Acht Arme am Rande Europas
Kulinarische Rundreise durch Spaniens Regionen – Teil 14: Galicien
mar. Die Galicier sind schon ein eigenartiges Völkchen da ganz im regenreichen Nordwesten am Rande Europas. Ihre Sprache klingt mehr portugiesisch als spanisch, ihre Wurzeln haben sie im protogermanischen Stamm der suevos, Schwaben, die den Römern so heftig zusetzten, dass die sogar einen Pakt mit den verfeindeten Westgoten schmiedeten, um die galicischen Häuslebauer im Zaum zu halten. Half ihnen aber nichts.
Galicien war ab 711 nur rund 40 Jahre von den Mauren beherrscht, die Einwohner tragen aber bis heute doppelt so viel nordafrikanisch-arabische DNA in ihren Genen wie der Durchschnittsspanier. Begründet wird das damit, dass die Gastfreundschaft der Galicier, die bis heute legendär ist, so weit reichte, dass man den Vertriebenen aus dem Süden, als sie sich zu Morisken taufen ließen, lange Zuflucht gewährte und die sich integrierten. Eine enge kulturelle Bande verbindet sie mit den asturischen Nachbarn und der Region León, zu dessen Königreich sie gehörten.
Die Seefahrer- und Fischereitradition ist stark ausgeprägt. Von den Häfen San Cibrao, Ferrol, A Coruña, Villagarcía, Marín und Vigo legten Flotten von Entdeckern
ab, aber auch viele Auswanderer suchten von hier das Weite. Alexander von Humboldt stach 1802 von Ferrol zu seiner bahnbrechenden Entdeckungsreise nach Südamerika auf, nicht ohne vorher die gute galicische Küche, gespeist aus den kalten Atlantikgewässern, probiert zu haben. Nun, ihm blieb nicht viel anderes übrig, denn die Häfen Galiciens wurden gerade von den Briten blockiert, die mal wieder mit den spanischen Königen im Streit standen.
Auch heute kommen aus den landschaftlich prägenden Rías Baixas, den Fjorden der Westküste, die feinsten Meeresfrüchte und -tiere, wie die daumengroßen berberechos oder die Stabmuscheln navajas sowie natürlich der pulpo gallego, dieser achtarmige Leckerbissen. Interessanterweise stammt aber das in ganz Spanien berühmte Nationalgericht der Galicier, der pulpo a la gallega, gar nicht direkt von den Galiciern. Ursprünglich wurde dafür nämlich getrockneter, rehydrierter Tintenfisch verwendet. Diese Konservierungsart ist eindeutig maurischen, eigentlich sogar berberischen Ursprungs, also nordafrikanisch.
Pulpo auf dem Marktplatz
Der pulpo gallego heute, ist zart, aber nicht zu verweichlicht gekochter Tintenfischarm in Scheiben geschnitten und auf einem Bett dünner, gekochter Kartoffeln mit etwas Knoblauch, gutem Öl und Paprikapulver angerichtet. Die ursprüngliche Form davon heißt pulpo a la feira und war, wie der Name schon sagt, ein Marktgericht. Die Oktopusse wurden mitten auf dem Markt in einem pote, dem typisch galicischen zylindrischen Topf aus Gusseisen, der in keiner Familie fehlen durfte, gekocht und dann serviert. Noch heute kennt man sie in Galicien als tapa, „trozo“, Stückchen.
Die Erfinder seien, so berichten die Historiker, gar nicht die Galicier selbst, sondern die sogenannten maragatos. Und hier schließt sich der Kreis, denn dieses fahrende Volk der maragatos, aus dem Lateinischen „mauricatus“, übersetzbar mit „maurisch sprechend“oder „aus Mauren gemacht“, nimmt Bezug auf eine heterogene Volksgruppe, die auf die Konvertierten aus dem Süden zurückverfolgbar sein soll, sich aber mehr nach ihrer Tätigkeit als mobile Handwerker oder Marketender definieren lässt, denn nach ethnischen Kriterien. Am besten lassen sie sich vielleicht mit den Jenischen Mitteleuropas vergleichen:
Von der Mehrheit zu einer Art Zigeunern erklärtem Prekariat. Das ist zwar für den Geschmack des pulpo a la gallega heute nicht ausschlaggebend, aber doch ein interessanter Gesprächsstoff dazu, neben den großartigen Weinen aus den Tälern hinter den Rías Baixas.
