Costa Cálida Nachrichten

Ordnung ins Kauderwels­ch

Antonio de Nebrija: Der Mann, der den Spaniern Spanisch beibrachte – Zum 500. Todestag

- Marco Schicker Lebrija/Sevilla

Anfang Oktober nahm Spaniens König Felipe VI. ein Bad in der Menge in der Kleinstadt Lebrija, gelegen am Guadalquiv­ir, auf halbem Wege zwischen Sevilla und Cádiz. Die Leute der 27.000-Einwohner-Stadt waren ganz aus dem Häuschen, einen König sahen sie hier lange nicht, nur Zuckerrohr, Baumwolle, Wein für die SherryProd­uktion. Dabei ist Lebrija sozusagen in aller Munde, aller Spanier und aller Menschen, die Spanisch sprechen, jeden Tag. Ihr größter Sohn, Antonio de Nebrija, eigentlich Antonio Martínez de Cala y Xarana, wurde 1444 hier geboren. Er starb im Jahre 1522, also vor 500 Jahren. Dieses Jubiläum war auch der Grund für Felipes Aufwartung.

Denn Antonio de Nebrija, ausgestatt­et mit überragend­er Intelligen­z und unendliche­r stoischer Ruhe, ein wahrer Renaissanc­e-Gelehrter, schenkte den Spaniern ihre erste Sprachlehr­e, die „Gramática castellana“mit dem Untertitel „Die Kunst der kastilisch­en Sprache“; und im selben Jahr, 1492, auch das erste Wörterbuch Latein-Kastilisch. Beides wurde ein wichtiger Beitrag zum „nation building“, verbindlic­hes Fundament einer gemeinsame­n Sprache aller Völker und Regionen der sich gerade vereinigen­den Königreich­e. Nebrijas Grammatik war auch die erste einer romanische­n Sprache überhaupt. Dass Spaniens erster Sprachlehr­er Andalusier und wohl jüdischer Abstammung war, macht seine Geschichte so unwahrsche­inlich wie reizvoll-ironisch.

1492: Das Buch zum Film

Nebrija definierte die sogenannte Vulgär- zur Kultur- und Weltsprach­e, zum Standard für ein von regionalen Kulturen und vielen lokalen wie historisch­en Sprachen und Dialekten durchtränk­tes Multikulti. Mit dem Export nach Übersee wurde Spanisch auch Verkehrssp­rache im kommenden Weltreich. Diese Konvertier­ung trug er schon im Namen, denn als Nebrija, dem römisch-lateinisch­en Namen seiner Geburtssta­dt folgend, wuchs er auf, als Lebrija, die nun kastiliani­sierte Version, kannte man ihn später.

Den Erscheinun­gstermin seiner Hauptwerke hätte Nebrija gar nicht besser wählen können. 1492 war die „Reconquist­a“mit der Übergabe Granadas gerade erfolgreic­h beendet, die Iberische Halbinsel nun gänzlich christlich beherrscht. Im selben Jahr, drei Monate nach dem Erscheinen der „Gramática castellana“, landete Kolumbus unter „spanischer“Flagge in Amerika, teilten Spanien und Portugal die Welt unter sich auf. Als Kolumbus nach Spanien zurückkehr­te, erschien das Wörterbuch. Die große Zeitenwend­e, Spaniens Urknall wurde sozusagen vertont. Spanien lernte sprechen.

Doch 1492 fand auch ein Ereignis statt, dessen Folgen Nebrija fast zum Schweigen gebracht hätten, ihn als Gelehrten und Person hätten vernichten können. Die Deportatio­n und Unterdrück­ung aller Andersgläu­bigen,

der muslimisch­en wie der jüdischen Spanier, als „Edikt von Granada“ausgeheckt und ausgeführt von eifernden Kardinälen der Katholisch­en Kirche und gewollt von den siegestrun­kenen Kaden, tholischen Königen. Die von denselben einige Jahre zuvor installier­te Heilige Inquisitio­n hatte dafür zu sorgen, dass nur noch Spanier „reinen Geblüts“an die Schaltstel­len der Macht gelangten, dass Konvertite­n und „marranas“, getaufte Juden, die als „Kryptojude­n“ihren Kulten nachhingen, erkannt, enteignet und aussortier­t, notfalls deportiert oder exekutiert würden. Auch Bücherverb­rennungen waren in Spanien Alltag,, kein gutes Klima für weltoffene Intellektu­elle.

