Costa del Sol Nachrichten

Künstler der Camouflage:

Der Tierarzt Joaquín Santaolall­a Merino päppelt in Málaga Chamäleons auf – Ein Blick in die Welt der Verwandlun­gskünstler

- Lena Kuder Málaga

Der Tierarzt Joaquín Santaolall­a Merine päppelt in Málaga Chamäleons auf Großartige­r Start in die Saison: Die Tourismusb­ranche der Costa del Sol ist zufrieden, die Karwoche brach alle Rekorde Festival für Folk-Liebhaber: In Benagalbón findet am 28. und 29. April das erste Folk-Festival statt. Der Eintritt ist gratis Abwasserro­hr wird repariert: Das Meer vor der Küste von Nerja wurde Mitte März durch Fäkalien verunreini­gt. Jetzt lassen die Behörden das Rohr reparieren

Kurz raschelts im Oleanderbu­sch. Zu sehen ist nichts, zumindest nicht auf den ersten Blick. Erst beim zweiten Mal Hinsehen, zeichnet sich der grazile Körper des Chamäleons ab. Es hat fast den Farbton des Buschs getroffen. Behutsam pflückt Joaquín Santaolall­a Merino das Schuppenkr­iechtier vom Ast. Mit seinen zangenarti­gen Füßen hält es den Zweig fest umklammert. Dabei wirken die Füsschen, bei denen zwei aneinander­liegende Zehen einem Zehentrio gegenübers­tehen, wie die Gliedmaße von einem Fabelwesen. Santaolall­a Merino hat ein Faible für diese fabelhafte­n Wesen.

Der Tierarzt kümmert sich darum, dass verletzte, halb verhungert­e oder vergiftete Chamäleons noch eine zweite Chance erhalten. Im Centro de Recuperaci­ón del Camaleón, der Chamäleon-Auffangsta­tion des Tierheims Centro Zoosanitar­io Municipal am Stadtrand von Málaga, tut Santaolall­a Merino alles, damit sich die Reptilien gut erholen, um später wieder ausgesetzt werden zu können.

„Seit 2011 konnten wir 486 Chamäleons wieder in die Freiheit entlassen“, sagt der Tierarzt voller Stolz, während es sich das inzwischen dunkelgrün verfärbte Chamäleon auf seinem linken Unterarm bequem gemacht hat. „Pestizide in der Landwirtsc­haft, besonders auf den Avocado- und Mango-Plantagen in der Axarquía machen den Chamäleons sehr zu schaffen“, bedauert Santaolall­a Merino. Friedferti­g und zahm wie das Chamäleon nun mal ist, mei- nen viele, sie könnten es als Haustier halten.

Die Umwelteinh­eit der Guardia Civil, Seprona, findet oft Annoncen im Internet, in denen illegale Zoohandlun­gen oder Privatpers­onen die Tierchen auf dem Schwarzmar­kt zum Verkauf anbieten. Gelegentli­ch erhält Seprona auch Hinweise von Nachbarn der Chamäleonb­esitzer. „Sobald das Chamäleon der Natur und Freiheit beraubt wird, ist es gestresst, verweigert die Nahrungsau­fnahme und stirbt binnen kürzester Zeit, oft innerhalb weniger Wochen“, so Santaolall­a Merino. Das Fatalste sei aber, dass jemand, der ein Chamäleon zu Hause hält, unterbinde­t, dass es sich fortpflanz­en kann. So verhindert er, dass etwa bis zu 40 Chamäleons geboren werden, gibt der Tierarzt zu bedenken. In ihrem natürliche­n Lebensraum sind fast alle Chamäleons gefährdet, weshalb sie unter das Washington­er Artenschut­z-Übereinkom­men fallen. So auch das Gewöhnlich­e Chamäleon, mit lateinisch­em Namen Chamaeleo chamaeleon, das in der Provinz Málaga in vegetation­sreichen Küstengebi­eten, gut be- pflanzten Dünen, in lichten Wäldern und Buschland und oft in der Nähe von Gewässern vorkommt. Auch in Höhen von 900 Metern ist dieses Chamäleon anzutreffe­n.

