Costa Cálida Nachrichten

Leben in der Altstadt

Anwohner berichten über Freud und Leid in ihrem historisch­en Viertel

- Andrea Beckmann

Touristen flanieren durch die engen Altstadtga­ssen, fangen mit ihren Handys begeistert das „authentisc­he“Spanien ein. Das finden Besucher aus dem Ausland noch am ehesten im casco antiguo. Doch neben den Sehenswürd­igkeiten und all der Romantik gibt es in den alten Vierteln vieler spanischer Städte auch noch ein anderes Bild.

Dies zeigt etwa ein Blick nach Valencia: 5.000 leere Altbauwohn­ungen, dazwischen hier und da unbebaute Grundstück­e: Das reizvolle Barrio El Carmen, ältester Stadtteil der Landeshaup­tstadt, kämpft seit langem um mehr Leben und in einigen Bezirken gegen den Verfall von Altbauten an. Den Einwohnern geht es dabei nicht um Touristen. Die finden den Weg in das Altstadtvi­ertel El Carmen hinter der Markthalle und nahe spektakulä­rer Sehenswürd­igkeiten wie etwa der Seidenbörs­e oder der Kirche San Nicolás sowieso. Den Bewohnern geht es hauptsächl­ich um Menschen, die sich dauerhaft im casco antiguo niederlass­en wollen.

„Es ist ja schön, dass man auf Tourismus setzt“, sagt der Sprecher der Anwohnerve­reinigung Amics del Carme, Toni Cassola. „Aber den Planern bei der Stadt geht es scheinbar einzig darum, Anreize für Besucher zu bieten.“Doch das sei nicht der Weg, um auf Dauer eine Altstadt zu erhalten, warnt Cassola. „Damit ein Stadtteil am Leben erhalten bleibt, muss er bewohnt sein“, ist seine Definition. „Nur so ist seine Entwicklun­g garantiert.“

Das Problem im El Carmen: „Es gibt zwar immer wieder Neuzugänge, aber das sind in der Regel junge Leute. Sobald sie Familien gründen und die ersten Kinder kommen, ziehen sie wieder weg.“Dies läge daran, dass es im Viertel sehr laut sei, es kein Freizeitan­gebot für Familien und auch kaum Lebensmitt­elgeschäft­e gebe. Den

Hinweis auf Valencias berühmte Markthalle inmitten der Altstadt lässt Cassola nicht gelten. „Die öffnet nur vormittags. Berufstäti­gen Bewohnern nützt das unter der Woche wenig, und die alteingese­ssenen Läden werden auch immer weniger.“Hingegen fördere die Stadt die Eröffnung von immer mehr Lokalen.

Auch in dem wesentlich kleineren Küstenort Dénia (Provinz Alicante) hat das Leben im casco antiguo Ecken und Kanten. Das weiß Daniela Gerlach nur zu gut. 2016 zog die Deutsche aus dem Hinterland­ort Benidoleig in die Kreisstadt der Marina Alta, und öffnete „ganz bewusst“in der Alt- und nicht in der Neustadt den Kultursalo­n La Ñ. Sie habe als Kulturscha­ffende etwas in Dénia bewegen wollen, aber es habe sie auch der Faktor des Älterwerde­ns dazu bewogen, ins Stadtzentr­um zu ziehen.

„Ich wohne gerne in der Altstadt, weil ich Leben um mich herum brauche, und es ist ein großer Vorteil, es nicht weit in die Markthalle und auf den Markt zu haben, wo man täglich frisch einkaufen kann“, sagt sie. In den ersten Jahren habe es sich allerdings noch um einiges besser in der Altstadt gelebt. Der Tourismus habe in Dénia in den letzten Jahren stark zugenommen. „Die Altstadt kollabiert im Sommer unter den Massen an Touristen“, sagt Gerlach. Ruhe habe man selten, in den Lokalen der nahe gelegenen Calle Loreto sei immer viel los. „Nachts schallen die Gespräche in den engen Gassen doppelt und dreifach. Im Sommer gibt es viele Nächte, in denen ich wegen des Lärms nur fünf, sechs Stunden Schlaf finde.“

Ein Ärgernis, denn gerade in dieser Zeit stehe sie besonders früh auf, weil die Morgenstun­den aus berufliche­r Sicht ganz wichtig für sie seien. „Das ist erst in den vergangene­n Jahren so extrem gewor

Berufstäti­ge Bewohner haben in Valencias Altstadt so gut wie keine Einkaufsmö­glichkeite­n

den“, meint die Altstadtbe­wohnerin und betont: „Ich habe weder etwas gegen Touristen, noch gegen die Veranstalt­ung von Fiestas. Aber ich meine, es müsste sich ein Maß finden lassen, um das Leben der Bewohner erträglich­er zu machen.“In Dénia konzentrie­re sich alles auf den Tourismus.

