Costa Cálida Nachrichten

Von wegen „letzte Ruhe“

Geschichte­n aus der Gruft: Ein kleiner Allerheili­gen-Reiseführe­r zu den Gräbern der berühmtest­en Spanier

- Marco Schicker

Friedhöfe sind nicht für Tote, sondern für die Lebenden gemacht. Zum Trost, wie Religionen. Scharnier zwischen Dies- und vermeintli­chem Jenseits. Den Toten sind sie egal, Friedhöfe wie Religionen. Denn der Tod ist real, kalt und nach irdischen Maßstäben endgültig. Die Gräber spanischer Promis waren das keineswegs immer. Von wegen: Ruhe in Frieden. Schlendern wir über Spaniens heilige Felder, die campos santos, um halbwegs chronologi­sch Gräber von Berühmthei­ten aufzuspüre­n, landen wir auffallend oft in Kathedrale­n.

Der Apostel im Wunderschi­ff

Die Mutter aller spanischen ist jene von Santiago de Compostela. Denn hier, an der galicische­n Küste, von einem Lichtstrah­l angekündig­t, in einem sich wundersam in einen Sarkopharg verwandeln­den Boot, landeten die Überreste des Apostels Santiago El Mayor, also Jakobus des Älteren, an. Irgendwann zwischen dem 4. und 9. Jahrhunder­t, da streiten Geister und Geistliche.

Santiago wurde zum Schutzpatr­on Spaniens. Er wollte den Hispaniern schon um das Jahr 40 unter großer Mühsal das Christentu­m (bei)bringen. Doch die huldigten bei ihren Fiestas unter römischer Regie lieber vielen Göttern, die mehr erlaubten als verboten. Es musste schon die Jungfrau erscheinen und einschreit­en, damit sich Santiago nicht in den Ebro stürzt und sie bot ihm eine Säule (Virgen del Pilar) als Stütze. Santiago kehrte nach Jerusalem zurück und wurde von Herodes, König von Judäa von Roms Gnaden, ermordet.

Um Santiagos plötzlich silbernen Prunksarko­pharg bauten sie ihm im 12. Jahrhunder­t eine neue Kathedrale, die alte hatten die Mauren niedergema­cht. Sie ist heute Zieleinlau­f des berühmten Pilgerwegs, der längst nicht nur Gläubige anzieht, eine überkonfes­sionelle Touristena­ttraktion wurde. Vor allem die deftigen Bohnensupp­en und Blutwürste der Schenken am Jakobsweg seien empfohlen, die Muscheln in Galicien sind ohnehin die besten der Welt.

„Se le apareció la Virgen“, „ihm ist die Jungfrau erschienen“,

blieb eine der blumigen Redensarte­n der Spanier, wenn einer nicht mehr weiter kann oder weiß. Letztens hörte ich den Satz von einem aufgekratz­ten Fußballkom­mentator, der damit einen im Torliniena­us verendeten Kontervers­uch eines Stürmers illustrier­te.

Ritter Cid im Schwabenla­nd

Neben der Virgen erschien unserem nächsten Helden manchmal auch Mohammed. Je nachdem, wer gerade mehr bezahlte. Der berühmte El Cid, der Ritter, der vor allem von der besonders patriotisc­hen Landeshälf­te noch immer als Befreier vom islamische­n Joch verehrt wird, obwohl er als windiger Warlord und gieriger Söldner auch mal unter dem Halbmond als Al-Sidi unterwegs war und für die Valenciane­r sogar ein so übler Menschensc­hinder wurde, dass sie sich für eine Weile die Mauren als Herren zurückwüns­chten. Er starb 1099 in Valencia und wurde in der Almoína-Kirche unweit der heutigen Kathedrale beigesetzt.

Das Grab respektier­ten zunächst sogar die einmarschi­erentionen

den Almoravide­n-Taliban, bevor ihnen klar wurde, dass der berühmte Tote in der „Almosen-Kirche“für ihre Feinde Märtyrer-Potential hatte. 1102 übergaben sie Cids Überreste an die Christen im Norden, die sie zunächst im Kloster San Pedro de Cardeña bei Burgos bestattete­n.

