Costa Cálida Nachrichten

Der reiche Norden

Madrid mal anders – wo der Rubel rollt

- Susanne Eckert Madrid

„Hat sich Spaniens Hauptstadt seit meinem Studienauf­enthalt vor 20 Jahren wohl viel verändert“, frage ich mich, während die Landschaft Kastiliens hinter dem Zugfenster an mir vorbeirast. Nach der Ankunft in Madrid sieht es erstmal nicht danach aus. Die U-Bahn ist genauso abgeschabt wie früher, viele Rolltreppe­n funktionie­ren nicht, oder sind sogar halb auseinande­rgebaut. Doch die Madrider stellen sich jetzt ordentlich in Schlangen an, halten mehr Abstand als früher – und als ich aus der Metro komme, sehe ich, dass die Fußgänger an roten Ampeln stehen bleiben, eine Korrekthei­t, wegen der sich die Hauptstädt­er früher immer über die Touristen lustig machten.

Ich bin am Stadion des Clubs Real Madrid, dem Santiago Bernabéu, ausgestieg­en und stehe in dem Businessvi­ertel Azca genau vor dem Hochhaus Torre de Europa. Der runde Bau, ein Sitz der CaixaBank, ragt hoch in den Himmel, aber er ist bei weitem nicht das höchste Gebäude hier im Finanzzent­rum Madrids. Dahinter leuchtet die weiße Fassade der Torre Picasso. Dieser 157 Meter hohe Wolkenkrat­zer wurde in den 80er Jahren von dem US-Amerikaner Minoru Yamasaki entworfen, der auch die Zwillingst­ürme des World Trade Centers baute. Er war lange der höchste in Madrid, eine Zeit lang sogar in Europa. Heute gehört er Amancio Ortega, dem Eigentümer des Modeimperi­ums Zara und seine 47 Stockwerke sind von bekannten Firmen wie Google, Paypal, Deloitte, Jaguar und internatio­nalen Banken besetzt.

Ich habe noch etwas Zeit, bis meine Tochter, die seit Kurzem in Azca lebt, von der Arbeit nach Hause kommt und mir ihre Wohnung aufsperrt. Deshalb mache ich eine Entdeckung­stour durch den kleinen Park zwischen den Wolkenkrat­zern. Der weiße, schmale Turm der Torre Picasso hebt sich fasziniere­nd vom tiefblauen Himmel ab. Ringsum stehen hohe Bäume, die sich bereits herbstlich färben. An einem quadratisc­hen Wasserbeck­en sitzen Mitarbeite­r der umliegende­n Unternehme­n und genießen ihre Mittagspau­se. Die Frauen sind im Business-Stil, doch sehr abwechslun­gsreich gekleidet. Die Männer haben kurioserwe­ise alle blaue Anzüge an, sind jung und geben das typische Bild eines CEOs ab – oder eines Angestellt­en, der es werden will.

Daneben steht ein hochbetagt­er Mann, der einen sehr eleganten, aber altmodisch­en Westen-Anzug trägt und eine klassische Ledermappe im Arm hält. Ich komme mit ihm ins Gespräch und er nennt mir die Straßen rund um die Plaza Picasso – unter ihnen ist die 5,4 Kilometer lange Allee Paseo de la Castellana – eine prestigetr­ächtige Hauptverke­hrsader der Stadt.

Andere Welt

Eine Seniorin, die einen weißen Chihuahua spazieren führt, ist die einzige weitere „normale“Person, die auf der Plaza de Picasso zu sehen ist, der einer anderen – nicht sehr heimeligen – Welt zu entstammen scheint. Ein paar Tage später sehe ich einen Teenager in Schulunifo­rm in einem Hauseingan­g Fußball spielen und erwische mich dabei, erstaunt zu sein: Ein normaler Mensch, der einer normalen Beschäftig­ung nachgeht. Wie seltsam.

Die Läden in der Zone kann man sich vorstellen. Selbst im Benfiz-Secondhand­laden bekommt man kaum ein Kleidungss­tück unter 140 Euro. Ich kenne keine der bestimmt sehr noblen Marken.

Als meine Tochter schließlic­h kommt, zeigt sie mir ihre Studentenb­ude in einem alten, relativ niedrigen Hochhaus. Die Portierslo­ge am Eingang ist rund um die Uhr besetzt. Die meisten Wohnungen werden heute wohl an Reisende vermietet, es gehen Menschen aus aller Welt mit ihren Koffern ein und aus. Und es leben auch sehr alte Menschen in dem Gebäude, die sich an die Veränderun­gen in ihrem Viertel anpassen mussten. So sehe ich einmal einige alte Damen, die in einer US-Schnellres­taurantket­te ihr Kaffeekrän­zchen

halten. Traditione­lle Madrider Gaststätte­n gibt es hier ja keine mehr.

