Von wegen „letzte Ruhe“
Geschichten aus der Gruft: Ein kleiner Allerheiligen-Reiseführer zu den Gräbern der berühmtesten Spanier
Friedhöfe sind nicht für Tote, sondern für die Lebenden gemacht. Zum Trost, wie Religionen. Scharnier zwischen Dies- und vermeintlichem Jenseits. Den Toten sind sie egal, Friedhöfe wie Religionen. Denn der Tod ist real, kalt und nach irdischen Maßstäben endgültig. Die Gräber spanischer Promis waren das keineswegs immer. Von wegen: Ruhe in Frieden. Schlendern wir über Spaniens heilige Felder, die campos santos, um halbwegs chronologisch Gräber von Berühmtheiten aufzuspüren, landen wir auffallend oft in Kathedralen.
Der Apostel im Wunderschiff
Die Mutter aller spanischen ist jene von Santiago de Compostela. Denn hier, an der galicischen Küste, von einem Lichtstrahl angekündigt, in einem sich wundersam in einen Sarkopharg verwandelnden Boot, landeten die Überreste des Apostels Santiago El Mayor, also Jakobus des Älteren, an. Irgendwann zwischen dem 4. und 9. Jahrhundert, da streiten Geister und Geistliche.
Santiago wurde zum Schutzpatron Spaniens. Er wollte den Hispaniern schon um das Jahr 40 unter großer Mühsal das Christentum (bei)bringen. Doch die huldigten bei ihren Fiestas unter römischer Regie lieber vielen Göttern, die mehr erlaubten als verboten. Es musste schon die Jungfrau erscheinen und einschreiten, damit sich Santiago nicht in den Ebro stürzt und sie bot ihm eine Säule (Virgen del Pilar) als Stütze. Santiago kehrte nach Jerusalem zurück und wurde von Herodes, König von Judäa von Roms Gnaden, ermordet.
Um Santiagos plötzlich silbernen Prunksarkopharg bauten sie ihm im 12. Jahrhundert eine neue Kathedrale, die alte hatten die Mauren niedergemacht. Sie ist heute Zieleinlauf des berühmten Pilgerwegs, der längst nicht nur Gläubige anzieht, eine überkonfessionelle Touristenattraktion wurde. Vor allem die deftigen Bohnensuppen und Blutwürste der Schenken am Jakobsweg seien empfohlen, die Muscheln in Galicien sind ohnehin die besten der Welt.
„Se le apareció la Virgen“, „ihm ist die Jungfrau erschienen“,
blieb eine der blumigen Redensarten der Spanier, wenn einer nicht mehr weiter kann oder weiß. Letztens hörte ich den Satz von einem aufgekratzten Fußballkommentator, der damit einen im Torlinienaus verendeten Konterversuch eines Stürmers illustrierte.
Ritter Cid im Schwabenland
Neben der Virgen erschien unserem nächsten Helden manchmal auch Mohammed. Je nachdem, wer gerade mehr bezahlte. Der berühmte El Cid, der Ritter, der vor allem von der besonders patriotischen Landeshälfte noch immer als Befreier vom islamischen Joch verehrt wird, obwohl er als windiger Warlord und gieriger Söldner auch mal unter dem Halbmond als Al-Sidi unterwegs war und für die Valencianer sogar ein so übler Menschenschinder wurde, dass sie sich für eine Weile die Mauren als Herren zurückwünschten. Er starb 1099 in Valencia und wurde in der Almoína-Kirche unweit der heutigen Kathedrale beigesetzt.
Das Grab respektierten zunächst sogar die einmarschierentionen
den Almoraviden-Taliban, bevor ihnen klar wurde, dass der berühmte Tote in der „Almosen-Kirche“für ihre Feinde Märtyrer-Potential hatte. 1102 übergaben sie Cids Überreste an die Christen im Norden, die sie zunächst im Kloster San Pedro de Cardeña bei Burgos bestatteten.
