Die Alleskönner
Fledermäuse haben außerordentliche Fähigkeiten und schützen die Umwelt
Wenn es um Fledermäuse geht, geraten die Wissenschaftler immer wieder ins Schwärmen. Die kleinen Tiere können ihren Körper perfekt kontrollieren, verhalten sich äußerst sozial und sind hervorragende Flieger. Als Insektenfresser sind sie auch dem Menschen von Nutzen. Fledermäuse vertilgen so viele Motten, Falter und Mücken, dass sie Pestizide ersetzen können. Forscher untersuchen, wie sie Reisfelder in Spanien von Schädlingen befreien können. Die Vereinten Nationen widmen den Tieren sogar ein eigenes Büro.
Fledermäuse zeigen an, wie gesund das Ökosystem am Segura ist
Wenn Javier Juste über Fledermäuse redet, gerät er schnell ins Schwärmen. „Ich beschäftige mich jetzt seit fast 30 Jahren mit den Tieren und bin erstaunt, dass sie mich immer aufs Neue faszinieren“, sagt der Biologe, der für das staatliche Forschungszentrum CSIC in Sevilla tätig ist. Er arbeitet eng mit der Vereinigung zum Schutz und zur Erforschung von Fledermäusen in Spanien (Secemu) zusammen sowie mit Eurobats, dem Sekretariat der Vereinten Nationen zur Erhaltung der europäischen Fledermausarten, mit Sitz in Bonn.
„Es gibt keine Tierart, die mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit mehr überrascht hat“, sagt Javier Juste. Mit der Meinung steht der Wissenschaftler nicht allein da. Andreas Streit, Leiter des UN-Büros Eurobats in Bonn, ist von den „bewundernswerten Lebewesen mit außerordentlichen Fähigkeiten und seinem besonderen Sozialverhalten“beeindruckt. Fulgencio Lisón, Biologe an der Universität von Murcia und spezialisiert auf Fledermäuse, spricht von „unglaublichen Tieren“und hebt deren Bedeutung für die Erhaltung der Ökosysteme hervor.
So sind Fledermäuse zum Beispiel an dem Umweltprogramm der Europäischen Union LIFE+ Ripisilvanatura in der Region Murcia beteiligt. Bei dem wissenschaftlichen Projekt geht es um den Erhalt der Artenvielfalt. Ein 50 Kilometer langer Abschnitt des Flusses Segura zwischen Calasparra und Cieza soll regeneriert werden, indem der sogenannte heimische Auwald, das ist die Vegetation entlang des Flusses, wieder aufgebaut wird. „Die Fledermäuse übernehmen die Rolle eines Bioindikators“, erklärt Fulgencio Lisón, der als Fledermaus-Experte an dem Projekt beteiligt ist. „Sie zeigen an, wie die Gesundung des Ökosystems und des Auwaldes voranschreitet.“Steigt die Zahl der Fledermausarten, die bevorzugt in Bäumen leben und Insekten auf Wasseroberflächen jagen, deutet das auf eine Erholung der Vegetation hin.
„Wir stellen Detektoren auf. Die elektronischen Geräte nehmen die Ultraschalllaute der Fledermäuse auf und wandeln sie in für uns hörbare Töne um“, erklärt Fulgencio Lisón. Fledermäuse stoßen die Laute aus, um ihre Beute zu orten, sich zu orientieren und miteinander zu kommunizieren. „Anhand der Daten können wir bestimmen, welche Arten und wie viele Exemplare am Río Segura unterwegs sind.“
Bisher haben die Wissenschaftler 19 Fledermausarten registriert, die zu vier Familien mit kuriosen Namen wie Hufeisennasen, Glattnasen, Langflügel- und Bulldoggfledermäuse gehören. Die kleinen Säugetiere sind so groß wie eine Maus oder ein Spatz. Eine kleine Fledermaus hat besonders von dem Projekt profitiert. Die Langfußfledermaus, die trotz ihres Namens nur fünf Zentimeter misst, gilt in Spanien als vom Aussterben bedroht. „Ausgerechnet diese Art lebt in Auwäldern und jagt über der Wasseroberfläche von Flüssen. Mit den Regenerierungsmaßnahmen ist sie zurückgekehrt“, sagt Fulgencio Lisón.