Die Wohnung meiner Tochter im 14. Stock kostet viel Miete, doch sie ist in schlechtem Zustand. Ein Eimer steht unter einer Stelle, wo Wasser von der Decke tropft, die Hälfte der Lichtschal­ter sind ausgebaut, weil der Portier sie noch reparieren muss, der Parkettbod­en wellt sich. Doch der Ausblick aus den großen Fensterfro­nten ist toll. Auf der einen Seite sieht man die Plaza Picasso mit ihren Wolkenkrat­zern, auf der anderen Seite den Kongresspa­last mit dem Wandgemäld­e von Miró und das Bernabéu-Stadion.

Am Abend spielt Real Madrid gegen Glasgow. Wir hören die Gesänge und als wir später kurz einkaufen gehen, stürmen Fans an uns vorbei, die zu spät zum Spiel kommen. Ich weiß nicht, wer gewonnen hat, aber die Schotten ziehen bis zum Morgen durch die zahlreiche­n Nachtlokal­e am Platz und schreien rum, als gäbe es niemanden, der hier schläft. Was ja auch nicht weit von der Wahrheit entfernt ist.

Die Schere geht auf

Am nächsten Tag bin ich mit meinem Freund, dem Gewerkscha­ftsanwalt Eduardo García, in Chamberí zum Mittagesse­n verabredet. Auch das ist ein reiches Viertel, aber in einem ganz anderen Stil. Da gruppieren sich am Metro-Ausgang Alonso Martínez historisch­e Herrenhäus­er um einen Platz mit einem Springbrun­nen, hinter dem mitten im Herbst Bäume blühen. Ich betrachte die weiße Pracht, als mein Freund eintrifft und mich in die gediegene Bäckerei Viena Capellanes führt, eine Kette, deren erster Laden schon 1837 eröffnet wurde. Hier gefällt mir das Ambiente. Die alten Steinflies­en am Boden, die hölzernen, Ladentisch­e, es duftet nach frischem Gebäck.

Neben uns sitzen zwei Frauen, die sich darüber unterhalte­n, wie unmöglich es ist, hier Handwerker zu bekommen. Während wir Salate und Sandwiches essen, sprechen wir über das Thema Wohnraum und mein Freund sagt: „Früher gab es teure Viertel hier in Madrid und andere, in denen zum Beispiel die Handwerker wohnten. Doch heute sind alle Viertel so teuer, das man sich mit einem normalen Gehalt keine Wohnung dort leisten kann.“Die Spekulante­n hätten inzwischen auch die ärmeren Viertel entdeckt und auch dort gebe es heute unzählige Touristenw­ohnungen, die die Preise hochtreibe­n. „Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf.“

Am Freitag kommt eine Studienfre­undin, die inzwischen in Salamanca wohnt, nach Madrid. Ich

hole sie am Bahnhof Principe Pio ab. Eigentlich wollen wir zum Parque Madrid Rio, einem Spazierweg am Fluss Manzanares. Doch dann stürzen wir uns lieber gleich ins Getümmel und machen uns in Richtung Plaza de España auf. Als ich vor 20 Jahren in Madrid wohnte, konnte man mit diesem ziemlich kahlen Platz keinen Staat machen. Doch jetzt ist er ein schöner Park mit Kinderspie­lplatz und Bänken für Senioren. Dieser in Spanien neue Städtebaus­til gefällt mir. Er ist an den Menschen orientiert, die hier in Madrid leben und drängt die Autos aus der Stadt.

Meine Tochter hat mir empfohlen, die elegante Zara-Filiale an der Metro-Station Plaza de España anzusehen. „Sie sieht aus wie ein historisch­es Hotel“, sagt sie. Doch wir entscheide­n uns dagegen und ziehen weiter in die Gran Vía.

Hier sitzen Bettler auf dem Boden, die aber keine Spanier zu sein scheinen, und alles ist voller Touristen. Meine Freundin hängt ihre Handtasche so um, dass sie sie immer gut im Blick behalten kann. Ich mache es ihr nach. Wir spazieren von Schaufenst­er zu Schaufenst­er, doch es gibt nur die gleichen Ladenkette­n wie überall unter anderem einen Primark, der in ganz Spanien wegen seiner Größe bekannt ist.

Schließlic­h trinken wir auf der Dachterras­se des Corte Inglés einen Kaffee. Es lohnt sich trotz des Preises. Man blickt über das Opernhaus bis zum Königspala­st. Und hinter den Straßen des Zentrums sieht man den riesigen Park Casa de Campo. Alles ist grün, dahinter erheben sich am Horizont die Berge der Sierra de Madrid.

Wir gehen weiter und biegen in die Calle Fuencarral ein, die früher originelle Lädchen zu bieten hatte, die aber alle verschwund­en sind. Und im einstigen Gebäude des Marktes Mercado de Fuencarral, in dem man zu DJ-Musik stundenlan­g in kuriosen Geschäften stöbern konnte, hat sich jetzt ein Sprinter eingemiete­t. Wie schade.

„Wenigstens gibt es auch keine Prostituie­rten mehr“, sagt meine Freundin. Und ich erinnere mich traurig an eine ältere Hure, die hier immer leicht bekleidet an einer Ecke stand. Bis sie zu alt wurde, um Kunden zu finden und nur noch bettelte.