1808 wurde das Kloster von den Franzosen während einer aufklärerischen Fortbildungsveranstaltung zerstört, die Knochen des Ritters gerieten über den „Kunstmarkt“in die Hände eines Hohenzollern-Prinzen, dessen Erben sie dem Stadtrat von Burgos 1826 zurückgaben, weil auch auf Schloss Sigmaringen nun Hirschgeweihe statt Ritterknochen über dem Sofa Mode wurden.
Erst seit 1921, also 922 Jahre nach seinem Tod, kamen Cids und seiner Doña Jimena geschundene Knochen nach sechs Zwischensta
unter dem Kreuzgang der berühmten, über 800 Jahre alten Kathedrale von Burgos zur vorläufigen Ruhe. Obwohl einige behaupten, dass der Schädel in einer Privatsammlung in Hollywood sei und auch sonst einige Knochen auf den Umwegen verlorengingen.
Das Mysterium der Kalifen
Fast 781 Jahre lang regierten erst Emire, dann Kalifen, später Sultane große Teile Spaniens, damals Al-Ándalus. Doch wo sind die Gräber dieser Könige? Vom letzten Sultan von Granada, Boabdil, weiß man es, da man ihn 1492 noch lebend nach Afrika verschiffte. Er ließ sich in Fez, der marokkanischen Königsstadt nieder und soll in der Puerta de Umbral, einer als metaphorischem Stadt- und Weltentor gestalteten Grablege ruhen.
Sein Vater wiederum, Muley Hacén, der 1485 in Almuñecar starb, soll in ein Gräberfeld unweit der Burg des Dörfchens Mondújar gelangt sein. Dorthin, auf halbem Weg zwischen Granada und dem Meer, ließen die Katholischen Könige den gesamten Nasriden-Friedhof
Escorial: „Eine Gruftvilla mit zwölfhundert Türen – für Gespenster“
der Alhambra nach deren Übergabe auslagern. Die Anlage wurde beim Bau einer Straße untergepflügt. Doch die Legende besagt, dass Granadas Sultan Muley Hacén verfügte, seinen Leichnam in einer Höhle zu verstecken, um sicherzustellen, dass er seine Heimat niemals verlassen müsse. Angeblich liegt der Alte seitdem hoch in der Sierra Nevada, irgendwo am Gipfel des mit 3.479 Metern höchsten Berges der Iberischen Halbinsel, des Mulhacén, – der nach ihm benannt ist. Die Gipfelregion heißt bis heute „Tumba del rey“, Königsgrab.
Noch viel weniger weiß man von den Emiren und Kalifen der Großreiche von Córdoba des 8. bis 11. Jahrhunderts. Archäologen und Historiker vermuten das Grab von Abderramán III., des ersten Kalifen, in der Nähe der Medina Azahara, seiner Palastanlage vor den Toren Córdobas. Doch die unauffindbaren Gräber der Kalifen, als Umeyyaden immerhin Angehörige der ersten islamischen Dynastie überhaupt, bleiben eines der großen Mysterien der spanischen Geschichte und für islamische Nostal
giker ein klares Signal, dass die letzte Sure in Al-Ándalus noch nicht gesprochen ist.
Felipes Seelenzuchthaus
Das Mausoleum der nächsten Eroberer der Halbinsel, Isabel I. und Fernando II., der Katholischen Könige, finden wir an der Stätte ihres größten Triumphes, in Granada. Sie liegen in der Capilla Real, einem Anbau der Kathedrale in einem prächtig ausgeschmückten Pantheon, daneben deren Tochter, Johanna die Wahnsinnige, und ihr Mann Philipp der Schöne, Sohn von Kaiser Maximilian. Auch deren Sohn, Spaniens Einheitsbringer Carlos I. (der deutsche Kaiser Karl V.) und seine Frau, Isabel de Portugal, planten, hier die letzte Ruhe zu finden.