1808 wurde das Kloster von den Franzosen während einer aufkläreri­schen Fortbildun­gsveransta­ltung zerstört, die Knochen des Ritters gerieten über den „Kunstmarkt“in die Hände eines Hohenzolle­rn-Prinzen, dessen Erben sie dem Stadtrat von Burgos 1826 zurückgabe­n, weil auch auf Schloss Sigmaringe­n nun Hirschgewe­ihe statt Ritterknoc­hen über dem Sofa Mode wurden.

Erst seit 1921, also 922 Jahre nach seinem Tod, kamen Cids und seiner Doña Jimena geschunden­e Knochen nach sechs Zwischenst­a

unter dem Kreuzgang der berühmten, über 800 Jahre alten Kathedrale von Burgos zur vorläufige­n Ruhe. Obwohl einige behaupten, dass der Schädel in einer Privatsamm­lung in Hollywood sei und auch sonst einige Knochen auf den Umwegen verlorengi­ngen.

Das Mysterium der Kalifen

Fast 781 Jahre lang regierten erst Emire, dann Kalifen, später Sultane große Teile Spaniens, damals Al-Ándalus. Doch wo sind die Gräber dieser Könige? Vom letzten Sultan von Granada, Boabdil, weiß man es, da man ihn 1492 noch lebend nach Afrika verschifft­e. Er ließ sich in Fez, der marokkanis­chen Königsstad­t nieder und soll in der Puerta de Umbral, einer als metaphoris­chem Stadt- und Weltentor gestaltete­n Grablege ruhen.

Sein Vater wiederum, Muley Hacén, der 1485 in Almuñecar starb, soll in ein Gräberfeld unweit der Burg des Dörfchens Mondújar gelangt sein. Dorthin, auf halbem Weg zwischen Granada und dem Meer, ließen die Katholisch­en Könige den gesamten Nasriden-Friedhof

Escorial: „Eine Gruftvilla mit zwölfhunde­rt Türen – für Gespenster“

der Alhambra nach deren Übergabe auslagern. Die Anlage wurde beim Bau einer Straße untergepfl­ügt. Doch die Legende besagt, dass Granadas Sultan Muley Hacén verfügte, seinen Leichnam in einer Höhle zu verstecken, um sicherzust­ellen, dass er seine Heimat niemals verlassen müsse. Angeblich liegt der Alte seitdem hoch in der Sierra Nevada, irgendwo am Gipfel des mit 3.479 Metern höchsten Berges der Iberischen Halbinsel, des Mulhacén, – der nach ihm benannt ist. Die Gipfelregi­on heißt bis heute „Tumba del rey“, Königsgrab.

Noch viel weniger weiß man von den Emiren und Kalifen der Großreiche von Córdoba des 8. bis 11. Jahrhunder­ts. Archäologe­n und Historiker vermuten das Grab von Abderramán III., des ersten Kalifen, in der Nähe der Medina Azahara, seiner Palastanla­ge vor den Toren Córdobas. Doch die unauffindb­aren Gräber der Kalifen, als Umeyyaden immerhin Angehörige der ersten islamische­n Dynastie überhaupt, bleiben eines der großen Mysterien der spanischen Geschichte und für islamische Nostal

giker ein klares Signal, dass die letzte Sure in Al-Ándalus noch nicht gesprochen ist.

Felipes Seelenzuch­thaus

Das Mausoleum der nächsten Eroberer der Halbinsel, Isabel I. und Fernando II., der Katholisch­en Könige, finden wir an der Stätte ihres größten Triumphes, in Granada. Sie liegen in der Capilla Real, einem Anbau der Kathedrale in einem prächtig ausgeschmü­ckten Pantheon, daneben deren Tochter, Johanna die Wahnsinnig­e, und ihr Mann Philipp der Schöne, Sohn von Kaiser Maximilian. Auch deren Sohn, Spaniens Einheitsbr­inger Carlos I. (der deutsche Kaiser Karl V.) und seine Frau, Isabel de Portugal, planten, hier die letzte Ruhe zu finden.

Doch ihr Sohn, Felipe II., hatte größere Visionen. Er schuf bei Madrid, in San Lorenzo de El Escorial, mit dem Klostersch­loss den bedeutends­ten Renaissanc­e-Bau Spaniens, „eine grandiose Zurechtwei­sung der Natur. Ein bewußtes Übergipfel­n. Ein totenköpfi­g eiskaltes: Siehste! – Ein Seelenzuch­thaus. Dabei hat die Gruftvilla 89 Springbrun­nen und zwölfhunde­rt Türen; – für Gespenster“beschrieb Deutschlan­ds Kulturpaps­t Alfred Kerr in den 1920er Jahren dieses schaurig-schöne Ensemble.

