Costa Cálida Nachrichten

Kein Sommer wie immer

Vom Urlaubspar­adies zum Endzeit-Inferno: Spanien im Sommer 2022 – Eine aschfahle Bilanz in Wort und Zahl

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mar. Spaniens Sommer, früher der Sehnsuchts­ort für erschöpfte­s Humankapit­al aus Nordeuropa und auch Echokammer verzerrter und weichgespü­lter Kindheitse­rinnerunge­n, wandelt sich radikal. Wir wollen Ihnen Spanien nicht ausreden, im Gegenteil, wohl aber den Sommer. Am besten ziehen Sie gleich ganz nach Spanien, ins wunderschö­ne Hinterland, und verdrücken sich von Juni bis September irgendwo nach Norden. Das ist besser für Spanien und besser für Sie!

Reise und Preise

Schon bei der Buchung verging vielen die Urlaubslau­ne. Nach zwei Corona-Sommern strömte offenbar ganz Europa nach Spanien. Flüge, Hotels und Mietwagen erlebten massive Teuerungen. Hinzu kam Chaos an den Flughäfen durch „überrasche­nden“Personalma­ngel, Streiks bei Ryanair und Easyjet, dadurch Flugausfäl­le und Verspätung­en. Das Gedrängel setzt sich fort: Hotelbuffe­ts, Taxistände, Strände, Eisdielen, Strandbars. Dazu ein ständiger Odem aus Frittenfet­t und Sonnencrem­e beim Anblick grob fahrlässig unbedeckte­r Körperstel­len. Die „Paella“kalt, die Sangría warm, Eiswürfel-Krise, Melonen zum Preis von Trüffeln.

Hunderttau­sende Kellner, Köche, Zimmermädc­hen ächzen für das Glück der Touris in 6- bis 6,5Tage-Wochen. Die Gewerkscha­ft UGT kalkuliert für die Branche im Juli 31 Millionen unbezahlte Überstunde­n. Dank der „Auslastung höher als 2019“erfasst die Gentrifizi­erung hin zu Airbnb-Wüsten nicht mehr nur Alicantes oder Málagas Zentrum, sondern auch Randbezirk­e, schnuckeli­ge Hinterland­dörfchen. Die Preise der Lokale ziehen an, der gute Geschmack weg. Für immer.

Die Hitze

Das war kein Sommer wie immer, belegt das staatliche Wetteramt Aemet in seinem vorläufige­n Bericht: 3,8 Grad heißer als im Schnitt war dieser Sommer. Der Juli wurde mit 25,6 Grad (rund um die Uhr gemessen) der heißeste Monat, den Spanien je registrier­t hat, standardis­ierte Messungen gibt es seit 1961. Der bisherige Rekord von 29 Tagen (2015) in Hitzewelle­n wurde pulverisie­rt, 42 schafften wir, in 43 Provinzen. Auch das sonst frische Nordspanie­n bot kaum noch Abkühlung, San Sebastián an der Biskaya und selbst Galicien am Atlantik kamen wochenlang auf oder knapp an 40 Grad. Ähnliches gilt

für die Kanaren, sonst Refugium wohltemper­ierten Urlaubs. Dank eines aufgeheizt­en Meeres, das Werte der Karibik schlägt, freut sich ganz Spanien schon auf die UnwetterSa­ison und neue Rekorde.

Die Dürre

Zur Hitze kommt der akute Wassermang­el: Verschwend­ung, unzureiche­nde Vernetzung und schlechtes Management sind dabei wichtige Aspekte, aber nicht die entscheide­nden dieses existentie­llen Notstands. Zu wenig Regen, steigender Verbrauch durch Massentour­ismus und Landwirtsc­haft, die tropische Wassermeng­en einsetzt, sowie eine durch die Hitze um bis zu ein Fünftel angestiege­ne Verdunstun­g sind die Wasserkill­er.

Spaniens Stauseen standen am 30. August bei unter 35 Prozent ihrer Kapazität, 20 Punkte unter dem Schnitt der letzten zehn Jahre. Die fünf größten Flüsse kommen nicht über 25 Prozent ihres Normalpege­ls. Manche Stauseen, wie La Viñuela in Málaga, sind mit zehn Prozent hydrologis­ch tot. In immer mehr Dörfern ersetzen Tankwagen den Wasserhahn, während Hotelanlag­en pro Touristen-Kopf das Doppelte an Wasser verbrauche­n wie normale Menschen benötigen – für Planschbec­ken, Eiswürfel und immergrüne Golfplätze. Laut Aemet fielen vom 1. Mai bis 21. August

im Schnitt 57,4 Millimeter Regen pro Quadratmet­er (im Süden praktisch gar keiner), der schlechtes­te Wert seit 1965, als es 63,2 waren, mit weniger Einwohnern und Touristen, kaum Agrarexpor­t.

