Zwischen zwei Welten
Idylle und wahres Leben: Ausstellung im Taller d’Ivars zeigt Wandel in der Kunst Arlette Roldes‘, der Witwe von Salvador Soria
Es ist ihr Innerstes, das Arlette Roldes in der Ausstellung „Percepción de lo vivido“(Die Wahrnehmung des Gelebten) in Benissas Taller d’Ivars preisgibt. Eine Ausstellung, die kurz vor der CoronaKrise öffnete, über zwei Monate hinter verschlossenen Türen blieb und jetzt wieder bis Ende Juli besucht werden kann (dienstags bis samstags, 18 bis 20.30 Uhr).
Die CBN hatte sich schon vor Beginn der Krise mit der Künstlerin getroffen, deren Werke gegensätzlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite eine heile Welt in rosaroten Pastelltönen, auf der anderen Gewalt, Realität, Verzweiflung. Nur der eine Teil sei sie selbst, betont die fast 96-jährige gebürtige Französin, die bis zu dessen Tod im Jahr 2010 mit Benissas berühmtem Künstler Salvador Soria verheiratet war – und bis heute Kunst schafft..
Es ist die Pastellseite des Lebens, mit der sie sich identifiziert. „Ich bin ein ruhiger Mensch und ich mag das einfache Leben“, sagt sie, ignoriert den Stuhl, den man ihr in die Mitte des Ausstellungssaals gestellt hat, und steigt trotz ihrer Hüftverletzung die Treppe zum oberen Teil der Ausstellung hoch, in dem diese ruhigen, idyllischen Bilder zu sehen sind: Frauen in langen, eleganten Kleidern, die sich vor dem Spiegel zurechtmachen, tuscheln und fast ein wenig mystisch wirken. Männer sind dagegen auf diesen aus den 70er und 80er Jahren stammenden Gemälden nicht vertreten. „Wenn Männer dabei wären, wäre die Idylle dahin“, sagt sie. „Mit den Männern sollte man es so halten wie ich und mein Sohn. Einer arbeitet oben, einer unten. Wir sprechen wenig miteinander und sind glücklich.“
Künstlerin im Krieg
Ihr Sohn Salvador, längst selbst Vater, ist eins von vier Kindern des Künstlerpaars. „Vielleicht waren diese idyllischen Bilder ihrer früheren Phase auch eine Art Zuflucht, die sie nach allem, was sie gesehen hatte, gesucht hat“, sagt er. Ein Leben, das in jungen Jahren vom Krieg aus dem Ruder gerissen wurde, in dem Idylle und Muße lange Zeit keinen Platz hatten.
Am 15. Juli 1924 kam Arlette Roldes im französischen Septfonds auf die Welt. „Schon mit 14 wollte ich Bildhauerin werden“, sagt sie. Doch der Krieg ließ diesen Wunsch nicht zu. Stattdessen stieg das junge Mädchen in die Rugby-Schuhfabrik ihres Vaters ein, nutzte aber schon jetzt jeden freien Moment für kleine Keramikarbeiten oder Malereien.
„Die Kunst wurde zu einem Fluchtweg, der ihr erlaubte, sich von dem Kriegsdesaster in ihrer Umgebung zu entfernen“, schreibt die Enkelin Arlette Roldes‘, Thäis
Soria, in einer Studienarbeit über ihre Großmutter, die neben der Kunst noch einen weiteren Fluchtweg aus dem Alltag gefunden habe – in der Arbeit mit den Flüchtlingen. Den republikanischen Spaniern also, die im Konzentrationslager von Septfonds gelandet waren und denen die damals 15-Jährige half, wo sie konnte. „Sie brachte ihnen zum Beispiel Kleidung und Medizin“, sagt Salvador Soria junior, „und lernte dabei auch Spanisch“. Und: Sie lernte ihren künftigen Mann, Salvador Soria, kennen, dessen Leben ebenso durch den Krieg aus dem Ruder geworfen worden war.