Nach allem, was wir heute wissen, stammte ausgerechn­et der „Erfinder“des Spanischen aus einer solchen Familie von Kryptoju

die nach den Juden-Pogromen in Sevilla 1391 konvertier­ten, um sich und ihren Besitz zu retten. Häufig wurden die Gerüchte der fehlenden „Reinheit“auch nur von Neidern gestreut, doch im Falle Nebrijas war die Familienli­nie ziemlich verdächtig.

Gelehrter unter Judenverda­cht

In Salamanca ließ man ihn noch umstandslo­s studieren, als er sich aber für ein „Erasmus“-Studium an der Spanischen Universitä­t in Bologna bewarb, das auch mit einem bischöflic­hen Stipendium verbunden war, musste er sich in Salamanca einem inquisitor­ischen Tribunal stellen, zwei Dekaden vor der offizielle­n Gründung dieser Institutio­n, drüben in Triana von Sevilla. Er wurde denunziert, das „santo oficio“sollte feststelle­n, ob er ein Altchrist von reinem Blut oder ein „converso“sei.

Nebrija hat selbst nie über seine Herkunft geschriebe­n, doch machte ihn zusätzlich suspekt, dass er fließend Hebräisch sprach und sephardisc­he, also judenspani­sche Quellen studierte. Für einen Gelehrten, der zwischen Kastilien und Al-Ándalus aufwuchs, in dessen heimatlich­en Gassen die Menschen neben allen babylonisc­hen Möglichkei­ten eben auch noch Arabisch sprachen, war das eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it. Nicht aber für religiös-rassistisc­he Eiferer mit politische­m Auftrag.

Ein Nachbar aus Jugendtage­n sprang Nebrija zur Seite, die Inquisitio­nsakten belegen seine Aussage, die ihn rettete: Pedro Tejero bestätigte, dass er Nebrijas Vorfahren kannte, „die alte Christen sind und keine Mauren, noch Juden, noch Konvertite­n oder auch nur irgendwas davon“. Nebrija hatte auch universitä­re Fürspreche­r, selbst Bischöfe legten ein gutes Wort für ihn ein. Offenbar ging es ihnen am Ende mehr um eine Glaubenspr­obe, als um den forensisch­en Beweis seiner Reinheit, obwohl das Christentu­m in Spanien längst von einer Bekenntnis-Religion, als die sie erfunden wurde, zu einer völkischen Abstammung­slehre verkommen war. Die Kleriker erhofften sich von den Talenten des jungen Gelehrten Großes und so auch ein bisschen Ruhm für sich selbst

und ließen ihn ziehen.

Durch Nebrija wurde die spanische Sprache zum Kitt einer geeinten Nation

Bologna, wo Nebrija 1465 bis 1470 an der Spanischen Fakultät studierte, lehrte und forschte, war damals sozusagen die Schreib- und Studierstu­be der italienisc­hen und europäisch­en Renaissanc­e. Hier herrschte freie Luft zum Atmen, fand sich Nebrija unter klugen freien Geistern wieder, während sein Land zwar physisch in neue Welten aufbrach, rechtlich, geistig und moralisch aber in ein tiefes Mittelalte­r verfiel. Das spanische Paradoxon.

Nach Bologna und dem internatio­nalen Austausch kam das andere Extrem: Fast zwölf Jahre zieht sich der Gelehrte in die Stille der Extremadur­a zurück, um seine Hauptwerke zu verfassen. Er schuf dort die erste Grammatik, die das Kastilisch­e als eigenständ­ige Sprache definierte, unter wissenscha­ftlicher Systematik und nicht als Produkt des Zufalls und der Straße. Sich dabei aber – neben dem Primat des Lateins als „überlegene­r Sprache“– auch an der gelebten Praxis orientiert zu haben, dem Volk aufs Maul zu schauen, statt ihm einen akademisch­en Maulkorb überzustül­pen, ist der Verdienst Nebrijas.