Doch ihr Sohn, Felipe II., hatte größere Visionen. Er schuf bei Madrid, in San Lorenzo de El Escorial, mit dem Klosterschloss den bedeutendsten Renaissance-Bau Spaniens, „eine grandiose Zurechtweisung der Natur. Ein bewußtes Übergipfeln. Ein totenköpfig eiskaltes: Siehste! – Ein Seelenzuchthaus. Dabei hat die Gruftvilla 89 Springbrunnen und zwölfhundert Türen; – für Gespenster“beschrieb Deutschlands Kulturpapst Alfred Kerr in den 1920er Jahren dieses schaurig-schöne Ensemble.
In der schwarzgüldenen Königsgruft voll drückender Monstrosität liegen, eng gestapelt, fast alle spanischen Könige, vor allem Habsburger und Bourbonen, ab Carlos I. bis heute. Außer Felipe IV. (gestorben 1640) und der Savoyer Fernando VI. (1759), sie ruhen luftiger im Landschloss San Ildefonso bei Segovia. Der andere Italiener, nur zwei Jahre auf Spaniens Thron, Amadeus I. (1890), ist in der Basilica im heimatlichen Turin begraben und Josef I. Bonaparte, Bruder des selbstgekrönten Kaisers Frankreichs, der den ungehobelten Spaniern als ihr neuer König französische Zivilisiertheit mit Erschießungskommandos und Plünderungen beibrachte, schmort hoffentlich in der Hölle, auch wenn seine irdischen Überbleibsel im Invalidendom zu Paris ruhen.
Der 1584 nach 20 Jahren Bauzeit eingeweihte Escorial ist ein Pflichtbesuch für jeden SpanienReisenden, der Kunst, der Bibliothek, der Wirkung der Anlage wegen und der gewaltigen Schönheit des Hochplateaus des Zentralmassivs – ein katholischer Olymp, den man mit der S-Bahn erreichen kann. In der eigentlich potthässlichen Gruft werden Sie neben etlichen realen Gemahlinnen und Prinzessinnen auch viele früh gestorbene Kinder finden und sogar zwei deutsche, sächsische Prinzessinnen sind dabei, Gattinnen spanischer Könige. Allerdings wird es
eng im realen Kellerr. Für Juan Carlos I. und Sofía wäre so gerade noch Platz, Felipe VI. und Letizia müssten aber improvisieren, anbauen – was Felipe zum Entsetzen seines gerade abgedankten Vaters 2015 tatsächlich versuchte –, ein paar unwichtige Verwandte umlegen oder deren Nachfahren sich andernorts umsehen. Vielleicht nach einer Republik.
Die Irrfahrten des Kolumbus
Kolumbus. Noch ein Ausländer, aber womöglich der spanischste von allen. Wir finden ihn, wahrscheinlich,
in der Kathedrale von Sevilla, getragen von ultrakitschigen Monumentalfiguren vom Ende des 19. Jahrhunderts, die Spaniens Königreiche symbolisieren. Denn der große Entdecker starb zwar schon vor einem halben Jahrtausend, liegt aber noch keine 130 Jahre hier.
Als Kolumbus 1506 in Valladolid das Zeitliche segnete, verblieb sein Leichnam zunächst dort. Bruder Diego, auch Seefahrer, holte ihn dann nach Sevilla, in ein Kloster auf der Insel Cartuja, die Christoph so liebte.
Als Diego auch gestorben war, kamen beide, dem Testament des Älteren folgend, in die Kathedrale nach Santo Domingo, also in die Karibik. Als die Insel französisch wurde, übersiedelte man die Helden nach Havanna, als Kuba 1898 den Spaniern auch verloren ging, schiffte man sie wieder nach Sevilla ein. Eine letzte Atlantiküberfahrt für den europäischen AmerikaEntdecker. Ein würdiger Abschied einer langen Irrfahrt. Seitdem rätselt die Wissenschaft darüber, ob es sich bei den nachweislich verwandten Knochen wirklich um die beiden Kolumbus-Brüder handelt. Der DNA-Strang ist zu kurz, die Geschichte zu lang. Ein Déjà-vu zu Santiago tut sich auf. Glauben wir auch hier daran. Schadet ja keinem.
