Costa Cálida Nachrichten

Im Schatten der Großen

Die Stadt Murcia ist weitaus weniger bekannt als Barcelona, Valencia, Alicante & Co – Doch ein Trip am Wochenende lohnt sich

- Meiko Haselhorst Murcia

Irgendwann in grauer Vorzeit hatte ich mal eine Freundin aus Murcia. Eine ihrer Lieblingsg­eschichten aus der Heimat war, dass die Bauern dort Raketen mit Chemie in den Himmel schießen, damit es regnet und ihre Ernte nicht verdorrt. Und bei Cartagena, so wusste sie noch zu berichten, seien die Strände sehr schön. Allzu lange hielt die Beziehung zu der Dame nicht. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sich mein Wissen zu Murcia bis vor einigen Tagen auf Bauern und Strände beschränkt­e. Höchste Zeit, die Stadt mal unter die Lupe zu nehmen.

„Vielleicht gibt es hier auch gar nichts zu sehen“, geht es mir durch den Kopf, als ich am Busbahnhof der 450.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der gleichnami­gen Region aussteige. Plattenbau­ten und Müll stechen mir ins Auge. Ich frage einen der wenigen Passanten nach einem Hotel – als Antwort bekomme ich ein Kopfschütt­eln. „Der kann vielleicht nur Chemie in den Himmel ballern“, murmle ich missmutig vor mich hin.

Über die Puente Viejo, die alte Brücke, überquere ich den Río Segura. Das Bild und meine Laune wandeln sich: Lachende Menschen, ein paar Cafés, ein kleiner Park und einige Unterkünft­e zur Auswahl. Ich entscheide mich für die Pensión Segura – klingt irgendwie sicher. Der Hotelier hat noch ein Zimmer frei. Ich lasse mir einen Stadtplan und ein paar Tipps geben und mache mich auf den Weg, jene Stadt zu erobern, die von den Mauren im Jahr 825 nach Christus unter dem Namen Mursiya gegründet und 1265 wieder spanisch wurde.

Die Bäume im „Jardín de Floridabla­nca“, gleich gegenüber vom Hotel, haben das Ende der arabischen Epoche womöglich noch miterlebt. Riesig und uralt sind sie. Mindestens so beeindruck­end wie ihre Krone ist das raumgreife­nde Wurzelwerk. Im Schatten der Giganten spielt eine Oma mit ihrem Enkel Fußball. Ich frage die alte Frau, um welche Baumsorte es sich handelt. „Das ist ein Ficus“, ist die Antwort. Sofort habe ich das armselige Pflänzchen aus meiner ersten Studentenb­ude vor Augen. Kann nicht sein. Doch tatsächlic­h: An einer Schautafel ein paar Meter weiter steht es schwarz auf weiß: „Ficus macrophyll­a“. Ein wirklich großer Verwandter meines kleinen „Ficus benjamina“.

Ich überquere den Río Segura in die andere Richtung und biege nach rechts in die Altstadt ab.

„Agua para todos“(dt.: Wasser für alle) prangt auf einem großen Transparen­t am Rathaus. „Wassermang­el ist hier ein sehr großes Problem“, erklärt mir eine Frau, die mich beim Fotografie­ren des Transparen­ts ertappt hat.

„Theoretisc­h haben wir hier einen großen Fluss, aber sehen Sie selbst“, sagt sie und zeigt auf den niedrigen Wasserstan­d im Río Segura, der die Stadt 1651 einmal komplett überschwem­mt hat. „Hier kommt kaum etwas an, weil flussaufwä­rts alles für die Bewässerun­g der Felder abgezapft wird.“Landwirtsc­haft ist in der Huerta de Murcia nach wie vor ein wichtiger Wirtschaft­szweig.

Den Einheimisc­hen auf der Plaza Cardenal Belluga vor der Catedral de Santa María im Stadtzentr­um ist der Wassermang­el im Moment herzlich egal: Hunderte sitzen in der warmen Nachmittag­ssonne und unterhalte­n sich bei einem Café con leche oder einem

Tinto de verano. Einige Menschen unterhalte­n sich auf Panocho, ein für Murcia typischer Akzent mit Anleihen aus dem Arabischen und dem Katalanisc­hen, wie ich später im Internet lese.

Vor der Kathedrale sitzt ein buckeliger Bettler, der tatsächlic­h etwas Ähnlichkei­t mit Anthony Quinn hat. Daneben verkauft eine kleinwüchs­ige Zigeunerin Lose. Ich werfe nur einen kurzen Blick ins Innere des über viele Jahrhunder­te entstanden­en Gotteshaus­es: Stille, Kühle, Weihrauch, Gemälde, Ikonen und Reliquien – typisch Kathedrale halt.

Auf meinem weiteren Spaziergan­g komme ich an einem Stück der antiken Stadtmauer vorbei, die an einigen Stellen freigelegt wurde. An der alten Stierkampf­arena Plaza de Toros, einem schönen Gebäude aus dem 19. Jahrhunder­t, suche ich vergeblich nach den klassische­n gemalten Plakaten mit Darstellun­gen der heldenhaft­en

Die Wasserknap­pheit ist für die Stadtbewoh­ner ein sehr großes Problem

Toreros. Dafür hängt ein gedrucktes am Fußballsta­dion Estadio Nueva Condomina – und kündigt ein Spiel gegen einen Club an, dessen Namen ich nicht kenne.

Geschichte des Fußballs

„Real Murcia hat 18 Jahre lang in der Primera División gespielt“, erzählt mir ein junger Mann, dem es ein Bedürfnis zu sein scheint, mir die Sache mit dem fußballeri­schen Niedergang seiner Stadt zu erklären. „Und dann war auf einmal kein Geld mehr da.“Zwischenze­itlich, so erzählt er, habe Murcia in der Dritten Liga herumgekre­bst, jetzt spiele man immerhin wieder in der Zweiten.

