Es geht um die Wurst
Chorizo, Salchichón, Morcilla und Co.: Kleines Kompendium der spanischen Embutidos
mar. Wenn uns Europäer wirklich etwas eint, dann sind es das Bier und die unendliche Vielfalt an haltbar gemachten Schlachtprodukten in Schweinedärmen. Von den Schluchten des Balkan bis in die Sierra Morena hat praktisch jedes Dorf seine Wurst. Der Ungar, der in der Ferne arbeiten muss, sagen wir im Burgenland, wird nicht lange ohne seine Wintersalami auskommen, der Pole nicht ohne die kabanosy, während sich der Österreicher erst wieder zuhause fühlt, wenn er in eine Waldviertler, Bosna oder Käsekrainer beißen kann. Die Deutschen werden im Ausland mit Würsten praktisch gleichgesetzt, wir würden neben Weißwurst, Frankfurter, Knacker, Bockwurst oder Thüringer eigentlich nichts anderes essen. Und die Spanier, die die Finanzkrise ins kalt-graue London oder Hamburg trieb, wärmen sich dort an einer Chorizo, Fuet oder Morcilla.
Die Embutidos, wie in Spanien alles heißt, was in Gedärm gepresst wird, sind hierzulande so vielfältig, dass sie in jeder gut sortieren Metzgerei neben dem Frischfleisch und dem Schinken (charcutería) ihre eigene Abteilung führen
Der Gastroschreiber einer besonders patriotischen Tageszeitung verstieg sich neulich sogar zu der These, dass der grandiose Aufschwung, den die Schlachtwürste in Spanien Anfang des 16. Jahrhunderts nahmen, ein Akt christlichen Aufbegehrens gegen die Dominanz der Muselmanen gewesen sei, sozusagen die degustative Entscheidungsschlacht der Reconquista. Denn durch die Hausschlachtung eines Schweines und dessen Verarbeitung erreichte man die höchstmögliche emotionale Abgrenzung zu den Verboten des Islam. Die Chorizo als achtes Sakrament des spanischen Katholizismus.
Wurst als Glaubensbekenntnis
Dass der Autor sich da verwurstelt, wird klar, wenn man bedenkt, dass die Lufttrocknung, die Räucherung,
Die Morcilla, eine Blutwurst in 1.001 Varianten.
das Einsalzen und das Abbrühen uralte Konservierungstechniken der Menschheit sind. Man bekommt in Tunesien oder Marokko Lammwürste, für die man konvertieren könnte, und der spanische Wurst-Boom hing vor allem mit dem Import der für die Haltbarmachung und – ganz wichtig: Bekömmlichkeit – besonders geeigneten Gewürze aus den Neuen Welten zusammen: Paprika und Pfeffer. Das war zu einer Zeit, da waren die spanischen Moslems schon wieder dort, wo Letzterer wächst. Dennoch verwenden gerade die Spanier viele Gewürze, die sie von den Mauren als Erbe übernahmen, in ihren Schweinewürsten: Kreuzkümmel, Nelken, Muskat oder Zimt.
Die berühmteste spanische Wurst, auch im Ausland, ist zweifellos die Chorizo. Das Wort ist eine vernuschelte Version des lateinischen salsicium, für gesalzen, auch der Oberbegriff salchicha stammt daher. Die Chorizo español besteht aus grob gedrehtem Schweinefleisch, rund einem Viertel Fett, reichlich Paprika, Knoblauch
und sie wird lange an der Luft getrocknet, was ihr die charakteristisch schrumpelige Form gibt und sie mit zur am längsten haltbaren Wurst macht. Es gibt sie in einer normalen, „süßen“(dulce) Variante und scharf (picante), mal weicher, meistens aber recht hart.
Besonders empfehlenswert sind die Versionen aus dem Fleisch des cerdo ibérico, die dunkler sind, in manchen Orten wird sogar Wildschwein verarbeitet. Ihre gastronomische Anwendung ist unendlich: Einfach als Tapa mit Brot, als Spieß mit Käse, ausgelassen in der Pfanne als kräftiger Geschmacksmarker für einen Linseneintopf oder kleingehackt im Rührei, in Aufläufen, in den Migas oder sogar als Pasta-Sauce.