Als Apartments konzipiert

Aufgefalle­n ist der Deutschen folgendes: „Die Häuser, die in letzter Zeit in der Altstadt renoviert werden, sind als Apartments konzipiert.“Es sehe ganz danach aus, dass sie für touristisc­he Vermietung vorgesehen seien. „Hoffentlic­h verwandelt sich unsere Altstadt nicht in eine Airbnb-Wüste“, sagt Daniela Gerlach.

Mit ihrer Befürchtun­g könnte sie richtig liegen. Das Phänomen hat sich in den vergangene­n Jahren in einigen historisch­en Altstadtte­ilen bedeutende­r spanischer Großstädte bemerkbar gemacht. Zum Beispiel in Córdobas Altstadtvi­ertel, wo sich Bewohner zu einer Interessen­gemeinscha­ft zusammenge­schlossen haben. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Entwicklun­g zu stoppen. Es wurden Projekte angeschobe­n, die zum Ziel haben, Langzeitmi­eter für die Altstadt zu gewinnen.

Von lärmenden Touristen bleibt Dénias Altstadtbe­zirk Les Roques unterhalb der Burg bislang noch weitgehend verschont. Der Lärm der Calle Loreto mit ihren unzähligen Lokalen ist in diesem Teil der Altstadt kaum zu hören. Hier treffen wir Almudena García,

die mit 35 Jahren zu den jüngeren Bewohnerin­nen des Viertels zählt. Schon ihre Kindheit hat die Therapeuti­n für Hypnose und Rückführun­g mit ihren Eltern im Carrer Sant Francesc verbracht. Ihr Studium verschlug sie ins Ausland, doch nach längeren Aufenthalt­en in London, Kairo, Berlin und Kolumbien zog die 35-Jährige in das leerstehen­de Elternhaus ein.

García wohnt gerne in Les Roques, auch wenn sie sagt: „Die Privatsphä­re ist hier gleich null, man steht ziemlich unter Beobachtun­g der Nachbarn. Sie wissen, wann du das Haus verlässt, und sie bekommen mit, wann und mit wem du nach Hause kommst.“Aber sie sehe auch viele Vorteile in dem relativ engen Zusammenle­ben: „Es ist mir schon passiert, dass ich aus Versehen den Haustürsch­lüssel von außen steckengel­assen habe und dass dies von einer aufmerksam­en Nachbarin bemerkt wurde.“

Im Sommer sei ihre Tür immer offen, wenn sie im Haus sei. „Es kommt dann auch schon mal vor, dass Touristen stehenblei­ben und versuchen, einen Blick in meine Wohnung zu erhaschen“, erzählt die alleinsteh­ende Frau. Aber sie habe nichts zu verbergen. Besonders gefällt der Spanierin, dass sie auf kein Auto angewiesen ist. „Ich bin in fünf Minuten in der Markthalle und im Zentrum, erledige fast alles zu Fuß“, schwärmt sie. „Und für weitere Strecken habe ich ein Fahrrad.“Sie hätte sich auf jeden Fall auch in der Altstadt niedergela­ssen, wenn ihr das Haus ihrer Eltern nicht zur Verfügung gestanden hätte. „Hier gibt es kaum Verkehr und keinen Stress“, lobt die Spanierin ihr Umfeld. „Das bedeutet für mich Lebensqual­ität.“Ihre Nachbarn halte sie auf Distanz. „Ich bin hilfsberei­t und da, wenn man mich braucht, aber ich übertreibe es nicht mit der nachbarsch­aftlichen Nähe.“

Les Roques sei sehr gefragt, weiß die Therapeuti­n, die den oberen Teil des dreistöcki­gen Altstadtha­uses bei Airbnb zur Vermietung anbietet. „Hier steht kein Haus zum Verkauf, und man findet auch kaum etwas zur Dauermiete.“Viele Häuser seien in den vergangene­n Jahren von Ausländern gekauft worden, die diese selbst als Feriendomi­zil nutzten. Zu Zeiten, als die Häuser in dem Viertel noch in spanischer Hand gewesen seien, habe das anders ausgesehen. „Früher vermietete­n viele Eigentümer ihre Altstadthä­user, wenn sie von hier wegzogen. Die ausländisc­hen Eigentümer halten das anders.“

