Kein Land für Mieter
Mieten entwickeln sich zur Blase – Preisexplosion in allen größeren Städten – Keine Entspannung in Sicht
Madrid – tl. Während noch immer eifrig am neuen Wohnungsgesetz gefeilt wird, ist der Mietmarkt in Spanien längst aus dem Ruder gelaufen. Dass die Mieten im Land noch nie so teuer waren, ist nicht mehr nur ein Gefühl, sondern traurige Realität. Daten der Beratungsgesellschaft urbaData Analytics (uDA) zeigen deutlich, dass in allen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern die Mietpreise auf Höchststand angekommen sind oder sich auf bestem Weg dorthin befinden.
An der Entwicklung ändert auch die Mietpreisbremse von zwei Prozent nichts, die von der Regierung angesichts von Inflation und Energiekrise eingeführt wurde und vorerst bis Ende des Jahres, wahrscheinlich aber auch noch das ganze Jahr 2023 gilt. Die Deckelung der Mieterhöhungen betrifft nur die Verlängerung von Mietverträgen, nicht aber Neuverträge.
Um die Zwei-Prozent-Regelung auszugleichen, gehen viele Vermieter dazu über, gerade bei Neuverträgen kräftig zuzulangen, wie die Mietagentur ANA feststellt. Auch würden Vermieter ihre Mietwohnungen wegen der Deckelung vom Markt nehmen. Was das ohnehin schon knappe Angebot weiter reduziert und die Mietpreise erst recht in die Höhe treibt
In Städten wie Madrid, Bilbao oder Sevilla sind die Mieten längst wieder auf dem Stand von 2019. In den meisten Städten wurden sogar neue Spitzenwerte registriert. Darunter in Barcelona, Málaga und Valencia. Experten wie Jordi Bosch vom städtischen Wohnungsobservatorium in Barcelona meinen, dass „Spanien unter einer Wohnnotlage leidet, die chronisch zu werden scheint“.
Im Schnitt wird in Spanien eine Miete von elf Euro pro Quadratmeter verlangt. Das heißt: 880 Euro für eine 80-Quadratmeter-Wohnung. Zum Vergleich Deutschland: im Schnitt 7,11 Euro pro Quadratmeter. Es sind gar nicht einmal die großen Städte, die einen angespannten Mietmarkt haben. Darunter sind auch Provinzhauptstädte zu finden, aber auch mittlere und kleinere Mittelpunktzentren in zwölf autonomen Regionen. Die Indikatoren aus der Immobilienanalyse-Software Pulse, die uDA mit Daten aus verschiedenen öffentlichen
und privaten Quellen gefüttert hat, ergeben, dass in 72 Städten die Mieten im zurückliegenden Jahr im Schnitt um mehr als zehn Prozent gestiegen sind.
Auf Ibiza, dem teuersten Pflaster, um zur Miete zu wohnen, liegt der Quadratmeter inzwischen bei 22 Euro pro Quadratmeter. Eine 80-Quadratmeter-Wohnung käme demnach im Schnitt auf 1.760 Euro im Monat, – etwa 30 Prozent teurer als im dritten Quartal 2021. Generell am stärksten gestiegen sind die Mieten entlang der Mittelmeerküste
und in den Orten mit hoher touristischer Frequenz. Aber auch im Inland sind Städte zu finden mit stark gestiegenen Mieten. Cuenca, Cáceres oder Ciudad Real – alle drei keine Magnetstädte.
Andere Statistiken kommen zu ähnlichen Ergebnissen. „Der Mietpreis erreicht sein historisches Höchstniveau – mit dem Trend weiter nach oben“, sagt María Matos, Studiendirektorin des Immobilienportals Fotocasa. Nach eigenen Daten, so Matos, „macht der Mietmarkt seit neun Monaten in Folge Boden gut und erlebt die stärksten Preissteigerungen, seit es darüber Aufzeichnungen gibt“.
Die sozialen Folgen treten bereits zu Tage. Immer mehr Mieter
haben Schwierigkeiten, mit dem Einkommen über den Monat zu kommen. 15,7 Prozent der Spanier wohnen zur Miete. Das sind 7,4 Millionen Personen. Laut EU-Statistikbehörde Eurostat sind 40 Prozent der Mieter in Finanznöten. Davon spricht man, wenn mehr als 40 Prozent des Monatseinkommens für die Wohnung aufgebraucht wird. Spanien ist innerhalb der EU das Land mit den viertmeisten Mietern in Nöten.