Cervantes in der Schachtel
Wir arbeiten uns voran und landen ein Jahrhundert später unweigerlich bei Don Quijote. Wie der starb und beerdigt wurde, können wir bei Miguel de Cervantes vergnüglich und tiefsinnig nachlesen. Der Autor selbst, dessen Leben an Abenteuern kaum ärmer war, ist im Madrider Kloster Trinitarias de San Ildefonso bestattet. Möglicherweise. Andere Quellen verweisen auf eine Grablege unweit seines letzten Wohnorts in Madrid, heute die Calle Cervantes zwischen Prado und Calle Atocha, wo 1605 die Mutter aller Romane zum ersten Male gedruckt wurde.
2011 dann fand man bei Renovierungsarbeiten im TrinitariasKloster eine Holzschachtel mit Knochen darin und den vielleicht etwas zu offensichtlichen Initialen M.C. darauf. Auch hier führten Tests nicht weiter, die Hausherren hatten es recht eilig, bald einen Granitdeckel mit Inschrift auf die vielen Fragen und die Nische zu stülpen, die man zu den Zeiten der Messen besichtigen kann. Miguel war schließlich kein Heiliger und lästerte in seinem Werk mehr als einmal gegen die Kirche, die ihn zu Lebzeiten sogar zweimal exkommuniziert hatte. Er sollte also besser endlich die Füße stillhalten.
Velázquez, die Rittermumie
Spaniens Barock hat viele pausbäckige Engel, dicke Pferdhintern und einen Namen: Diego Velázquez. Doch prangen seine Werke auch im Prado, sein Grab ist unauffindbar. Man weiß, dass der 1660 verstorbene Hofmaler aus Sevilla irgendwo unter der Plaza de Ramales nur einen Pinselwurf vom Palacio Real in Madrid begraben wurde, in der Krypta der Kirche Johannes des Täufers, eine der ältesten der Stadt, erbaut im 12. Jahrhundert. Die allerdings 1812 – schon wieder einmal – von den Franzosen völlig zerstört wurde.
1998 gab es einen tiefschürfenden Versuch, Kirche und Grabstätte zu finden, als plötzlich Dokumente auf ein Velázquez-Grab im Konvent des San Plácido verwiesen, das in der Calle del Pez weiter nördlich und damals außerhalb der Stadt gelegen war. Dort fand man eine mumifizierte Leiche in der Rüstung eines Santiago-Ritters, daneben eine Frau. Die Beschreibungen stimmten überein mit zeitgenössischen Schilderungen der Beerdigung Velázquez’. Nur über die Verlegung hierher gibt es keinen belastbaren Anhaltspunkt. Ei
ne Säule zu Ehren des Künstlers steht auf der Plaza de Ramales und, wie gesagt, sein eigentliches Pantheon sind die Hallen des Prado-Museums.
Der kopflose Goya
Auch der andere große Hofmaler Spaniens, der vor allem wegen seiner Emanzipation zum Realismus und der Bebilderung der Napoleonischen Gräueltaten im Befreiungskrieg berühmt wurde, Francisco de Goya, gestorben 1828, ist unweit der Gärten des Palacio Real beerdigt, in der kleinen Kirche San Antonio neben dem Friedhof La Florida, direkt am ManzanaresFluss. Er lag erst ein halbes Jahrhundert in Bordeaux, wo er auch starb. 1919, nach einer Renovierung und dem Frieden mit Frankreich, kamen seine angeblichen Überreste hierher, im Inneren der Ermita finden sich Fresken von des Künstlers Hand. Sein Schädel aber wird nach wie vor vermisst. Unter den originellsten Einsendungen zu dessen Verbleib verlosen wir eine Reise ins Jenseits, unter Ausschluss des Rechtsweges.
