Costa Cálida Nachrichten

Paradies der Steinböcke

Die zwei Gesichter der Sierra de Gredos: malerische Dörfer im Norden und mediterran­es Flair im Süden des Gebirges

- Ingrid Lechner El Barco de Ávila

Schaut man über den quirligen Fluss Tormes hinweg zur Ortschaft El Barco de Ávila, bestaunt man zuerst die vielen Storchenne­ster auf den Zinnen des Castillo de Valdecorne­ja und den Türmen der Kirchen. Die Störche fliegen eifrig hin und her und versorgen ihre Nachkommen­schaft mit Futter. Mit großem Geschrei warten die jungen Störche auf ihr Essen und sperren die Schnäbelch­en schon beim herannahen der Eltern in freudiger Erwartung weit auf.

Diesem netten Naturschau­spiel könnte man stundenlan­g zuschauen, würde nicht auch der Gebirgsflu­ss Tormes die Aufmerksam­keit auf sich ziehen. Denn hier ist der erst kurz zuvor in der Sierra de Gredos entsprunge­ne Bach schon recht groß und wird im Sommer von den Einheimisc­hen auch gerne als „Badeanstal­t“benutzt. Seine Stromschne­llen lenken die Blicke auf sich, die römische Brücke über den Rio Tormes verströmt ein mittelalte­rliches Flair und die schattigen Uferwege wirken idyllisch und erholsam.

Alles in allem ein sehr ansprechen­des Bild, das sich dem Besucher hier in El Barco de Ávila bietet. El Barco de Ávila hat 2.600 Einwohner, liegt in der Provinz Kastilien-Leon, etwa 230 Kilometer von Madrid entfernt am nördlichen Fuße des Gebirgssto­cks Sierra de Gredos, und ist ein beliebtes Ausflugszi­el der Madrilenen.

Man findet hier gute Hotels, Ruhe und Erholung. Der alte Ortskern, der als Kulturgut in der Kategorie

Conjunto histórico-artístico eingestuft wurde, ist neben dem Besuch der gotischen Kirche Nuestra Señora de la Asunción aus dem 14. Jahrhunder­t, der majestätis­chen Burg Valdecorne­ja und der alten Stadtmauer einen Bummel wert. Und dazu besticht der Ort noch durch seinen außergewöh­nlichen Panoramabl­ick auf die Sierra de Gredos. Recht zentral am Rande der Gredos gelegen, bietet er sich als idealer Ausgangspu­nkt für Exkursione­n in und rund um diesen interessan­ten Gebirgssto­ck an.

Seen, Schluchten und Felsen

Umrundet man die Sierra de Gredos in ihrer ganzen Ausdehnung, wird man überrascht von zwei total unterschie­dlichen Ansichten. Malerische Dörfer mit urigen Steinhäuse­rn prägen die raue Landschaft im Norden, mediterran­es

Flair findet man auf der Südseite. Von Norden erscheint sie sanft geneigt und eher lieblich, nach Süden fällt sie auf einer Breite von zehn Kilometern fast 2.000 Meter dramatisch ab.

Wie so etwas zustande kommen kann, erklären die Geologen folgenderm­aßen: „Gredos ruht auf einem Sockel, der zu den ältesten paläozoisc­hen Gebirgsbil­dungen der iberischen Halbinsel zählt, danach aber fast völlig abgetragen wurde. Das vorherrsch­ende Gestein ist Granit und wurde dann im Zuge der alpidische­n Gebirgsbil­dung erneut angehoben, während sich der Südrand absenkte. So entstand eine spektakulä­re Abfolge von Bergseen, Felszirkel­n, Schluchten und Felswänden, geschaffen durch Erosion in den unterschie­dlichen Eiszeiten“.

Soviel zur trockenen Geologie, auf jeden Fall ist die Sierra de Gredos ein herrliches und unvergessl­iches Ausflugs- und natürlich auch Wandergebi­et. Wer einmal im späten Frühjahr von der 1.780 Meter hoch gelegenen, gute Parkmöglic­hkeiten aufweisend­en Plataforma zum Mirador „Circos de Gredos“gewandert ist, wird den Anblick nicht vergessen.

Umgeben von einem Meer goldgelb blühendem Ginster blickt man auf eine noch mit Schnee bedeckte Bergkette, wo sich die steil aufragende­n Gipfel mit dem 2596 Meter hohen Almanzor, wie an einer Schnur aufgereiht präsentier­en. Der darunter schimmernd­e Bergsee Laguna Grande setzt das iTüpfelche­n auf diese postkarten­reife Aussicht. Für Gredos-Neulinge ist der Anblick schier überwältig­end und auch für Gredos-Kenner ist er immer wieder ergreifend und beeindruck­end.

Gredos sehen und sterben

Diese Naturschön­heit wusste auch schon Kaiser Karl V. zu schätzen. Im Alter von 55 Jahren übergab der Monarch all seine Ämter an Bruder und Sohn und beschloss, fortan am Fuße der Sierra de Gredos seinen Lebensaben­d zu verbringen. Dazu hatte er sich den Ort Yuste, auf der Südseite des Gebirges gelegen, ausgesucht. Er ließ sich einen kleinen, im italienisc­hen Stil gehaltenen Palast bauen, welcher direkt an das Hieronymit­esKloster grenzte.

Eine Besonderhe­it des Palastanba­us ist eine Verbindung­stür vom Schlafgema­ch zum Hauptaltar des Klosters, wo der an Gicht leidende Karl V. die Messe von seinem Bett aus verfolgen konnte. Auch wenn der Palast mit lediglich acht Zimmern relativ bescheiden war, hat es dem Privatier nicht an Komfort gemangelt: eine rund sechzigköp­fige Dienerscha­ft kümmerte sich um den abgedankte­n Kaiser in seinem Alterswohn­sitz.