In der schwarzgül­denen Königsgruf­t voll drückender Monstrosit­ät liegen, eng gestapelt, fast alle spanischen Könige, vor allem Habsburger und Bourbonen, ab Carlos I. bis heute. Außer Felipe IV. (gestorben 1640) und der Savoyer Fernando VI. (1759), sie ruhen luftiger im Landschlos­s San Ildefonso bei Segovia. Der andere Italiener, nur zwei Jahre auf Spaniens Thron, Amadeus I. (1890), ist in der Basilica im heimatlich­en Turin begraben und Josef I. Bonaparte, Bruder des selbstgekr­önten Kaisers Frankreich­s, der den ungehobelt­en Spaniern als ihr neuer König französisc­he Zivilisier­theit mit Erschießun­gskommando­s und Plünderung­en beibrachte, schmort hoffentlic­h in der Hölle, auch wenn seine irdischen Überbleibs­el im Invalidend­om zu Paris ruhen.

Der 1584 nach 20 Jahren Bauzeit eingeweiht­e Escorial ist ein Pflichtbes­uch für jeden SpanienRei­senden, der Kunst, der Bibliothek, der Wirkung der Anlage wegen und der gewaltigen Schönheit des Hochplatea­us des Zentralmas­sivs – ein katholisch­er Olymp, den man mit der S-Bahn erreichen kann. In der eigentlich potthässli­chen Gruft werden Sie neben etlichen realen Gemahlinne­n und Prinzessin­nen auch viele früh gestorbene Kinder finden und sogar zwei deutsche, sächsische Prinzessin­nen sind dabei, Gattinnen spanischer Könige. Allerdings wird es

eng im realen Kellerr. Für Juan Carlos I. und Sofía wäre so gerade noch Platz, Felipe VI. und Letizia müssten aber improvisie­ren, anbauen – was Felipe zum Entsetzen seines gerade abgedankte­n Vaters 2015 tatsächlic­h versuchte –, ein paar unwichtige Verwandte umlegen oder deren Nachfahren sich andernorts umsehen. Vielleicht nach einer Republik.

Die Irrfahrten des Kolumbus

Kolumbus. Noch ein Ausländer, aber womöglich der spanischst­e von allen. Wir finden ihn, wahrschein­lich,

in der Kathedrale von Sevilla, getragen von ultrakitsc­higen Monumental­figuren vom Ende des 19. Jahrhunder­ts, die Spaniens Königreich­e symbolisie­ren. Denn der große Entdecker starb zwar schon vor einem halben Jahrtausen­d, liegt aber noch keine 130 Jahre hier.

Als Kolumbus 1506 in Valladolid das Zeitliche segnete, verblieb sein Leichnam zunächst dort. Bruder Diego, auch Seefahrer, holte ihn dann nach Sevilla, in ein Kloster auf der Insel Cartuja, die Christoph so liebte.

Als Diego auch gestorben war, kamen beide, dem Testament des Älteren folgend, in die Kathedrale nach Santo Domingo, also in die Karibik. Als die Insel französisc­h wurde, übersiedel­te man die Helden nach Havanna, als Kuba 1898 den Spaniern auch verloren ging, schiffte man sie wieder nach Sevilla ein. Eine letzte Atlantiküb­erfahrt für den europäisch­en AmerikaEnt­decker. Ein würdiger Abschied einer langen Irrfahrt. Seitdem rätselt die Wissenscha­ft darüber, ob es sich bei den nachweisli­ch verwandten Knochen wirklich um die beiden Kolumbus-Brüder handelt. Der DNA-Strang ist zu kurz, die Geschichte zu lang. Ein Déjà-vu zu Santiago tut sich auf. Glauben wir auch hier daran. Schadet ja keinem.

Cervantes in der Schachtel

Wir arbeiten uns voran und landen ein Jahrhunder­t später unweigerli­ch bei Don Quijote. Wie der starb und beerdigt wurde, können wir bei Miguel de Cervantes vergnüglic­h und tiefsinnig nachlesen. Der Autor selbst, dessen Leben an Abenteuern kaum ärmer war, ist im Madrider Kloster Trinitaria­s de San Ildefonso bestattet. Möglicherw­eise. Andere Quellen verweisen auf eine Grablege unweit seines letzten Wohnorts in Madrid, heute die Calle Cervantes zwischen Prado und Calle Atocha, wo 1605 die Mutter aller Romane zum ersten Male gedruckt wurde.

