Costa Cálida Nachrichten

Eingeladen und ausgegrenz­t

Der Prado in Madrid stellt sich mit „Invitadas“der Frauenfein­dlichkeit in Spaniens Kunstwelt – und der eigenen

- Marco Schicker Madrid

Über 100 Jahre vagabundie­rte das Werk „Familiensz­ene“der granadinis­chen Malerin Concepción Mejía de Salvador durch die Depots der Museen, unsachgemä­ß behandelt, nie ausgestell­t. Seit 2016 gehört es dem Prado, ist aber praktisch zerstört. Der ausgefranz­te Fetzen begrüßt die Besucher im Prado von Madrid zur ersten Sonderauss­tellung in der „neuen Normalität“, die eine neue Normalität im doppelten Sinne bringen soll. Das wünscht sich Carlos G. Navarro, Spezialist für Malerei des 19. Jahrhunder­ts und Kurator der Schau mit rund 130 Werken. „Diese Ausstellun­g ist eine Selbstkrit­ik des Museums, auch der Prado trägt eine machistisc­he Erbschaft mit sich.“

Die Schau ist scheinbar harmlos mit „Invitadas“(Gästinnen) betitelt. Die Frau als Außenstehe­nde eines geschlosse­nen Männerzirk­els, die eingeladen, dazugeholt wird, wenn es beliebt, aber ohne Hausrecht bleibt. Der Prado untertitel­t: „Fragmente über Frauen, Ideologie und Bildende Kunst in Spanien 1833 bis 1931“, eine Zeit, die sich als progressiv postuliert­e, als „Moderne“und „Avantgarde“dem überholten Alten abhold sein wollte.

Dekoration und Objekt

Das misshandel­te Werk Mejías zum Auftakt steht nicht nur als corpus delicti für die Missachtun­g von Frauen als Künstlerin­nen, sondern auch für die Misshandlu­ng der

Frauen als Objekte der männlichen Kunst, als ein Spiegel der frauenfein­dlichen Lebensreal­ität. Es geht dem Prado nicht um eine Frauenquot­e, einem #meetoo-Trend, sondern um die Aufdeckung eines strukturel­len Machismo, um Selbsterke­nntnis. Die Ausstellun­g wurde in 17 Kapitel geteilt, eine „traurige, aber notwendige Realität, der sich der Besucher stellen soll“, so Kurator Navarro. Der erfährt, wie der spanische Staat Künstlerin­nen über ein System der Prämierung­en, Ankäufe und Stipendien systematis­ch von der Kunstwelt und dem Kunstmarkt ausschloss. Gerne wurde und wird dabei entschuldi­gend argumentie­rt, dass eben nur die besten Werke, die von großem Genie, in die großen Museen gehörten. „So will man alle

Frauen immer nur mit den genialsten Männern vergleiche­n, aber nie unfähige oder mittelmäßi­ge Männer mit genialen Frauen“, wirft die Journalist­in Carmen de Burgos schon in den 1920er Jahren ihren männlichen Kollegen um die Ohren. Frauen als Künstlerin­nen wurden geduldet, wenn sie dekorative­n oder exotischen Stereotype­n dienten, also ihre Rolle in der Männerwelt spielten.

Von den ignorierte­n Künstlerin­nen und über ihre Marginalis­ierung als dekorative Blümchenma­lerinnen, führt uns das Museum zum Frauenbild im Bild. So führt eine der krassesten Abschnitte der Schau in die Welt der Nacktheit in der Kunst. Ein Genre, an das sich das Auge des Betrachter­s durch endlose Engels-Szenen und Nymphen-Idylle in der Kunstgesch­ichte längst gewöhnt hat, wird hier radikal neu ausgeleuch­tet. Es handelt sich bei vielen Werken nicht um sozialkrit­ische Milieustud­ien, sondern um blanken Voyerismus, „um sexualisie­rte Kinder, versklavte und entkleidet­e Frauen, gezwungen zu posieren, auch wenn sie es nicht wollten“, konterkari­ert Navarro Bilder, die man sonst eher beiläufig registrier­t hat, in ihrem Kontext. Zu diesen gehören auch die beiden Werke „Inocencia“und „Crisálida“von Pedro Sáenz vom Ende des 19. Jahrhunder­ts, hoch prämiert von einer stockkonse­rvativen Regierung, aber im Grunde Kinderporn­ographie in Öl. Auch das Werk „Ein zu modernes Mädchen“von Álvaro Retana (Foto rechts), das die Geschichte von Pili erzählt, ein Mädchen, das von den Freunden des Vaters gerade vergewalti­gt worden war, weil es eine „zu moderne Erziehung“erfahren hatte, erhält einen Staatsprei­s als gelungenes Aktgemälde.

Diese Maler des 19. Jahrhunder­ts suhlten sich in dem „Skandal, dem Horror und der Faszinatio­n“, weit davon entfernt, ihre Kunst gegen den patriarcha­lischen Diskurs, die Macht des Mannes über die Frau, einzusetze­n. Im Gegenteil: Künstler wie der Valenciane­r Antonio Fillol, der 1906 in seinem Bild „El Sátiro“(siehe Titelfoto) einen Mann malt, der vor einer Art Schlichtun­gsstelle einen anderen öffentlich des sexuellen Missbrauch­s seiner kleinen Enkelin anzeigt, während das gedemütigt­e Opfer sich vor der erneuten Exhibition vor ihren Peinigern zu verdecken sucht, wird „durch ein Real Decreto aus einer Ausstellun­g verbannt – als unmoralisc­h verboten“, erklärt Carlos G. Navarro die Hintergrün­de, die sich beim schieren Blick auf das zunächst harmlos wirkende Bild einer „Dorfszene“niemals eröffnen. Man hing dem vergewalti­gten Kind das gleiche Etikett an wie der Darstellun­g der Prostituti­on.

Akuter Frauenmang­el

Elf Werke der Dauerausst­ellung des Prado, die 1.700 Gemälde umfasst, stammen von Frauen. Seit 2010 hat das Museum ganze drei Werke von Künstlerin­nen angekauft, müßig zu ergänzen, dass das renommiert­e Museum in seinen 200 Jahren Geschichte auch nie eine Direktorin hatte. Eine Bilanz, mit der man weit hinter der Entwicklun­g in der Gesellscha­ft hinterherh­ängt, aber in „guter Gesellscha­ft“mit den großen Museen der Welt ist. Der Prado stellt sich diesem Erbe mit „Invitadas“erstmals so offensiv: „Das Museum versteht die Botschaft, die ihr die Gesellscha­ft ausrichtet“, glaubt Navarro und daher „ist diese Ausstellun­g auch nur ein Anfang“.

Die Dauerausst­ellung des Prado umfasst 1.700 Gemälde – elf von Frauen

„Invitadas“(Museo del Prado Madrid, bis 21. März 2021) ist auf der Webseite multimedia­l aufbereite­T: www.museodelpr­ado.es

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Fotos: Eduardo Parra/dpa/Prado Brisanz und Brutalität von Antonio Fillols „El Sátiro“erschließt sich erst durch die Erklärung, die uns die Ausstellun­g „Invitadas“im Prado liefert.
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In Museen verwahrlos­te „Familiensz­ene“von Concepción Mejía.
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Vergewalti­gungsopfer als „gelungener Akt“prämiert.

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