Wie malen mit Zeit
Mit „Die Lichtschreiberin“erzählt die weltgereiste Fotografin Almut Adler, wie Fotografieren ihr Leben veränderte
Das Wort Fotographie stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet soviel wie schreiben mit Licht. Meine Reisen würden heute sicher anders aussehen, denn die Welt hat sich zwischenzeitlich sehr verändert. Nichts ist so beständig wie der Wandel und nichts ist so lehrreich wie das Reisen. Dabei wurde mir das schönste Geschenk zuteil – Reisen war das einzig Gekaufte was mich reicher machte – ich wurde bescheiden.
Über die Autorin
Almut Adler macht eine Fotolehre und beginnt danach Grafikdesign zu studieren. Sie beginnt zu schreiben, verbindet die Schreiberei mit der Fotografie und veröffentlicht Foto-Lyrik. Dann entdeckt sie ihre Leidenschaft zum Reisen. Sie durchquert im VW-Bus das wilde Afghanistan, entdeckt den Himalayastaat Ladakh und das hippiegeprägte Goa in Indien. Fotografie ist für Almut nicht nur Handwerk, sondern ein Weg, Einblicke zu gewähren. Die Sucht nach Bildern und Erlebnissen treibt sie alleine auf Weltreise – zu einer Zeit, als Internet, Handys und AIDS noch Fremdworte waren, Helmut Schmidt Bundeskanzler war, John Lennon erschossen wurde, und die Umwelt verträglich schien.
Sie fährt in einen Pickup-Camper 17.000 Kilometer durch Mittelamerika, trifft in Mexiko den ungewöhnlichen El Negro, heuert auf Yachten an, macht ihr Steuermannspatent, lenkt Schiffe durch Stürme, begegnet dem Klabautermann, trifft auf einen Wahrsager der ihr Leben kennt und bewahrt in Asien eine Segelyacht vor der Katastrophe. Das Reisefieber lässt sie regelmäßig aus ihrem Alltag ausbrechen, um das Leben aus anderen Perspektiven zu betrachten. Zwischen Beziehungskontroversen und neuen Lebensinhalten hin und hergerissen führt sie die Suche auf fast alle Kontinente der Erde.
Drei Jahre unterrichtet Almut in Somalias Hauptstadt Mogadischu visuelle Kommunikation und bringt erwachsenen Schülern unter anderem das Fotografieren bei, produziert die ersten Siebdrucke Somalias, wird konfrontiert mit der brutalen Genitalverstümmlung somalischer Frauen, wird Augenzeugin eines tödlichen Haiunfalls und bringt aus dieser Zeit erstaunliche Erkenntnisse über eine andere visuelle Wahrnehmung mit nach Hause. Zwischen ihren Reisen liegen Zeiten beruflichen Wandels, durch rasante Entwicklungen der Technik. Im gereiften Alter verliert sie ihre Anstellung, geht durch harte, arbeitslose Zeiten, bekommt keine staatliche Unterstützung, muss ihre Wohnung aufgeben, findet jahrelang keinen Job.
Almut fällt ganz tief und sieht sich schon unter den Isarbrücken. Sie läuft alleine den Jakobsweg, um Klarheit über sich zu gewinnen. Erst der Workshop einer bekannten Fotografin entfacht ihren beruflichen Ehrgeiz neu und sie findet dadurch ihre wahre Berufung. Nachfolgend Auszüge aus dem Buch.
Indien, Varanasi
Die Stadt war überfrachtet mit Motiven, das Ghatviertel ein eigener Planet, das Leben tobte in einem Fremdkosmos. Soviel Armut, Elend, Leid und Tod konnte ich nicht aufnehmen, ich wurde überfordert im Sehen und Verarbeiten. Seit jeher rebellierte mein Schamgefühl, voyeuristisch mit der Kamera draufzuhalten um reißerische Fotos zu machen. Das hielt ich für pietätlos, da sträubte sich etwas in mir. Am Abend waren auch Arnulf und Ilse sprachlos. Jeder stierte vor sich hin und bekam die Bilder dieser Parallelwelt nicht aus dem Kopf. Niemand der dieses Leben nicht mit eigenen Augen erlebte, wird sich auch nur annähernd vorstellen können was dort ab ging.