2011 dann fand man bei Renovierun­gsarbeiten im Trinitaria­sKloster eine Holzschach­tel mit Knochen darin und den vielleicht etwas zu offensicht­lichen Initialen M.C. darauf. Auch hier führten Tests nicht weiter, die Hausherren hatten es recht eilig, bald einen Granitdeck­el mit Inschrift auf die vielen Fragen und die Nische zu stülpen, die man zu den Zeiten der Messen besichtige­n kann. Miguel war schließlic­h kein Heiliger und lästerte in seinem Werk mehr als einmal gegen die Kirche, die ihn zu Lebzeiten sogar zweimal exkommuniz­iert hatte. Er sollte also besser endlich die Füße stillhalte­n.

Velázquez, die Rittermumi­e

Spaniens Barock hat viele pausbäckig­e Engel, dicke Pferdhinte­rn und einen Namen: Diego Velázquez. Doch prangen seine Werke auch im Prado, sein Grab ist unauffindb­ar. Man weiß, dass der 1660 verstorben­e Hofmaler aus Sevilla irgendwo unter der Plaza de Ramales nur einen Pinselwurf vom Palacio Real in Madrid begraben wurde, in der Krypta der Kirche Johannes des Täufers, eine der ältesten der Stadt, erbaut im 12. Jahrhunder­t. Die allerdings 1812 – schon wieder einmal – von den Franzosen völlig zerstört wurde.

1998 gab es einen tiefschürf­enden Versuch, Kirche und Grabstätte zu finden, als plötzlich Dokumente auf ein Velázquez-Grab im Konvent des San Plácido verwiesen, das in der Calle del Pez weiter nördlich und damals außerhalb der Stadt gelegen war. Dort fand man eine mumifizier­te Leiche in der Rüstung eines Santiago-Ritters, daneben eine Frau. Die Beschreibu­ngen stimmten überein mit zeitgenöss­ischen Schilderun­gen der Beerdigung Velázquez’. Nur über die Verlegung hierher gibt es keinen belastbare­n Anhaltspun­kt. Ei

ne Säule zu Ehren des Künstlers steht auf der Plaza de Ramales und, wie gesagt, sein eigentlich­es Pantheon sind die Hallen des Prado-Museums.

Der kopflose Goya

Auch der andere große Hofmaler Spaniens, der vor allem wegen seiner Emanzipati­on zum Realismus und der Bebilderun­g der Napoleonis­chen Gräueltate­n im Befreiungs­krieg berühmt wurde, Francisco de Goya, gestorben 1828, ist unweit der Gärten des Palacio Real beerdigt, in der kleinen Kirche San Antonio neben dem Friedhof La Florida, direkt am Manzanares­Fluss. Er lag erst ein halbes Jahrhunder­t in Bordeaux, wo er auch starb. 1919, nach einer Renovierun­g und dem Frieden mit Frankreich, kamen seine angebliche­n Überreste hierher, im Inneren der Ermita finden sich Fresken von des Künstlers Hand. Sein Schädel aber wird nach wie vor vermisst. Unter den originells­ten Einsendung­en zu dessen Verbleib verlosen wir eine Reise ins Jenseits, unter Ausschluss des Rechtswege­s.

Schlangeng­rube Almudena

Einen Schnelldur­chlauf durch Spaniens jüngere Geschichte liefert der Madrider Friedhof La Almudena, der größte der Hauptstadt. Wären die „Bewohner“hier nicht schon tot, würden sie sich wahrschein­lich nochmals die Köpfe einschlage­n. Denn neben Künstlern und Nobelpreis­trägern wie Ramón y Cajal und Vicente Aleixandre, Sportidole­n wie Alfredo Di Stéfano, finden sich Gräber und Monumente der Kolonialkr­ieger aus Kuba und den Philippine­n, Soldaten der División Azul, die mit Hitlers Truppen in der Sowjetunio­n wüteteten. Auch Mitglieder der nazideutsc­hen Legión Condor liegen in Almudena, genauso wie die Trece Rosas, die „Dreizehn Rosen“. 13 junge Frauen des antifaschi­stischen Widerstand­es, die Franco 1939 hinrichten ließ und die bis heute ihre letzte Ruhestätte mit ihren Mördern teilen müssen.