Schlangengrube Almudena
Einen Schnelldurchlauf durch Spaniens jüngere Geschichte liefert der Madrider Friedhof La Almudena, der größte der Hauptstadt. Wären die „Bewohner“hier nicht schon tot, würden sie sich wahrscheinlich nochmals die Köpfe einschlagen. Denn neben Künstlern und Nobelpreisträgern wie Ramón y Cajal und Vicente Aleixandre, Sportidolen wie Alfredo Di Stéfano, finden sich Gräber und Monumente der Kolonialkrieger aus Kuba und den Philippinen, Soldaten der División Azul, die mit Hitlers Truppen in der Sowjetunion wüteteten. Auch Mitglieder der nazideutschen Legión Condor liegen in Almudena, genauso wie die Trece Rosas, die „Dreizehn Rosen“. 13 junge Frauen des antifaschistischen Widerstandes, die Franco 1939 hinrichten ließ und die bis heute ihre letzte Ruhestätte mit ihren Mördern teilen müssen.
Spaniens Ministerpräsident des demokratischen Übergangs wiederum, der große Vermittler und Beschwichtiger Alfonso Suárez, hält sich, wie im Leben, auch aus postmortalen Scharmützeln heraus und besieht sich sein Werk aus der Kathedrale von Ávila, wo er 2014 an der Seite seiner 13 Jahre zuvor verstorbenen Frau Amparo bestattet wurde.
Fascho-Kitsch um Franco
Francos Grab war unfassbarer Weise noch bis 2019 eine legale Pilgerstätte für Unbelehrbare, Rechtsextremisten und gewissenlose Voyeure. Franco schuf sich, pharaonengleich, zu Lebzeiten sein eigenes Mausoleum, errichtet von Zwangsarbeitern
im Valle de Guadarrama bei Madrid. Es ist das Valle de los Caídos, das Tal der Gefallenen, eine faschistische Kultstätte von dystopisch-monumental-frömmelndem Kitsch und gekrönt von einem 150 Meter hohen Betonkreuz, vier Mal höher als der Christus in Rio de Janeiro.
Das Valle blieb auch nach der von der Sánchez-Regierung angeordneten Umbettung Francos ein politisch-ideologisches Schlachtfeld. Eigentlich soll die Anlage bald eine aufklärerische Gedenkstätte zu Bürgerkrieg und Diktatur werden, doch die Benediktiner-Hausmeister, aktuellere Krisen und die Angst vor medialen Aufwühlungen bremsen das Projekt auf Null. Franco liegt heute in einer privaten Familiengruft auf dem Friedhof El PardoMingorrubio, in einem öffentlich nicht zugänglichen Teil. Der Falange-Gründer Primo de Rivera ist noch immer im Valle, soll aber bereits seine Sachen packen, denn die Regierung Sánchez plant auch dessen Verlegung durchzuziehen, bevor sie abgewählt werden kann. Er wird dann neben seinem Vater Miguel, dem General, der mit Alfonso XIII. Spaniens faschistische Generalprobe durchführte, ebenfalls in Mingorrubio liegen, dem Endlager für toxische historische Überreste.
Lorca ist überall
Spaniens bedeutendster Dichter des 20. Jahrhunderts und eines der ersten prominenten Opfer Francos, Federico García Lorca, blieb bis heute ohne Grab. Und auch wieder nicht. Er wurde bereits 1936 von FalangeKadern gejagt und in einem Waldstück, dem Barranco de Víznar bei Granada, erschossen, gemeinsam mit hunderten Anderen, die hier – wie im ganzen Land – in Massengräbern verscharrt wurden.
Gedenktafeln und kleine Gedichte mitten in der trügerisch idyllischen Natur bieten den Rahmen für einen würdigen Gedenkspaziergang. Laut Zeugen ist es möglich, dass Lorca auf dem Grundstück seiner Familie am Rande Granadas, der Huerta de San Vicente bestattet wurde. Doch die Franco-Faschisten machten sich noch die Mühe, ein Fake-Grab außerhalb zu schaffen, um die Welt ruhigzustellen. In diesem fand sich nie ein Leichnam. „Sie alle waren Lorca“, lautet einer der erinnernden Sprüche im Mörder-Wald. Folglich ist sein Grab auch überall dort, wo seine Verse und Ideen, Lieder der Menschlichkeit, lebendig bleiben.