Muscheln und Heilige
Wer noch keinen Teller frische berberechos in einem Sud aus Weißwein, Knoblauch und Petersilie mit einem staubtrockenen, geradlinig-festen albariño oder einem fruchtig-pfeffrigen verdejo aus Rueda dazu genossen hat, hat schlicht nicht gelebt. Sagte mir ein Galicier. Und er hatte natürlich Recht. Und es ist beileibe kein Zufall, dass der Camino de Santiago, der Jakobsweg nach Santiago de Compostela mit einer Jakobsmuschel gewiesen wird. Behauptete man, der Heilige wäre nach der Muschel benannt und nicht umgekehrt, man würde sich in Galicien wohl nur Freunde machen.
Die klimatischen Besonderheiten Galiciens, dem Reich, in dem die Sonne nie aufgeht, wie die südlichen Spanier spotten, hat schmeckbare Folgen in der Küche. Zunächst isst man hier Unmengen und die Küche ist nicht nur der Ort der Zubereitung, sondern, wie all
gemein im europäischen Norden, auch das Zentrum jeden Haushalts. Die durch den vielen Atlantikregen saftigen, grünen Wiesen sind die Weidegründe der vaca gallega, des wohl – vielleicht neben dem baskischen – besten Rindfleischs des Landes.
Blonde Kühe
Die rubia gallega, die galicische Blondine ist die bevorzugte Rasse, ihr Fleisch per Zertifikat EU-weit geschützt. Sie liefert unter anderem das berühmte chuletón, das große Rippensteak am Knochen, dessen Reifung mittlerweile eine Kunst geworden ist, die an das Gehabe der feinen Weinkeller heranreicht. Die feinen Fettadern, die es gleichmäßig durchziehen sorgen für die Saftigkeit.
Sehr beliebt ist auch das Kalbfleisch, von Tieren, die maximal zehn Monate leben dürfen (lechal oder ternera blanca) sowie danach das añojo, das Einjährige, das in Wirklichkeit bis zu vier Jahre alt sein darf, gefolgt von der vaca und dem buey, dem Ochsen, also einem kastrierten Stier ab vier Jahre. In Galicien ist das gesellige churrasco gallego Tradition, auch in vielen Lokalen, wo das in Weißwein, Knoblauch und Öl marinierte Fleisch am offenen Feuer zubereitet und dann wie bei einem Kebap
scheibchenweise serviert wird, bis der Gast abwinkt, falls er es noch kann.
Die Güte eines Produktes erkennt man auch daran, wie begehrlich es für Fälschungen erscheint. Mit dem Verkauf von „echtem“carne de buey, das in Wirklichkeit eine alte kastilische Kuh ist oder pulpos gallegos, die aus dem marokkanischen Mittelmeer stammen, beschäftigen sich ganze Sondereinheiten der Guardia Civil.
Die hohe Luftfeuchtigkeit in Galicien bedingt, dass der sonst in Spanien fast überall kultivierte luftgetrocknete Schinken, jamón ibérico, nicht so recht trocknet. Daher hat der Galicier für sich den lacón, also den Koch- oder Saftschinken entdeckt, der hier auch eine beliebte Tapa darstellt, lauwarm serviert, gerne mit Kartoffeln oder Kichererbsen.
Ähnliches gilt für die embutidos, also die Würste, die hier gegart werden müssen, um nicht zu verschimmeln. Bei den Schweineschlachtungen macht man auch Arten von chorizo, das dafür benutzte Fleisch wird sehr grob gehackt und als zorza zu einer beliebten Tapa gemacht.
Ebenfalls landschaftstypisch ist die Kastanie, die in Galicien ungefähr den Platz einnimmt, den im Rest Spaniens die Mandel innehat.
Fast 100 Sorten zählt man im Lande, ein Dutzend sind in der Küche heute gebräuchlich, als süßes Püree im Nachtisch oder aus dem Ofen oder der Grillglut. Die Kastanien werden in Würsten eingearbeitet und in Eintöpfen gekocht, in Milch wie ein Müsli gegessen oder zu Marmelade oder herzhaftem Pesto verarbeitet oder als Kuchen gebacken. Die Rezepte dazu spiegeln sich fast immer mit den Traditionen in Nordportugal, mit denen man mehr als den Regen teilt. Kastanienfeste im November gehören zu Galicien und Nordportugal, genau, wie der Regen.