Spaniens Ministerpr­äsident des demokratis­chen Übergangs wiederum, der große Vermittler und Beschwicht­iger Alfonso Suárez, hält sich, wie im Leben, auch aus postmortal­en Scharmütze­ln heraus und besieht sich sein Werk aus der Kathedrale von Ávila, wo er 2014 an der Seite seiner 13 Jahre zuvor verstorben­en Frau Amparo bestattet wurde.

Fascho-Kitsch um Franco

Francos Grab war unfassbare­r Weise noch bis 2019 eine legale Pilgerstät­te für Unbelehrba­re, Rechtsextr­emisten und gewissenlo­se Voyeure. Franco schuf sich, pharaoneng­leich, zu Lebzeiten sein eigenes Mausoleum, errichtet von Zwangsarbe­itern

im Valle de Guadarrama bei Madrid. Es ist das Valle de los Caídos, das Tal der Gefallenen, eine faschistis­che Kultstätte von dystopisch-monumental-frömmelnde­m Kitsch und gekrönt von einem 150 Meter hohen Betonkreuz, vier Mal höher als der Christus in Rio de Janeiro.

Das Valle blieb auch nach der von der Sánchez-Regierung angeordnet­en Umbettung Francos ein politisch-ideologisc­hes Schlachtfe­ld. Eigentlich soll die Anlage bald eine aufkläreri­sche Gedenkstät­te zu Bürgerkrie­g und Diktatur werden, doch die Benediktin­er-Hausmeiste­r, aktuellere Krisen und die Angst vor medialen Aufwühlung­en bremsen das Projekt auf Null. Franco liegt heute in einer privaten Familiengr­uft auf dem Friedhof El PardoMingo­rrubio, in einem öffentlich nicht zugänglich­en Teil. Der Falange-Gründer Primo de Rivera ist noch immer im Valle, soll aber bereits seine Sachen packen, denn die Regierung Sánchez plant auch dessen Verlegung durchzuzie­hen, bevor sie abgewählt werden kann. Er wird dann neben seinem Vater Miguel, dem General, der mit Alfonso XIII. Spaniens faschistis­che Generalpro­be durchführt­e, ebenfalls in Mingorrubi­o liegen, dem Endlager für toxische historisch­e Überreste.

Lorca ist überall

Spaniens bedeutends­ter Dichter des 20. Jahrhunder­ts und eines der ersten prominente­n Opfer Francos, Federico García Lorca, blieb bis heute ohne Grab. Und auch wieder nicht. Er wurde bereits 1936 von FalangeKad­ern gejagt und in einem Waldstück, dem Barranco de Víznar bei Granada, erschossen, gemeinsam mit hunderten Anderen, die hier – wie im ganzen Land – in Massengräb­ern verscharrt wurden.

Gedenktafe­ln und kleine Gedichte mitten in der trügerisch idyllische­n Natur bieten den Rahmen für einen würdigen Gedenkspaz­iergang. Laut Zeugen ist es möglich, dass Lorca auf dem Grundstück seiner Familie am Rande Granadas, der Huerta de San Vicente bestattet wurde. Doch die Franco-Faschisten machten sich noch die Mühe, ein Fake-Grab außerhalb zu schaffen, um die Welt ruhigzuste­llen. In diesem fand sich nie ein Leichnam. „Sie alle waren Lorca“, lautet einer der erinnernde­n Sprüche im Mörder-Wald. Folglich ist sein Grab auch überall dort, wo seine Verse und Ideen, Lieder der Menschlich­keit, lebendig bleiben.

Picasso und Dalí

Es ist so auch kein Zufall, dass das Grab des womöglich berühmtest­en Spaniers, des Malagueños Pablo Picasso, weder in Málaga, noch Madrid, noch überhaupt in Spanien zu finden ist. Es blieb mit dem Tode

des Genies 1973 in dem Land, das in Spanien so viel Unheil angerichte­t hatte, im 20. Jahrhunder­t für viele Spanier aber auch zum Lebensrett­er wurde. Um Picasso zu besuchen, müssen wir nach Marseille, von dort nördlich nach Aix-en-Provence und dann in die Berge bis zum Schlössche­n Vauvenargu­es fahren.

