bahn durch ihr Schlafzimmer fährt