Unter den Wohnungseigentümern, die eine Hypothek abzuzahlen haben, sind laut Eurostat nur 3,7 Prozent in Geldschwierigkeiten. Das Ungleichgewicht ist deutlich. Für Héctor Simón, Direktor des Unesco-Lehrstuhls für Wohnungswesen an der Universität Rivera i Virgili in Tarragona, sieht darin eine große Gefahr: „Es besteht das Risiko, dass schrittweise eine Gesellschaft entsteht, die aus reichen Eigentümern und armen Mietern besteht.“
Der 28-jährige Javier Pereda macht das Problem gegenüber der Zeitung „El País“stellvertretend für viele deutlich: Pareda hat eine Festanstellung bei der Steuerbehörde Agencia Tributaria mit Arbeitsplatz in Getafe (Madrid). Monatseinkommen (netto): 2.200 Euro. Mit diesem Gehalt bleibt er in der Gruppe von Mietern, die übermäßig hohe Kosten für die Wohnung haben. Es wohnt alleine in einer Etagenwohnung, für die er 800 Euro im Monat Miete zahlt. Mit
den Ausgaben für Wasser, Strom, Gas und Internet erreicht er schnell die 40 Prozent des Monatseinkommens für die Wohnung.
Hinzu kommt die hohe Inflation. „Früher habe ich 180 Euro für Einkäufe im Monat gebraucht, jetzt sind es locker 250“, sagt Pareda. „Auf der Arbeit erzählen wir uns: Obwohl wir einen festen Job haben, können wir, wenn wir eine Wohnung kaufen wollen, noch nicht einmal für die Anzahlung sparen.“Und er ergänzt: „Ich könnte mein Leben lang zwar Miete für eine Wohnung zahlen, aber niemals eine besitzen.“
Was hat dazu geführt, dass der Mietmarkt so aus den Fugen geraten ist? Für Jordi Bosch vom städtischen Wohnungsobservatorium in Barcelona ist gleich ein ganzer Cocktail aus Gründen für die Entwicklung verantwortlich. Zum einen das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Ferner die demographische Entwicklung, die verschärften Bedingungen für Hypotheken-Darlehen, der Eintritt von Investmentfonds in bestimmte Wohnungssegmente, der Städtetourismus und zuletzt die inflationistischen Tendenzen. Verschärfend wirkt sich eine länderspezifische Eigenheit aus, wie Bosch meint: „Ein charakteristisches Element ist die Schwäche unserer Wohnungsbaupolitik. Sie hat sich auf das Immobilieneigentum konzentriert. Der soziale Mietwohnungsbau ist nie eine Säule dieser
Politik gewesen.“Nur 2,5 Prozent aller Mietwohnungen in Spanien stünden vulnerablen Haushalten zur Verfügung. Im europäischen Schnitt seien es acht Prozent.
Am schlimmste dran sind junge Leute: „Zwischen 2011 und 2020 ist der Prozentsatz an Immobilieneigentümer von unter 35-Jährigen von 69 auf 36 Prozent zurückgegangen“, sagt der Professor Héctor Simón vom Unesco-Wohnungsbaulehrstuhl in Tarragona und spricht angesichts der Entwicklung offen von „einer Mietblase“.
Von dem neuen Wohnungsgesetz, das sich in der parlamentarischen Beratung befindet, erwarten weder Mieter noch Vermieter eine Entspannung. Für die Mietervereinigungen ist die propagierte Kontrolle der Mietpreise (mit Begrenzungen für Groß-Vermieter und in Gegenden mit angespannten Mietmarkt) zu wenig. Für die Vermieter geht die geplante Kontrolle dagegen zu weit. María Andreu, Generaldirektorin der Vereinigung der Mietwohnungseigentümer (Asval) meint, die Ursache für die Mietpreiserhöhungen liege allein darin, dass es zu wenige Mietwohnungen gebe.
Es gibt zu wenig Mietwohnungen
Für Carme Arcazo vom Mieterverein Sindicat de Llogateres in Barcelona bedeutet das Jahr 2022 auf dem Mietwohnungsmarkt „die ‚Rückkehr zur Normalität“bei den Preisen nach der Corona- Pandemie. Was wiederum die strukturellen Probleme auf dem spanischen Immobilienmarkt sichtbar mache. Eines der wichtigsten dieser Probleme ist für Arcazo „das Ungleichgewicht zwischen denen, die eine Wohnung suchen, und denen, die eine Wohnung zu vermieten haben“. Und im Moment säßen deshalb die Vermieter am Drücker.
Die nahe Zukunft sieht denn auch für Mieter wenig vielversprechend aus. So hält Manuel Cacho, einer der Direktoren von uDA, die jüngsten Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht nur für Hypothekennehmer eine schlechte Nachricht. „Die höheren Zinsen und die Inflation verringern die Finanzkraft der Familien, sich eine Wohnung zu kaufen. Das wiederum erhöht den Druck auf den Mietwohnungsmarkt.“Kurzfristig sei für Mieter keine Wende zum Besseren in Sicht.
Inflation verringert die Finanzkraft, und erhöht den Druck auf Mietmarkt