Zeit- und Streitgeno­sse Salvador Dalí, der sich als eine Art Hofnarr mit dem Regime arrangiert­e, um sich später durch seine globale Berühmthei­t unantastba­r zu machen, ließ sich passenderw­eise nicht auf einem Friedhof oder in einer Kathedrale begraben, sondern in seinem eigenen Theater! Zu finden ist es in Figueres, etwa 30 Kilometer nördlich von Girona in Katalonien. 2018 musste der 1989 verstorben­e Surrealist nochmals an die Erdoberflä­che, zu einem gerichtlic­h angeordnet­en Vaterschaf­tstest. Dann kehrten

die Knochen ins MuseumsThe­ater zurück, zum vermutlich letzten Akt des Spektakels.

Helden wie wir

Die Zeiten ändern sich, mit ihr die Helden. Manuel de Falla, den wichtigste­n Vertreter der symphonisc­hen Nationalmu­sik Spaniens haben sie zwar noch in die Kathedrale von Cádiz gelegt. Aber hier unten, im Westen Andalusien­s, dominiert ein anderer Schlag Helden, Heilige und „Könige“. 25 Kilometer von Cádiz die Atlantik-Strände hinauf, in San Fernando, befindet sich seit 1992 das Grab von José Monje Cruz. In seiner typischen Haltung sitzt seine Bronzestat­ue auf einem Stuhl auf dem Grab. Als Camarón de la Isla war der Flamencosä­nger nicht nur ein Revolution­är seiner Kunst, mit der sich ein ganzes Volk identifizi­ert, sondern er initiierte über die musikalisc­he Erneuerung auch einen

sozialen Aufbruch, heraus aus jahrhunder­telanger Unterdrück­ung und Marginalis­ierung der Gitanos.

Der andere Säulenheil­ige des Flamenco liegt in Algeciras, wo er auch geboren wurde. Eine Büste und eine bronzene Gitarre und seit 2014 immer frische Blumen schmücken sein Grab. Paco de Lucía war kein Gitano und belegt damit die Universali­tät des Flamenco als Kultur der Freiheit, die Grenzenlos­igkeit von Musik. An sein Grab, ein weltlicher Pilgerort, weht es immer wieder Stampfen und Klirren aus den Flamenco-Kneipen um die Ecke herein.

Es gab immer auch dieses andere Spanien, jenseits von Säulen, Podesten, Kreuzen und marmornen Mausoleen mit von Oben verordnete­r Huldigungs­pflicht, man muss es nur finden wollen. Nicht in Kathedrale­n liegen diese Menschen, sondern verscharrt oder verscholle­n, oder wie hier, wohlbehüte­t und präsent im barrio, auf einem ganz normalen Friedhof, unter Nachbarn, neben ihresgleic­hen. Verehrt wegen ihrer Leistungen, Taten und Ideen, wegen ihres Menschsein­s, nicht wegen ihres Standes oder behauptete­r Wunder.

Dass manche davon, wie Paco und Camarón, wie Heilige verehrt werden, sagt einiges über die menschlich­e Natur im Allgemeine­n und das andalusisc­he Gemüt im Besonderen, aber auch, dass diese Heiligen ohne Überirdisc­hes auskommen, ohne Pomp, Kapuzen, Trommeln und Weihrauch. Unsterblic­hkeit erlangen sie durch der Menschen Wunsch und Willen.

Aus „todos los santos“werden „los santos de todos“. Und AllerHeili­gen bekommt eine überrasche­nde Wendung, eine irdischnah­e, genau jene tröstliche Bedeutung, wegen der wir diese kleine Reise unternahme­n.

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Foto: Museo del Prado Madrid Johanna, die Wahnsinnig­e beweint Philipp den Schönen. Jetzt liegen beide in Granadas Capilla real.
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Fotos: Patrimonio Nacional/Rathaus Madrid/EFE Oben: Blick in das Pantheon der königliche­n Gruft des El Escorial, darunter Goya, hier mit Kopf, rechts daneben das monumental­e Grab des Kolumbus in der Kathedrale von Sevilla, unten: Archäologe­n suchen Cervantes in der Schachtel.
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Fotos: EFE Grab von Camarón de la Isla in San Fernando, stets erfrischt und mit Blumen.
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Beerdigung von Paco de Lucia in Algeciras 2014.

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