Aber erst einmal hieß es, mit seinem ganzen Gefolge dorthin zu übersiedel­n. Das war damals ein gewagtes Unterfange­n, denn er musste die stark zerklüftet­e Bergregion Gredos überqueren. Er erreichte am 11. November 1556 mit seinem Tross den Ort Tornavacas. Von da aus ging es über die Berge ins Tal des Rio Jerte, wo er unfreiwill­ig den Wanderweg „Ruta de Carlos V“ins Leben rief, der auch heute noch eine besondere Attraktion darstellt.

Sputen von Kelten und Römern

Aber nicht nur Karl V hat hier seine Spuren hinterlass­en, auch schon Kelten und Römer siedelten hier. Viele Wanderwege führen über mittelalte­rliche Passwege, die einst als Viehtriebe­wege angelegt wurden. Wichtige Ortschafte­n sind El Barco de Ávila, Barajas, Hoyos del Espino und San Martin de la Vega auf der klimatisch raueren und von Viehwirtsc­haft geprägten Nordseite, sowie Candeleda, Jarandilla de la Vera und Arenas de San Pedro auf der durch fruchtbare Böden geprägten Südseite. Aber sämtliche Dörfer und Weiler am Fuße des Gebirgssto­cks strömen eine große

Liebenswür­digkeit aus und laden zum Wiederkomm­en ein.

Bedenken Sie aber, dass die Sierra de Gredos als Hochgebirg­e eingestuft ist und die Hochlagen von Dezember bis April mit einer geschlosse­nen Schneedeck­e bedeckt sein können. Wenn dann aber die Schneeschm­elze vorbei ist, die Ginsterhän­ge in strahlende­m gelb leuchten und die Frühlingsb­lumen aus der Erde sprießen, dann ist man überwältig­t von der vielfältig­en Flora. Und natürlich auch von der Fauna. Denn plötzlich und unerwartet werden Sie beim wandern oder spazieren gehen auf große Herden von Steinböcke­n

treffen, die sich ruhig und ohne irgendwelc­he Angst auf den Wiesen sonnen.

Kämpfe um die Weibchen

Wer das italienisc­he „Steinbockp­aradies Gran-Paradiso“kennt, wird sogleich eine Parallele ziehen. Denn dort wie hier begegnen diese Tiere dem Menschen ohne Scheu, kommen relativ nahe heran und betteln sogar manchmal um ein „Leckerli“. Kaum zu glauben! Und in der Brunftzeit kann man die ausgewachs­enen Böcke bei einem sich immer wiederhole­nden Ritual beobachten. Sie schmettern mit heftigem Knall ihre Hörner gegeneinan­der.

Vor über Jahren war das noch anders, damals war der spanische Steinbock nahezu ausgerotte­t. Im Jahre 1905 gab es nur noch einen Bock, sieben Weibchen und vier Junge. Glückliche­rweise verbot Spaniens König Alfonso den Abschuss, da er seinen eigenen Jagdbestan­d für die Zukunft sichern wollte. Heute zählt man wieder mehr als 10.000 Tiere in dieser paradiesis­chen Landschaft. Aber auch Adler und Geier werden Sie fasziniere­n und jede Exkursion zu einem Erlebnis werden lassen.

Wenn Sie ein Freund der Paradores sind, gibt es noch einen Geheimtipp. Zwischen kristallin­en

Gewässern, zerklüftet­en Felsen und den grünen Pinienwäld­ern der Sierra de Gredos verschanzt sich seit 1928 hinter herrschaft­lichen Steinmauer­n der Parador de Gredos, der erste aller Paradores. Auf der Südseite finden Sie den Parador de Jarandilla de la Vera, der einer monumental­en Festung gleicht.

Abstecher ins Kirschenta­l

Ein interessan­ter Ausflug wäre auch das in der Extremadur­a gelegene Valle del Jerte, das sich als „Kirschenta­l“internatio­nal einen Namen gemacht hat. Auch der Naturpark Monfragüe mit seiner pittoreske­n Felslandsc­haft und zahlreiche­n Flüssen bietet sich zu einem Ausflug an. Ohne großen Aufwand lassen sich hier unter anderem Mönchsgeie­r, Kaiseradle­r und Störche beobachten.

Oder fahren Sie in die Sierra de Béjar, nach Candelario, das mit einem äußerst interessan­ten Dorfkern besticht. Von dort führt ein kleiner Abzweig nach El Castañar mit der angeblich ältesten Stierkampf­arena Spaniens.

Alles das sind gute Gründe für einen Ausflug in diese fantastisc­he Region. Eine Region, die schon dem bekannten spanischen Schriftste­ller, Philosophe­n und Vizekanzle­r der Universitä­t Salamanca, Miguel de Unamuno (1864-1936) eine Würdigung wert war. Er beschrieb die Sierra de Gredos sehr passend und dramatisch poetisch als „versteiner­tes Unwetter aus Feuer und Lava im Dach Kastiliens und steinernen Herzen von Spanien“.

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Fotos: Ingrid Lechner Für Neulinge in der Sierra de Gredos ist der Anblick schier überwältig­end und auch für Kenner immer wieder ergreifend und beeindruck­end.
 ?? ?? Auf den Zinnen der Burg haben Störche ihr Nest gebaut.
Auf den Zinnen der Burg haben Störche ihr Nest gebaut.
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Steinböcke kommen bisweilen bis auf Tuchfühlun­g heran und hoffen auf einen Leckerbiss­en.
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Der Río Tormes wird von den Einheimisc­hen im Sommer gerne als Schwimmbad genutzt.

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