Diese Bilder hinterließen Reliefabdrücke in meiner Erinnerung. Sie machten aus mir eine Berührbare! Indien ist nichts für schwache Gemüter, aber Indien faszinierte mich. Indien ist Himmel und
Hölle, anziehend und abstoßend, lärmend und göttlich zugleich. Fotografie und Reisen lagen für mich auf der gleichen Visierlinie, diese Kombination übte einen besonderen Reiz aus.
An Bord der „Sirius“
Kein Ort auf dieser Welt gab meinen Gedanken einen weiteren Raum als dieses Schiff. Ich konnte mir unmöglich entkommen. Täglich wurde es windiger, dann stürmisch. Die Sirius tanzte auf und ab, unkontrollierte Schiffsschlenker erschwerten unser Bordleben. Keiner der es nicht erlebte kann sich den Lärm vorstellen, den ein schwankendes Schiff erzeugte. Alles knackte, quietschte und knarrte, scheuerte, hämmerte und kratzte. Man würde meinen, das Schiff wird langsam in alle Einzelteile zerrieben. Anfangs machten mir diese Geräusche noch Angst. Wenn ich in meiner Koje lag und Wellen an die Bullaugen klatschten, dann hörte ich im Rhythmus der wummernden Turbinen mein Herz schlagen. Zu befremdlich war mir die Vorstellung unter dem Wasserspiegel zu schlafen. Aus stürmisch wurde ein Sturm, die See tobte und unsere Sirius rollte. Sie bewegte sich wie eine alte Dame mit Hüftdysplasie. Die Nachtschicht verbrachte ich alleine auf der Brücke und dachte an meine Eltern, die seit ich auf dem Schiff war, nichts mehr von mir gehört hatten. Plötzlich beschlich mich das unheimliche Gefühl beobachtet zu werden. Auf der Brücke machte sich eine seltsame Dichte breit, ich wurde nervös. Tatsächlich bewegten sich hinter dem Seitenfenster dunkle Schatten.
Diese Entdeckung wirkte so Furcht einflößend, dass ich sofort aufsprang und die Brückentür aufriss. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Um die Ecke verschwand ein Gnom, ein kleines Wesen. Es ging alles sehr schnell, aber ich sah noch die Hacken seiner Gummistiefel. Die Gischt klatschte über die Reling, schnell machte ich die Brückentür zu. Schon bald befiel mich wieder das gleiche Gefühl, ich musste nachsehen. Dieses Mal trug der Gnom ein langes Regencape und einen Südwester. Nie sah ich sein Gesicht, zu schnell huschte er um die Ecke. Womöglich war ein blinder Passagier an Bord?
Regen prasselte an die Scheiben der Kommandobrücke, der Wind heulte durch die Türritzen. Um mich herum war nur ein
Nachtschwarz. Dann narrt mich das Wesen zum dritten Mal. Jetzt riss ich die andere Brückentür auf und da stand er! Mit dem Rücken über die Reling gebeugt, sein Gesicht blieb abgewandt. Ich rieb mir die Augen um genauer hinzusehen. Dann erfasste mich eine Woge und schleuderte mich mit voller Wucht zu Boden. Auf den nassen Holzplanken rutschte ich gegen die Brückenwand und die Eisentür knallte mir schmerzhaft gegen die Schulter. Dem Heulen nahe kroch ich auf allen vieren in die schützende Kommandobrücke zurück. Hörte ich da nicht ein windverzerrtes Lachen? Dann ein Tuscheln und noch ein Flüstern! Ich zweifelte an meinem Verstand!