Die meist längere und dünnere, vor allem viel „jüngere“Verwandte ist die Longaniza. Schon hier wird die Definition schwierig, denn sie gibt es sowohl als gebrühte wie auch rein getrocknete Versionen, die meist nach der 70/30Regel relativ mageres Schweinefleisch und Bauchspeck (panceta) verwenden.
In den regionalen Unterarten finden wir viele exotische Gewürze wieder, aber kein Paprika. So benutzt die Longaniza de Aragón neben Salz, Knoblauch und Pfeffer auch Oregano, Muskatnuss und einen Schuss Essig, in Ribargorza, ebenfalls Aragón, schätzt man die „Longaniza de Graus“mit Wein und Nelke. In Navarra kommen Ei, Reis, Safran und Petersilie hinein und die katalanische Version, die Fuet geheißen ist (sagen Sie niemals Longaniza zu ihr!), ändert ihren Geschmack in jedem Dorf. Eine weichere Version der Fuet, die auf der Haut Schimmelpilze bildet, ist die Secallona.
Eine weitere Gattung der spanischen Würste ist mit Salchichón überschrieben, dem Namen nach also eine Groß- oder Überwurst, also auf alle Fälle etwas Beeindruckendes. Auch hier gehen die Varianten weit auseinander und reichen von fein salami-artig bis zu steinharten, grobkörnigen Dauerwürsten. Neben der Lufttrocknung sind viele Salchichones geräuchert, vor allem jene aus den nördlichen und feuchten Landesteilen Spa
niens, wo sie sonst, wie in Galicien, eher verschimmeln als trocknen würden. Es hat sich in einigen Regionen auch eingebürgert, Rindund Wildfleisch mitzuverarbeiten.
Auch in der Salchichón werden mitunter Nelke, Koriandersaat und Muskatnuss neben den Standardgewürzen verarbeitet. Die Varianten, die eine Salami imitieren, kommen meist nicht an die besten italienischen Salami-Produkte heran, das schaffen nicht einmal die Franzosen oder sogar die Ungarn.
Blutwurst spanische Art
Dafür haben die Spanier mit ihrer Morcilla eine Spezialität, gegen die deutsche Blutwurst oder englischer black pudding geradezu einfallslos wirken. Die morcilla kommt ohne Fleisch aus und besteht im Wesentlichen aus Blut. Am berühmtesten ist die morcilla de Burgos in Castilla y León, neben 70 Prozent Blut gehören dort Schweinefett, Reis, Zwiebel, Paprika und Salz hinein, manchmal auch eine Messerspitze Zimt. Auch davon gibt es eine „süße“und eine pikante Version.
In León mischt man noch etwas Minze hinein und reift die morcilla länger, in Andalusien dürfen Knoblauch und Kreuzkümmel (comino) nicht fehlen, in der Extremadura mischt man das Blut mit Kartoffel, in Murcia sind wiederum Nelken und Pinienkerne gern gesehen. Die morcilla in dicke Scheiben geschnitten und in der Pfanne ausgelassen, frittiert oder kurz angebraten mit Ei ist ein Gedicht, das in Österreich den poetischen Namen Blunzngröstl trägt.
Neben den vier Hauptrichtungen des spanischen Würste-Kanons gibt es eine Unzahl regionaler Produkte, von denen man einige kennen sollte. Auf den Balearen hat man mit der Sobrasada eine Art Streich-Chorizo geschaffen, die langsam an der Luft reift: fein durchgedrehtes Schweinefleisch und -fett mit reichlich Paprika und Pfeffer sind auch hier wieder die Grundzutaten.
Die Butifarra ist ein nationales Emblem der Katalanen, sie wird wie eine Grillwurst zubereitet, von Habas-Bohnen begleitet, zum Nationalgericht. Neben der Standardversion gibt es Varianten mit Anteilen von Blut, Reis, Ei, sogar Trüffeln und Honig.