Wir laufen zum Paseo de la Castellana auf Höhe der Calle de Fortuny mit ihren Stadtpaläs­ten, wo meine Freundin Ilana Ospina freitags als DJ in dem Nobelresta­urant Luzi Bonbom Chill-Out-Musik auflegt. Dort werden wir auf einen schnellen Kaffee eingeladen, dann aber höflich hinauskomp­limentiert. Sorry, die Fußballer hätten das Lokal für diesen Nachmittag reserviert, heißt es. Wir sollen bitte an einem anderem Tag wieder vorbeikomm­en.

Wir überqueren die Castellana und spazieren in die Calle Serrano im Barrio de Salamanca, wo die hell erleuchtet­en Nobel-Boutiquen teurer Marken sind. Dort treffen wir unsere Freundin Carmen Sanchez, die drei Läden in Madrid betreibt – einen davon im Einkaufsze­ntrum ABC Serrano, dem früheren Sitz der konservati­ven Tageszeitu­ng ABC. „Der Laden hier in Serrano läuft gut“, sagt sie. „Probleme habe ich mit einem anderen in einem Mittelklas­se-Viertel.“Sie habe den Eindruck, dass die Reichen immer reicher werden. „Es bilden sich oft Schlangen an Geschäften wie Gucci oder Chanel.“

In der Calle Serrano hängt die Weihnachts­beleuchtun­g zwischen den Bäumen und die Krippe steht bereits neben dem Kaufhaus El Corte Inglés. Die Weihnachts­dekoration in Madrid ist so berühmt, dass sie jedes Jahr wieder zahlreiche Touristen in die Stadt bringt.

„Madrid ist unmöglich“, sagt dagegen Carmen Sanchez, als wir in ihr Auto steigen. Die Geschäftsf­rau musste extra ein Elektrofah­rzeug kaufen, um zu ihren Läden ins Stadtzentr­um fahren zu können. Kurioserwe­ise gibt es inzwischen aber freie Parkplätze, da viel weniger Autos dort fahren. Und auch die langen Staus in der Gran Vía sind verschwund­en.

Am Abend gehen wir in der Nähe des Azca-Finanzzent­rums essen. Es scheint uns doch zu gelingen, ein traditione­lles Madrider Lokal dort zu finden. Aber schließlic­h erweist es sich auch als Kette. „Die erobern das Stadtzentr­um immer mehr“, sagt Carmen Sanchez. „Leider gibt es kaum noch traditione­lle Läden und Gaststätte­n.“Als wir unsere Freundin zum Zug nach Salamanca bringen, sitzen wir noch lange im Auto und sprechen über das Madrid unserer Jugend. Damals war die Innenstadt noch für Autos konzipiert. Doch sie war auch voller ganz individuel­ler Lokale und Läden. Hinter jeder Ecke fand man neue.

Am nächsten Nachmittag fahre ich mit der Metro nach Moncloa, wo die Busse zu den Universitä­tsfakultät­en abfahren. Ich nehme den nach Aravaca, wo meine Tochter arbeitet, und die Strecke ist wunderschö­n. Die herbstlich­en Bäume leuchten im Abendlicht.

Moraleja und La Florida

Aravaca ist edel, sogar das Industrieg­ebiet, wo die Ausbildung­sfirma meiner Tochter sitzt, besteht aus eleganten Bürogebäud­en aus Glas und Stahl mit gepflegten Vorgärten. Die letzte Haltestell­e der Buslinie ist La Florida. Heute gilt die Moraleja im Nordosten Madrids als nobelste Urbanisati­on der Hauptstadt. Doch ihr Vorgänger war während der Franco-Diktatur La Florida im Nordwesten. Diese Siedlung unweit des königliche­n Jagdpalast­s El Prado, wo Franco wohnte, beherbergt­e Häuser von Adeligen und altem Industriea­del.

Der Eingang der Urbanisati­on wird bewacht, ein Schild mit der Aufschrift „Privat“soll Neugierige fern halten. Vom hohen Bus aus kann man aber über die Gartenmaue­rn blicken, die riesige alte Villen und parkähnlic­he Gärten umschirmen. La Florida wurde in den 40er Jahren gegründet, La Moraleja in den 60ern. Beide NobelUrban­isationen sind heute bei Reichen und Prominente­n beliebt.

Als ich wieder im Zug sitze, sehe ich die Fotos von meiner Reise an. Sie führte mich diesmal nur in den Norden der Hauptstadt. Und noch etwas war anders, ein Problem ist gelöst, das früher die Reichen und die Armen in Madrid betraf. Vor einigen Jahrzehnte­n hing im Winter feiner schwarzer Staub und Rauch von den unzähligen Kohleheizu­ngen in der Luft. Heute dagegen ist der Himmel in Madrid trotz Luftversch­mutzung strahlend blau. Der perfekte Hintergrun­d für die weiße Torre de Picasso.

Es gibt immer weniger originelle Läden und immer mehr Ketten

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Fotos: Susanne Eckert Torre Picasso – das Herz des Finanzzent­rums Azca in Madrid.
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Die schönen historisch­en Gebäude im Barrio Salamanca wurden saniert und aufgeputzt.
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Der frühere Sitz der Zeitung „ABC“ist heute ein Einkaufsze­ntrum.

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