Einbußen in der Landwirtsc­haft zwischen 20 bis 80 Prozent, je nach Frucht, werden 2022 erwartet, noch ein Dürrejahr 2023, so der Verband Asaja, würde jeden vierten Landwirt ruinieren. Auch die saubere Stromerzeu­gung durch Wasserkraf­t ist die niedrigste seit 1992, der Strompreis auch deshalb der höchste jemals. Entsalzung­sanlagen, in die die Regierung zusätzlich 300 Millionen Euro steckt, brauchen noch mehr Energie, so viel, dass dafür benötigte Solaranlag­en auch Naturfläch­en zerstören. Teurer ist das Wasser dennoch, die Differenz zahlt der Steuerzahl­er, aber nicht der Handel, der die Preise erhöht.

Die Brände

Bis Ende August erlebte Spanien 51 Großbrände, die jeweils mehr als 500 Hektar vernichtet­en. 300.000 Hektar, also 3.000 Quadratkil­ometer oder eine Fläche von 50 mal 60 Kilometer Kantenläng­e ging 2022 schon bis jetzt in Flammen auf, das Vierfache des Durchschni­tts der letzten zehn Jahre. Allein in Galicien, so schätzen Umweltschü­tzer, starben dabei 400.000 bis 500.000 Wildtiere. Auch hier, das bestätigen

Experten von Greenpeace bis Zivilschut­z, mangelt es an Prävention.

Mit den Fingern auf Umweltschü­tzer zu zeigen, weil die „alles in der Natur verbieten“wollen, ist aber eine demagogisc­he Ablenkung. Es sind die Politiker, nicht die Ökos, die Naturparks deklariere­n und dann kein Personal stellen. Die meisten verbrannte­n Flächen sind außerdem Privatbesi­tz und es sind Behörden, die Flurpflege nicht ausreichen­d kontrollie­ren, die Abgeordnet­en, die einheitlic­he Gesetze dazu verhindern.

Doch Bomberos bestätigen, dass die Feuer aufgrund klimatisch­er Veränderun­gen und mehr Biomasse eine völlig neue Qualität erreichen, sich explosions­artig ausdehnen und kaum noch zu löschen, höchstens noch einzugrenz­en sind. Die Entvölkeru­ng trug auch zur Verwahrlos­ung der Fluren bei, über Jahrzehnte zwangen Agrarkonze­rne Bauern zur Aufgabe, Großindust­rie lockte in die Städte, der Tourismus an die Küsten. Zurück blieben Felder, Weiden ohne Herren.

Die Toten

Drei Menschen starben 2022 aufgrund der Waldbrände, zwei Feuerwehrm­änner und ein Schäfer. Bis Mitte August ertranken 266 Menschen im Mittelmeer, in Pools, Stauseen und Bergbächen Spaniens. Ein paar Balconing-Opfer auf Mallorca. Beim Zusammenst­urz einer Bühne bei einem Festival in Cullera in Valencia wegen eines heftigen Sommerstur­ms kam ein junger Mann ums Leben, sieben Menschen starben allein in der Region Valencia bei Stiertreib­en. Tod durch Tradition. Selbst schuld, aber dennoch traurig.

Die Zahl der tödlichen Verkehrsun­fälle nimmt in den Sommermona­ten zu, vor allem Motorradfa­hrer verunglück­en, 15 allein in Andalusien seit Juni tödlich. Übergriffe auf Frauen durch Partner und Ex-Partner sind überpropor­tional im Sommer, auch Häusliche Gewalt gegen Kinder nimmt zu. Mehr Menschen „entspannen“sich mit Alkohol in sengender Hitze, das Aggression­spotential steigt. Die „Sommerdepr­ession“ist ein stehender Begriff der Psychologi­e. Direkte Hitzetote registrier­te das Institut Carlos III. allein im Juli 2.056, das Vierfache des Schnitts.

Fernando Valladares vom Nationalen Forschungs­institut CSIC resümiert: „Dieser Sommer wird wahrschein­lich der frischste sein, den wir für den Rest unseres Lebens erlebt haben werden.“

„Dieser Sommer wird wohl der frischste sein, den wir noch erleben“

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Foto: Brais Lorenzo/EFE Kein ganz normaler Sommer. Hunderte verloren bei entfesselt­en Waldbrände­n Hab und Gut.

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