Ebensolchen Kultstatus genießt die Txistorra (chistorra) in Navarra, im Baskenland und in Teilen von Aragón. Sie hat einen besonders hohen Fettanteil (über 50 Prozent) und ist halbiert und in der Pfanne gebraten das Fiesta-Frühstück für die Sanfermines von Pamplona. Sie ist eine der wenigen Würste, die „frisch“verkauft werden und ein relativ schnelles Ablaufdatum haben.
Saumagen aus León
Eine Besonderheit ist die Botillo (auch Botelo oder Butelo) in Galicien, Asturien, vor allem aber um León. In El Bierzo – dem spanischen Wurst-Mekka – hat man aus ihr fast eine Religion gemacht, ein
Wenn es etwas gibt, das alle Europäer eint, ist es das Bier und die Wurst.
Zunftrat kümmert sich um die Regeln, was hinein darf und was nicht. Die Botillo wird in einem breiten Darmstück zubereitet aus: Rippchenfleisch, verschiedenen Innereien, Wange. Um die Sache auf die Spitze zu treiben, wird dieser leonesische „Saumagen“traditionell mit einer Chorizo als Beilage verspeist. Eine Version davon aus Asturien heißt Chosco, in der auf keinen Fall Schweinezunge fehlen darf.
Die Valencianer schätzen ihre Blanquet, eine Kochwurst ebenfalls auf der Basis von durchwachsenem Schweinefleisch, ergänzt um Ei, Nelken und Zimt, manchmal mit Pinienkernen. Bekannt ist sie auch in Murcia und Albacete im Süden der Mancha, wo sie pur als Tapa gegessen wird. In Valencia ist sie Pflichtbestandteil der großen Eintöpfe, pucheros.
Der oder das Chiquillo (der
Kleine) stammt aus Murcia, es ist eine Art Wurstrolle, in der mehrere Schichten Schweinehaut konzentrische Kreise bilden. Viel Oregano, wieder Nelken und Zimt und Schwarzer Pfeffer machen die fette Orgie verdaulich. Bei guten Fleischern gibt es den Chiquillo vom chato murciano, dem kleinen schwarzen autochtonen Hausschwein der Murcianer.
Neben der Haltbarmachung hatten Würste auch die Funktion der Resteverwertung. In ihnen konnte man nicht nur alles verarbeiten, was sonst schwer verkäuflich war, sondern im Darm und bedeckt mit Gewürzen konnte man auch herzhaft strecken, um die Illusion von Fleisch zu verlängern. Vier Wurstsorten treiben dieses Prinzip auf die Spitze: Die Farinato aus Salamanca, Zamora und dem Süden Leóns besteht aus Schweinefett, aber rund zur Hälfte aus altem, eingeweichten Brot oder sogar Mehl (farina=harina=Mehl), den bekannten Zutaten und dazu Olivenöl und: einem kräftigen Schnaps – schon in der Wurst.
Weizen- oder Maismehl enthält auch die Borono in Kantabrien, eine Halbblutwurst, die ziemlich fett ist und manchmal sogar frittiert und mit Zucker bestäubt serviert wird. Sollten Sie beim spanischen Fleischer eine gelbe Wurst hängen sehen, handelt es sich wahrscheinlich um ein „Relleno de Carnaval“, eine Spezialität, die es von Jaén und Córdoba nach ganz Spanien geschafft hat. Es ist das andalusische „Gottesbescheisserle“, denn die „Faschingsfüllung“soll eigentlich nur aus Ei, Brot und recht exotischen Gewürzen bestehen und beim Auftakt zur Fastenzeit sättigen. Doch die Mischung verbirgt Schweine- oder Putenfleisch ebenso wie Innereien.
Delikatesse aus Bodensatz
Den Bodensatz des sonntäglichen Eintopfes einzusammeln und daraus Fleischklösschen zu formen, macht man in Valencia (faseguras), in Andalusien formt man daraus eine Wurst, die Pringá. Sie gibt es sowohl grob-fasrig in Darm gepresst als auch wie ein Paté als Aufstrich. Die pringá, aufgeschnitten, kurz angebraten in einem Stückchen Brot als montadito serviert, ist eine der andalusischen Parade-Tapas und ein geniales Katerfrühstück.