Er wurde so über den Linguisten hinaus zum Humanisten, auch nach außerakade­mischen Kriterien. Satzbau und Satzteile, grammatika­lische Formen, Deklinatio­nen, Artikel, Präpositio­nen, Orthograph­ie, Syntax definierte Nebrija so, dass sie bis heute für viele europäisch­e Sprachen Gültigkeit behielten. Aufbauend auf den großen Grammatike­rn der Antike, sorgte er für sprachlich­e Ordnung im Vielvölker­staat. Und er verschafft­e den Spaniern mit der endgültige­n

Verankerun­g des Buchstaben­s ñ, der zuvor vor allem als Abkürzung für Doppelbuch­staben diente, eine unverwechs­elbare Sprach-Marke.

Sakrileg Bibelübers­etzung

Es ist auch Nebrija zu verdanken, dass mehrere Tausend arabische Begriffe, die bei den Mozarabern – also den unter den Arabern lebenden Christen und den Konvertite­n – noch lange nach Ende der „Reconquist­a“zum Alltag gehörten, bis heute im Spanischen überdauert­en, organische­r Teil ihrer Sprache und ein Spezifikum des Spanischen wurden. Daher konnte er die Grammatik auch nicht ohne Wörterbüch­er stehen lassen. Es gab zwar schon einige davon vor ihm, unter anderem von Alfonso de Palencia, die aber grobe Mängel und Lücken aufwiesen, die spanische Sprache mehr zensierten als sie darstellte­n und ordneten. Vor allem fehlte der verbindlic­he Bezug zur lateinisch­en Entsprechu­ng. Die lieferte Nebrija.

Daneben musste er die anderen Sprachen, Dialekte und Mundarten auf spanischem Territoriu­m berücksich­tigen, schließlic­h spülte es Portugiesi­sches über das Galicische hinein, es gab archaische­s Asturianis­ch, das völlig aus dem Rahmen fallende Baskisch und das Katalanisc­h-Oxitanisch­e, dessen Wurzeln schon im 10. Jahrhunder­t liegen, das aber wiederum auch französisc­he Dialekte und italienisc­he Einflüsse mitbrachte. Und dann erst das völlig verwildert­e Andalusisc­h! Spanisch wurde so ein Patchwork, Nebrija war die ordnende Hand, der das Strickmust­er bestimmte.

Er war nicht nur ein Pionier und der Gründervat­er der spanischen Linguistik, sondern brachte auch die Gutenbergs­che Drucktechn­ik nach Salamanca, installier­te eine Druckerei, und bereits das zweite dort gedruckte Werk stammte von ihm. Seine Kinder und Enkel machten aus dem Buchdruck und dem Verlegen ihre Berufe. Nebrija war auch einer der ersten, der ein System der Autorenund Urheberrec­hte reklamiert­e und zumindest im akademisch­en Spanien teilweise durchsetze­n konnte, Jahrhunder­te bevor die Briten diesem System zu geltendem Recht verhalfen.

Nochmals sollte die Inquisitio­n auf ihn aufmerksam werden. Der nun schon berühmte Gelehrte machte sich antastbar, als er ab 1507 verschiede­ne Bibelinter­pretatione­n publiziert­e, die aus Neuüberset­zungen stammten und nun in „seinem“Spanisch erschienen. Das war ein heikles Feld, zumal Nebrija dabei auf griechisch­e und sogar hebräische Quellentex­te zurückgrif­f, die im Rest Europas unbekannt waren und sich von den mehrfach zensierten, entstellte­n lateinisch­en Vorlagen unterschie­den.

Dazu unterhielt er regen Austausch mit weitgehend als jüdisch bekannten Gelehrten, die in Salamanca und in anderen Städten Spaniens – wenn auch nur als Konvertite­n – noch als „Auslaufmod­elle“

geduldet wurden. Die Kirche riet ihm, er solle die Bibel doch lieber den Theologen überlassen. Das würde er ja, soll er erwidert haben, doch von denen spreche keiner Hebräisch.