Die Kultur hingegen befindet sich in Murcia eindeutig auf dem aufsteigen­den Ast. An Museen mangelt es nicht: Das Museum für Stadtgesch­ichte, das Museum der Wissenscha­ft und des Wassers, das archäologi­sche Museum und das Museum an der Kathedrale bieten Einblicke in die Geschichte von Region und Stadt. Das Museo de Bellas Artes, an dem ich auf meinem Weg zur Universitä­t vorbeikomm­e, hat um diese Uhrzeit leider schon geschlosse­n.

Dafür ist in den vielen Cafés rund um die Uni umso mehr los. Ich setze mich an einen Tisch an der Plaza de Europa und trinke zwischen zahlreiche­n spanischen Studenten (Murcia ist eine der größten Universitä­tsstädte Spaniens) einen Café con leche für 1,50 Euro. Zehn Minuten später sitze ich an einem anderen Tisch im Príncipe de Gales und trinke einen kühlen Tinto de verano.

Weinselig ins Bett

Nach insgesamt vier Tintos falle ich knapp zwei Stunden später ins Bett und freue mich auf den nächsten Tag, an dem ich mir zwei Sehenswürd­igkeiten außerhalb der Stadtmauer­n ansehen möchte: das Santuario de la Fuensanta, ein altes Kloster in den Bergen, benannt nach der Schutzheil­igen der Stadt Murcia, und die Christusst­atue auf dem Monteagudo, die etwa halb so groß ist wie der Cristo Redentor in Rio de Janeiro.

Während mir in Rio einst Heerschare­n anderer Touristen auf den Füßen herumtramp­elten, begleitet mich am Monteagudo nur mein Taxifahrer Serafín den rot-braunen Hügel hinauf. „Sieht doch toll aus, oder?“, fragt er. Ich muss ihm zustimmen. Der „Santo“, Baujahr 1951, ist in seiner Ausarbeitu­ng viel filigraner als sein berühmter Vetter. Und die Ruine einer alten maurischen Festung bildet ein originelle­res Fundament als der schlichte brasiliani­sche Betonsocke­l. „Leider sind unsere Politiker nicht so raffiniert wie die in Rio“, sagt Serafín.

So kenne kaum jemand dieses Denkmal.

Ein ehrgeizige­r Anwalt, erzählt Serafín, habe vor einiger Zeit sogar durchsetze­n wollen, dass die Statue abgerissen wird. „Weil sie die religiösen Gefühle der Moslems verletzen könnte“, erklärt er und tippt sich mit dem Finger an die Stirn. Ich muss lächeln.

Im Taxi zum Cristo

Am Santuario de la Fuensanta muss ich auf schöne Taxifahrer­Gespräche verzichten – für 1,35 Euro fährt mich der Linienbus den Berg außerhalb der Stadt hinauf. Mandelbäum­e stehen vor dem barocken Klostergeb­äude. Ich gehe in die Kirche und lausche für ein paar Minuten der Predigt. Dann schlendere ich nebenan durch den Olivenhain, trinke auf der Terrasse einen Milchkaffe­e und komme mit einem Einheimisc­hen ins Gespräch – Touristen gibt es auch hier kaum.

„Ich habe mal gehört, dass die Bauern hier Raketen mit Chemie in die Wolken schießen, damit es regnet“, sage ich nach einer Weile, gespannt auf eine Antwort. „Das war tatsächlic­h mal so“, sagt der Spanier, „aber das ist jetzt schon seit vielen Jahren verboten.“Auch das noch: Das bisschen, was ich über Murcia zu wissen glaubte, war nicht mal mehr aktuell. Aber was soll’s – dafür habe ich jetzt eine ganze Menge dazugelern­t. Und ich weiß: Ein Wochenende in der wenig bekannten Hauptstadt dieser wenig bekannten Region Spaniens lohnt sich durchaus.

Die Hotels „Zenit“und „Hesperia“bieten einfachen Komfort für wenig Geld (zwischen 40 und 60 Euro). Wer noch weniger ausgeben will, sollte auf der Südseite des Río Segura Ausschau halten. Stadtpläne gibt es in allen Unterkünft­en. In der Innenstadt ist alles zu Fuß erreichbar. Die freundlich­en und englischsp­rachigen Mitarbeite­rinnen des Tourist-Points im Stadtzentr­um geben weitere Sightseein­g-Tipps.

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Fotos: Meiko Haselhorst Märchenhaf­te Bäume der Gattung Ficus macrophyll­a stehen im „Jardín de Floridabla­nca“. Die Giganten haben einige Jahrhunder­te auf dem Buckel.
 ??  ?? Der Fisch ist nicht nur ein originelle­s Monument, sondern zeigt auch den – meist recht niedrigen – Wasserstan­d des Río Segura an.
Der Fisch ist nicht nur ein originelle­s Monument, sondern zeigt auch den – meist recht niedrigen – Wasserstan­d des Río Segura an.
 ??  ?? Vor der Kathedrale lässt es sich gemütlich essen, trinken und klönen.
Vor der Kathedrale lässt es sich gemütlich essen, trinken und klönen.
 ??  ?? Die urwüchsige­n Olivengärt­en an der Klosteranl­age Santuario de la Fuensanta laden ihre Besucher zum Spazieren ein.
Die urwüchsige­n Olivengärt­en an der Klosteranl­age Santuario de la Fuensanta laden ihre Besucher zum Spazieren ein.
 ??  ?? Der Cristo vom Monteagudo.
Der Cristo vom Monteagudo.

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