Heimliche Liebe
1915 in Valencia geboren, hängte er 1936 mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs sein Kunststudium an den Nagel, kämpfte für die Republikaner in Teruel, flüchtete 1939 zu Fuß nach Frankreich, wurde ins Konzentrationslager von Septfonds eingeliefert. Auch Soria nutzte jeden möglichen Moment für seine Kunst, die französischen Autoritäten erlaubten ihm sogar, die Wände des Rathauses zu gestalten.
„Meine Mutter sah er das erste Mal, als sie beim Radfahren stürzte“, erzählt der Sohn. Zwar war jegliches Verhältnis zwischen spanischen Männern und französischen Frauen untersagt, doch die beiden fanden ihre Momente, hielten Briefkontakt und heirateten nach der Entlassung Sorias aus einem weiteren Lager in ArgelèsSur-Mer. Arlette wurde Mutter von vier Kindern, die Kunst blieb ihr Steckenpferd.
1953 zog es die beiden schließlich nach Valencia, in die Heimat Salvador Sorias, wo Arlette Roldes auch neben der Leitung eines Frisörsalons der Kunst treu blieb. Möglichkeiten, sich mit anderen
Künstlern auszutauschen, hatte sie genug, fand doch ihr Mann immer mehr Ansehen in der internationalen Kunstwelt. 1969 suchte sich die Familie schließlich ein ruhiges Domizil in Benissa, wo Salvador Soria vor zehn Jahren verstarb.
Nachdenklich betrachtet Arlette Roldes noch einmal die friedlichen Frauen, steigt vorsichtig wieder die Treppe hinunter, ignoriert erneut den Stuhl und spaziert stattdessen durch ihre zweite Welt, die so gar nichts mit der ersten gemeinsam hat. „Irgendwann habe ich eben gemerkt, dass das Leben nicht so ist wie in meinen bisherigen Werken“, sagt sie. „Also habe ich all das gemalt, was ich vom wirklichen Leben wusste. Die Wahrheit.“
Und die ist hart und düster, handelt von Misshandlungen, Rassismus, Armut und wird in der Ausstellung immer wieder von Skulpturen durchbrochen wie der einer Gruppe schwarzer Figuren, die mit leuchtenden Augen nach oben schaut. Erstellungsjahr: 2020. Aus welchem Material sie sei? „Fragen Sie meinen Sohn, das weiß ich nicht so genau“, sagt Arlette Roldes.
Das muss sie auch nicht mehr wissen. Es reicht, dass ihre reifen Hände auch im hohen Alter noch in der Lage sind, so Großartiges zu formen.
Bei „Autopsie“handelt es sich um ein fotografisches Projekt, das tödliche Verkehrsunfälle auf spanischen Straßen 24 Stunden nach dem Ereignis dokumentiert. In einer zweiten Phase wurden Gegenstände von dem Vorfall im Atelier des Künstlers fotografiert. „Kollaps“handelt hingegen von realen Gegenständen, die von Menschen zum Selbstmord benutzt werden. Bis 25. Juli. Museo de la Universidad Alicante – MUA Carretera de San Vicente del Raspeig s/n Mo.-Fr. 9-20 Uhr und Sa., So. 10-14 Uhr
Jubiläumsschau
„20 años. Colección MUA“(20 Jahre. Sammlung MUA), anlässlich des 20. Jahrestag der Institution zeigt das Museum der Universität Alicante 20 Werke, die repräsentativ dessen Fundus wiedergeben. Bis 25. Juli zu sehen.
Museo de la Universidad Alicante
Bilder
Bildersammlung von Daniel Escolano (Alicante, 1954), die vom Surrealismus und magischen Realismus der Anfänge bis zu reinen Linien und Abstraktion des letzten Jahrzehnts reicht. Bis 25. Juli zu sehen.
Museo de la Universidad Alicante
Di.-Sa. 10-14 und 16-20 Uhr So. u. Feiertag 10-20 Uhr
Themenschau
„Fantasma 77. Iconoclàstia Espanyola“untersucht das monumentale Bild von Franco nach dem Tod und die Art und Weise, wie der Staat damit umgegangen ist. Bis 30. August.
Centre del Carme Cultura