Picasso und Dalí
Es ist so auch kein Zufall, dass das Grab des womöglich berühmtesten Spaniers, des Malagueños Pablo Picasso, weder in Málaga, noch Madrid, noch überhaupt in Spanien zu finden ist. Es blieb mit dem Tode
des Genies 1973 in dem Land, das in Spanien so viel Unheil angerichtet hatte, im 20. Jahrhundert für viele Spanier aber auch zum Lebensretter wurde. Um Picasso zu besuchen, müssen wir nach Marseille, von dort nördlich nach Aix-en-Provence und dann in die Berge bis zum Schlösschen Vauvenargues fahren.
Zeit- und Streitgenosse Salvador Dalí, der sich als eine Art Hofnarr mit dem Regime arrangierte, um sich später durch seine globale Berühmtheit unantastbar zu machen, ließ sich passenderweise nicht auf einem Friedhof oder in einer Kathedrale begraben, sondern in seinem eigenen Theater! Zu finden ist es in Figueres, etwa 30 Kilometer nördlich von Girona in Katalonien. 2018 musste der 1989 verstorbene Surrealist nochmals an die Erdoberfläche, zu einem gerichtlich angeordneten Vaterschaftstest. Dann kehrten
die Knochen ins MuseumsTheater zurück, zum vermutlich letzten Akt des Spektakels.
Helden wie wir
Die Zeiten ändern sich, mit ihr die Helden. Manuel de Falla, den wichtigsten Vertreter der symphonischen Nationalmusik Spaniens haben sie zwar noch in die Kathedrale von Cádiz gelegt. Aber hier unten, im Westen Andalusiens, dominiert ein anderer Schlag Helden, Heilige und „Könige“. 25 Kilometer von Cádiz die Atlantik-Strände hinauf, in San Fernando, befindet sich seit 1992 das Grab von José Monje Cruz. In seiner typischen Haltung sitzt seine Bronzestatue auf einem Stuhl auf dem Grab. Als Camarón de la Isla war der Flamencosänger nicht nur ein Revolutionär seiner Kunst, mit der sich ein ganzes Volk identifiziert, sondern er initiierte über die musikalische Erneuerung auch einen
sozialen Aufbruch, heraus aus jahrhundertelanger Unterdrückung und Marginalisierung der Gitanos.
Der andere Säulenheilige des Flamenco liegt in Algeciras, wo er auch geboren wurde. Eine Büste und eine bronzene Gitarre und seit 2014 immer frische Blumen schmücken sein Grab. Paco de Lucía war kein Gitano und belegt damit die Universalität des Flamenco als Kultur der Freiheit, die Grenzenlosigkeit von Musik. An sein Grab, ein weltlicher Pilgerort, weht es immer wieder Stampfen und Klirren aus den Flamenco-Kneipen um die Ecke herein.
Es gab immer auch dieses andere Spanien, jenseits von Säulen, Podesten, Kreuzen und marmornen Mausoleen mit von Oben verordneter Huldigungspflicht, man muss es nur finden wollen. Nicht in Kathedralen liegen diese Menschen, sondern verscharrt oder verschollen, oder wie hier, wohlbehütet und präsent im barrio, auf einem ganz normalen Friedhof, unter Nachbarn, neben ihresgleichen. Verehrt wegen ihrer Leistungen, Taten und Ideen, wegen ihres Menschseins, nicht wegen ihres Standes oder behaupteter Wunder.
Dass manche davon, wie Paco und Camarón, wie Heilige verehrt werden, sagt einiges über die menschliche Natur im Allgemeinen und das andalusische Gemüt im Besonderen, aber auch, dass diese Heiligen ohne Überirdisches auskommen, ohne Pomp, Kapuzen, Trommeln und Weihrauch. Unsterblichkeit erlangen sie durch der Menschen Wunsch und Willen.
Aus „todos los santos“werden „los santos de todos“. Und AllerHeiligen bekommt eine überraschende Wendung, eine irdischnahe, genau jene tröstliche Bedeutung, wegen der wir diese kleine Reise unternahmen.