Kein Schutzschild für Frauen
„Nur Ja heißt Ja“bringt Regierung in Bedrängnis – Sexuelle Straftäter hoffen auf geringere Strafen
Madrid – sk. Bei einem „lío“verliert man sich in Spanien in einem verworrenen Durcheinander und in so etwas hat sich die Ministerin für Gleichberechtigung, Irene Montero, verfangen. Mit dem Gesetz „Nur ein Ja ist ein Ja“erreicht sie bisweilen sogar das Gegenteil von dem, was sie mit dem Ley de la Garantía Integral de la Libertad Sexual – wie es richtig heißt – beabsichtigte: Den Schutz der Frauen vor sexuellen Übergriffen.
Denn in einigen Fällen sind bereits gesprochene Urteile von sexuellen Übergriffen auf Grundlage dieses neuen Gesetzes revidiert und die Haftstrafen mitunter stark gesenkt worden. Unter den Opfern herrscht Fassungslosigkeit: „Das ist wie eine eiskalte Dusche. Der ganze Kampf war für nichts“, sagte eine Frau, deren Peiniger vorzeitig aus der Haft entlassen werden soll, gegenüber dem Fernsehen.
Strafen können in Spanien rückwirkend geändert werden, wenn eine Rechtsreform dem Verurteilten zugute kommt. Dies ist der Fall beim „Nur Ja heißt Ja“Gesetz, das am 7. Oktober in Kraft trat. Mehrere hundert Verurteilte stellten einen Antrag auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens, und die Gerichte gaben bereits über einem Dutzend von ihnen Recht.
Die 34-jährige Ministerin der Linkspartei Podemos unterstellte den Richtern Machismus und forderte eine „sensiblere“Justiz in Geschlechterfragen. Da blies der frische Wind wohl etwas zu forsch durch die Roben der Richter, die auf die Gewaltenteilung gar nicht erst hinweisen mussten. Es hagelte Rücktrittsforderungen und selbst linke Parteien verwiesen darauf, dass das Problem möglicherweise im Gesetzestext und nicht in seiner Anwendung zu suchen sei.
Warnschüsse gab es schon bei der Ausarbeitung des Textes, sogar vom Koalitionspartner. Die damalige Vizeministerpräsidentin Carmen Calvo (PSOE) hielt das ganze
Vorhaben für so etwas wie eine juristische Ejaculatio praecox. Jetzt fordert sie eine sofortige Überarbeitung des Gesetzes. Und auch die Volkspartei untermauert ihre Rücktrittsforderung mit der Erinnerung an die über 100 Änderungsanträge zu dem Gesetzesentwurf, von denen nicht einer berücksichtigt wurde.
Die Fälle bringen jetzt die ganze Regierung in einen „lío“, die sich nicht nachsagen lassen will, dass sie Frauen bis zu einer hypothetischen Reform in der Schutzlosigkeit zurücklassen will. Deswegen muss sich der Oberste Gerichtshof, das Tribunal Supremo, in einem Eilverfahren zu dem „solo sí es sí“-Gesetz äußern und zumindest eine einheitliche Anwendung des Gesetzes in spanischen Gerichten gewährleisten.
Derweil prüft die Staatsanwaltschaft alle Fälle von sexueller Gewalt , bei denen es seit Inkraftreten des neuen Gesetzes am 7. Oktober zu einer signifikanten Milderung des Strafmaßes gekommen ist. Bis das geschehen ist, will die Regierung auch das Gesetz nicht anfassen. „Jeder andere Schritt würde mir übereilt erscheinen“, so Vizeministerpräsidentin Teresa Ribera.
Zuerst muss der Oberste Gerichtshof sich bis 29. November den Fall eines damals 15-jährigen Mädchens vornehmen, an dem sich Kicker des Arandina Club de Fútbol vergingen. Erst verurteilte das Landgericht von Burgos drei Angeklagte zu 38 Jahren Gefängnis wegen Vergewaltigung, dann sprach das Oberlandesgericht von Kastilien León einen Verurteilten frei und senkte die Haftstrafen der anderen beiden Verurteilten auf vier und drei Jahre.
Ministerin unterstellt Richtern Machismus, gesteht aber keine Fehler im Gesetz ein
Nur Einverständnis zählt
Das Gesetz zur sexuellen Freiheit unterscheidet nicht zwischen Vergewaltigung und Missbrauch, es bleibt nur die sexuelle Aggression. Dabei ist das Grundprinzip eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Sexuelle Beziehungen haben auf gegenseitigem Einverständnis zu beruhen. Weder Schweigen noch Zweifel gelten als Einverständnis, sondern nur das ausdrückliche „Ja“.