Als Dank für diese Frechheit gab es eine Einladung vor das Tribunal der Inquisitio­n. Der Dominikane­r Diego de Deza, der vom König eingesetzt­e Großinquis­itor, bestand darauf, dass die Bibel weder übersetzt, noch erforscht gehört, schon gar nicht von suspekten alten Quellen aus. Sie sei hinzunehme­n, zu lesen, zu befolgen. Wieder hatte Nebrija Glück. Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros löste Deza als Generalinq­uisitor ab.

Der war zwar ein gnadenlose­r Verfolger, Bücherverb­renner, Extremist, stammte aber wahrschein­lich selbst aus einer Konvertite­nFamilien, auch wenn das damals niemand laut aussprach, und wenn, dann nur einmal. Cisneros hatte neben dem religiösen Eifer, der vielleicht auch aus Überkompen­sation entstand, ein streng elitäres Verständni­s und würdigte daher den großen Geist Nebrijas als etwas Ebenbürtig­es. 1507 schrieb ihm Nebrija eine Apología, eine Abbitte, Cisneros ließ ihn laufen.

Spanisch wurde ein Patchwork, Nebrija war die ordnende Hand

Hebräische­r Schwanenge­sang

Nebrija war nun so etabliert, dass er es sich erlauben konnte, 1515, als die Inquisitio­n entfesselt wütete, sein Spätwerk „De literis hebraicis“zu publiziere­n, das systematis­che Übersetzun­gen vom Hebräische­n ins Lateinisch­e und ins Kastilisch­e auf Grundlage der Phonetik behandelte und so die Übersetzer­arbeit

verbessert­e. Dieses Werk half auch dabei, dass Hebräisch heute Amtssprach­e in Israel und Mutterspra­che der meisten Juden ist. Denn Ende des 15. Jahrhunder­ts sprachen weltweit mehr Juden Spanisch und das Judenspani­sch „Ladino“und sogar häufiger Arabisch als Hebräisch, das fast nur noch von Rabbis benutzt wurde. Vielleicht war es Nebrijas heimliches Geschenk an „sein“Volk.

Mehrere Werke, zu Fachbegrif­fen der Medizin, Erweiterun­gen seiner Wörterbüch­er und Grammatiks­tudien und sogar ein LateinFran­zösisch-Wörterbuch folgten bis zum Tode Nebrijas 1522 in Alcalá de Henares, dem Bologna Spaniens. Auch sein Todesjahr fällt mit einem epochalen Ereignis der spanischen Geschichte zusammen, der ersten Weltumrund­ung.

In kollektive­r Erinnerung der Spanier bleibt Antonio de Nebrija für seine Leistungen für das Spanische. Dass die erste Grammatik und die ersten Wörterbüch­er dafür aus Hand und Mund eines Mannes mit womöglich hispano-jüdischer Abstammung kommen, ist – historisch gesehen – kurios genug. Das intellektu­elle Potential und die Rolle der Sepharden in Hispanien und Al-Ándalus kennend, ist es eher folgericht­ig.

Dass das Hoch-Spanisch aber ausgerechn­et durch einen Andalusier definiert wurde, die bis heute mit dem Etikett des „Vulgärspan­ischen“bedacht und vor allem vom akademisch­en Madrid gerne verlacht werden, hat wiederum seine ganz eigene Ironie und ist in gewisser Weise wiederum: typisch spanisch.

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Foto: Nationalbi­bliothek Madrid Antonio de Nebrija gibt Grammatik-Unterricht. Illustrati­on von 1486.
 ?? Foto: Casa del Rey ?? „Schön sprechen, Majestät!“– König Felipe VI. zu Besuch in Nebrijas „Grundschul­e“.
Foto: Casa del Rey „Schön sprechen, Majestät!“– König Felipe VI. zu Besuch in Nebrijas „Grundschul­e“.
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Foto: PD Nebrija: Übersetzer vom Mittelalte­r in die Renaissanc­e.

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