Nicht nur als Bioindikator dient die Fledermaus, sondern auch als natürlicher und vor allem billiger Ersatz für Pestizide. Die europäischen Fledermäuse fressen so viele Insekten, dass sie Plagen reduzieren können, die vom Menschen ausgelöst wurden. „Durch die Kul- tivierung von Feldern haben sich Falter, Motten und Mücken explosionsartig vermehrt“, sagt Javier Juste vom CSIC. „Eine kleine Zwergfledermaus zum Beispiel wiegt acht Gramm und frisst sechs Gramm Mücken pro Nacht.“
Die richtige Behausung
Amerikaner haben Fledermäuse zuerst als Pflanzenschutzmittel entdeckt. „Dazu haben sie keine aufwendigen Studien betrieben, sondern einfach nur nachgerechnet und festgestellt, dass ein Landwirt mehrere tausend Dollar sparen könnte, wenn er Fledermäuse statt Chemie zur Bekämpfung der Maisplage einsetzen würde.“
In Spanien untersuchen Wissenschaftler aus Katalonien, wie Fledermäuse der Reisplage beikommen können. „Das ist ein bedeutendes Problem. Es gibt große Felder in Andalusien oder Valencia.“Fledermäuse könnten die Schädlinge reduzieren. Dazu müssen sie sich jedoch in der Nähe der Reisfelder niederlassen. „Den Fledermäusen werden künstliche Unterschlüpfe angeboten, sogenannte Fledermaus-Boxen“, sagt Javier Juste. Das hört sich jedoch einfacher an als es ist. Denn jede Art hat so ihre Vorlieben. Untersuchungen sind erforderlich, um genau festzustellen, welche Art von Unter- schlupf in welcher Umgebung diejenige Fledermausart mag, die die Schädlinge auf Reisfeldern frisst.“Ist der Geschmack der Fledermaus getroffen, wird sie einziehen, meint Javier Juste.
„Fledermäuse sind kleine perfekte Maschinen. Alles ist genau berechnet. “Als Beispiel nennt der Biologe die Fähigkeit, die Körpertemperatur zu regulieren. „Die Tiere verfügen über einen Mechanismus, mit dem sie ihre Temperatur ein- und ausschalten können.“An einem regnerischen Tag mit wenig Insekten schalten sie ihren Stoffwechsel einfach ab, um Energie zu sparen. Die Körpertemperatur sinkt auf bis zu 28 Grad ab. „Bei dieser Temperatur würde jedes andere Tier sterben.“Am nächsten Tag schalten sie den Stoffwechsel wieder ein, und die Temperatur steigt in Sekundenschnelle. Zum Vergleich: Säugetiere und Menschen verbrauchen bis zu 80 Prozent ihrer Energie, um den Körper auf Betriebstemperatur von 37 Grad Celsius zu halten.
Einzigartig ist auch das ausgeklügelte Echoortungssystem, mit dem Fledermäuse ihre Beute nachts von weitem anvisieren und genau wissen, wohin und wie schnell sie sich bewegt. „Das System ist so ausgefeilt, dass Hindernisse so dünn wie ein menschliches Haar erkannt und umflogen werden können“, sagt Andreas Streit vom UN-Büro Eurobats.
„Deshalb ist auch das Gerücht unerklärlich, dass Fledermäuse in die Haare von Frauen fliegen und sich dort festkrallen. So etwas passiert einfach nicht“, sagt Andreas Streit. „Es kann sein, dass eine Fledermaus einen Zentimeter am Kopf vorbeifliegt, wenn man abends im Wald oder an Böschungen spazieren geht. Aber es würde nie eine Kollision geben.“Das spezielle Ortungssystem erlaubt den Fledermäusen, effizient und energiesparend zu arbeiten. „Sie müssen nicht die ganze Nacht durcharbeiten“, erklärt Javier Juste. „Innerhalb einer Stunde haben sie so viel Insekten gefressen, dass sie sich wieder ausruhen können.“
Die Fledermaus schläft viel. Das könnte der Grund für eine weitere Ausnahme sein: das Alter. „Fledermäuse können bis zu 50 Jahre alt werden“, sagt Javier Juste. Der Alterungsprozess fasziniert