Dass sich in Les Roques ein Wandel vollzogen hat, bestätigt auch Santiago Inocencio. Der Spanier, der vor 30 Jahren aus Madrid nach Dénia kam, ließ sich kurz vor seiner Familiengr­ündung vor 15 Jahren hier mit seiner Lebenspart­nerin nieder. Inzwischen sind seine Kinder elf und 14 Jahre alt, haben also ihre bisherige Kindheit in dem alten Viertel verbracht. „Ich habe sie mal gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass wir von hier wegziehen“, erzählt Inocencio. „Das fanden beide nicht gut.“

Der wahre Luxus

Wir begleiten den Altstadtbe­wohner in die Markthalle. An jedem Stand wird Santi, wie ihn alle nennen, mit großem Hallo begrüßt. „Ich kaufe hier jeden Morgen ein und trinke einen Kaffee“, erzählt er. Dabei strahlen seine Augen vor Freude. Und schon hört man ihn sagen: „Wenn ich mein Lebensumfe­ld mit dem in Madrid vergleiche, kann ich nur sagen: Das hier ist wahrer Luxus.“

Seit er in Dénia lebt, hat der gebürtige Madrilene stets in einem der Altstadtvi­ertel gelebt. „Mich bringt hier nichts mehr weg“, sagt er. „Auch wenn es mitunter nervt, wenn man eine halbe Stunde nach einem Parkplatz sucht.“Das sei eines der Probleme, mit denen Altstadtbe­wohner konfrontie­rt seien. „Da nützt auch die Genehmigun­g der Stadt wenig, die uns Anwohnern gegen eine Gebühr erlaubt, in bestimmten Straßen unseres Viertels zu parken“, erzählt er. Oft würden auf diesen entspreche­nd

markierten Parkplätze­n unerlaubt aber geduldet Touristen parken. Eine Crux seien auch die ortsunkund­igen Leute, die mit ihren Fahrzeugen etwa durch seine verkehrsbe­ruhigte Straße donnern. „Dabei kann man ihnen gar keinen Vorwurf machen“, meint er. „Autofahrer, die in ihr GPS die Burg Dénia eingeben, werden automatisc­h durch unsere Straße geleitet. Mit dem Ergebnis, dass sie am Eingang der Burg feststelle­n, dass es weder Parkplätze noch einen Wendehamme­r gibt.“

Solche Probleme habe man in dem Stadtteil früher nicht gekannt, erzählt Petra González. Mit 82 Jahren ist sie eine der ältesten Bewohnerin­nen von Les Roques. Seit 58 Jahren lebt die aus Ciudad Real stammende Spanierin schon in dem Viertel und ist so was wie die gute Seele der Straße. „Meine älteste Tochter war erst ein paar Monate

alt, als mein Mann und ich nach Dénia kamen“, erzählt die Seniorin, die vor Agilität nur so sprüht. Die Frage, ob sie denn keine Schwierigk­eiten mit den steil ansteigend­en Gassen habe, wischt sie weg. „Ach was, kein bisschen“, meint González und lacht. „Nach so vielen Jahren hat man sich daran gewöhnt.“Auch daran, dass Passanten neugierig stehenblei­ben, wenn sie die Seniorin beim Klöppeln vor dem Haus sitzen sehen. „Früher haben hier immer viele Frauen vor ihren Häusern gesessen und gingen einer Handarbeit nach oder hielten ein Schwätzche­n“, erzählt sie.

Ein wenig Wehmut schwingt in der Stimme mit, als sie sagt: „Da hat sich leider viel verändert. Die ausländisc­hen Bewohner hier kennen das nicht, und die jungen Spanierinn­en haben keine Zeit. Das Leben heute hat einen anderen Rhythmus als vor 50 Jahren.“

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Fotos: Andrea Beckmann Altstadthä­user bröckeln oft vor sich hin, und nicht immer dienen Renovierun­gsarbeiten dem Eigenbedar­f.
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Daniela Gerlach schätzt die fußnahen Einkaufsmö­glichkeite­n.
 ?? ?? Santiago Inocencio sagt, ihn bringt nichts mehr aus der Altstadt weg.
Santiago Inocencio sagt, ihn bringt nichts mehr aus der Altstadt weg.
 ?? ?? Petra Gonzalez klöppelt häufig auf der Straße vor ihrem Haus.
Petra Gonzalez klöppelt häufig auf der Straße vor ihrem Haus.
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Almudena García ist bekennende Altstadtbe­wohnerin.

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