Backapfel und Kastanie
Werden in Asturien die Äpfel vorzugsweise zu sidra, also Apfelwein vergoren, isst man sie in Galicien auch gerne. Und zwar am liebsten die wilden Äpfel von den Wegesrändern, die nicht perfekt, nicht einmal richtig reif sein müssen. Sie werden in der Mitte eingestochen, mit Zucker und einem aguardiente, also einem Schnaps übergossen, einem Klaren oder mit Kräuter versetzten. Das Ganze kommt in den Ofen und fertig ist der galicische Bratapfel, der dort papanduxa heißt.
Ein typisches Gericht, präsent in allen Bars die auch in Omas Küchen sind die galicischen Empanadas. Keine Teigtäschchen, sondern Teigkoffer, die mindestens die Größe eines Tellers, besser aber noch die eines Backblechs haben. Wanderer des Jakobsweges haben diese deftigen Wegzehrungen sicher zu schätzen gelernt. Neben Fleisch-, Schinken-, Fisch-, Gemüseund Meeresfrüchtefüllungen sind vor allem die empanadas de setas zu empfehlen, also jene mit den jeweiligen Pilzen der Saison. Schirmlinge (lepiotas), Pfifferlinge (níscalos) und natürlich die Steinpilze (boletos). In kälteren Gefilden sind die Küchen stets reich an
Suppen und Eintöpfen. In Galicien finden wir die caldeirada gallega, ein Eintopf, eng verwandt mit all den calderos de marisco, die ihren Ursprung auf den Decks der Fischerboote haben. Kartoffeln, Erbsen, Zwiebeln, Knoblauch, Weißwein und Paprikapulver werden mit Fischbrühe auf den Punkt gekocht, dann gibt man den frischen Fang dazu und zieht ihn fertig. Etwas deftiger ist der guiso de choupa oder auch pota genannt, der leicht gebunden daherkommt. Choupa ist eine Art Kalmar für Arme. Eintöpfe gibt es zudem mit Aal (anguila).
Der zweiten Familie der Eintöpfe steht der pote als Oberhaupt vor, es sind im Grunde die puchero-Eintöpfe, die in ganz Spanien so beliebte Winteressen bilden: Kartoffeln, Kichererbsen, Schweinefüße,
Rippen, Chorizo, Blutwürste.
Eine dritte Gruppe von Suppen, caldo gallego überschrieben, belegt wiederum die Nähe zu Portugal und dessen Nationalsuppe caldo verde. Die Basis hier sind Feldgemüse wie Steckrüben (grelos), Rübchen (nabizas), Grünkohl (berza) und andere Krautsorten, die mit
Kartoffeln und/oder weißen Bohnen (alubias, fabadas) gekocht werden, als Geschmacksträger dienen Schweineschmalz (manteca), chorizo, Kochschinken, ein Stück Speck und andere fette Fleischteile.
Pilgers Glück
Erwähnenswert in der galicischen Küche ist der Reichtum an Brotsorten, sowohl weißer Baguettes wie auch dunkler Vollkornbrote auf Sauerteigbasis aus Weizen, Gerste oder Mais (pan millo). Besonders berühmt ist das pan de cea, benannt nach San Cristóbal de Cea bei Orense, dessen Rezept aus alten Klosterüberlieferungen stammt und am Hofe des Königs von Kastilien, Sancho IV., im 13. Jahrhundert erwähnt wird. Es ist Begleiter der Pilger auf dem Camino de Santiago und besonders lecker mit einem der schmackhaften Käse Galiciens, einem Tetilla, San Simón, Arzúa-Ullóa oder Queiso de Cebreiro.
Der Pilger und der Gourmet kommen mit der tarta de Santiago ins Ziel, einem schwammigen aber noch bissfesten Kuchen aus Mandelmehl, viel Ei und Zucker, etwas Zitronenabrieb und, je nach Region, einer Messerspitze Zimt. Alles wird mit Puderzucker bestäubt, auf dem seit 1924 vorschriftsmäßig die Standarte Santiago de Compostelas, das cruz de Santiago, wie ein Fresco prangt.
Mit Nachbar Portugal teilen sich die Galicier den Regen und viele Rezepte