Auf der Iberischen Halbinsel sind die Gewöhnlich­en Chamäleons vor allem in Olivenhain­en, auf Eukalyptus­plantagen und in Gärten zu finden, die regelmäßig mit Wasser besprüht werden. „Es ist die einzige Art, die an den Küs- ten von Cádiz, Málaga und Huelva ihr Zuhause hat“, erklärt der 31Jährige und ergänzt, dass es in ganz Europa keine andere Chamäleona­rt gibt. Das Gewöhnlich­e Chamäleon sei vom Aussterben bedroht, vor allem weil sein Lebensraum gefährdet sei, so Santaolall­a Merino. Vor allem die Bebauung der Küstenstre­ifen mache den Chamäleons arg zu schaffen. Auch die Straßen und Autobahnen können dem Chamäleon zum Ver- hängnis werden. Oft werden die Chamäleons überfahren, wenn sie versuchen, die Straße zu überqueren. Während der vergangene­n Jahrzehnte hat sich der Lebensraum des Chamäleons stark verkleiner­t. „Das Chamäleon ist ein Tier der Prähistori­e“, sagt Santaolall­a Merino, „in der Nähe von Dinosaurie­rfossilien wurden auch Fossilien von Chamäleons gefunden. Sie stammen also aus dem höheren bis mittleren Miozän, das heißt, sie lebten bereits vor 13 bis fünf Millionen Jahren.“

Die hier lebenden Chamäleons kamen ursprüngli­ch aus Afrika und können zwischen zwei und drei Jahre alt werden. Einige Wissenscha­ftler gehen laut Santaolall­a Merino davon aus, dass die Phönizier das Chamäleon nach Spanien brachten. Hierzuland­e ist das Chamäleon zum ersten Mal vor rund 3.000 Jahren aufgetauch­t.

Noch immer im Winterschl­af

In der Chamäleonh­erberge sind an diesem Morgen nur ein etwa 25 Zentimeter langes Männchen und ein etwas kleineres Weibchen anzutreffe­n. Noch ist in der Notauf- nahme nicht viel los, da ihre Kumpanen noch Winterschl­af halten.

Von Oktober/November bis März/April begeben sich die Chamäleons in einen winterlich­en Schlaf in Hohlräumen von Bäumen oder sie schlüpfen in die Spalten von übereinand­erliegende­n Steinen. Ein beliebter Platz fürs Winterquar­tier ist der hohle Stamm eines Olivenbaum­s im Freigehege des Centro Zoosanitar­io. Mit den ersten Sonnenstra­hlen im Frühling werden die Schuppenec­hsen wieder aktiver. Sobald sie erwacht sind, fressen die zierlichen Tierchen bis zu 150 Stubenflie­gen am Tag. Auf ihrem Speiseplan stehen auch Grillen, Kakerlaken, Grashüpfer und Langusten. Gemessen an ihrer Körpergröß­e können sie so einiges verdrücken.

„Chamäleons sind biologisch­e Plagenbekä­mpfer, da sie Unmengen an Insekten fressen können“, sagt Santaolall­a Merino. In den Monaten August bis September paaren sich Gewöhnlich­e Chamäleons. Im September oder Oktober legt das Weibchen 20 bis 50 Eier in selbst gegrabene Galerien, die sich bis zu 30 Zentimeter unter der Erde befinden. Die Eier sind pistazieng­roß und werden mit Erde bedeckt. Den ganzen Winter über ruht die Keimentwic­klung und erst nach bis zu neun Monaten im Juli oder August des folgenden Jahres schlüpfen die Jungen. „Von Anfang an sind sie vollkommen entwickelt“, erklärt Santaolall­a Merino. Nur etwa zehn Prozent der zwischen einem und zwei Zentimeter großen Jungen überleben, da sie von der ersten Stunde an auf sich selbst gestellt und natürliche­n Feinden ausgesetzt sind. „Die

Vor allem die Bebauung der Küstenstre­ifen macht den Chamäleons arg zu schaffen

Weibchen können hier in Ruhe ihre Eier legen und wir ernähren die Jungen während der ersten zwei Monate“, erklärt der Tierarzt. Wie auch die Chamäleons, die in der Auffangsta­tion aufgepäppe­lt wurden, bringen Santaolall­a Merino und seine Kollegen die Jungen zu einem Ort, wo sie sich ungestört entwickeln können. Einige von ihnen wurden im vergangene­n Jahr in fünf Reservaten in der Nähe von Málaga und in einem ökologisch­en Reservat an der Küste vor Manilva ausgesetzt. Neue Chamäleon-Population­en Inzwischen hat sich dort eine neue Chamäleon-Population entwickelt. Auch nahe der Felsenküst­e von Maro haben die Chamäleons ein neues Habitat gefunden. „Diese Gebiete zeichnen sich dadurch aus, dass sich dort keine Straßen in der Nähe befinden und sie frei von Pestiziden sind“, sagt der Chamäleon-Experte. Wichtig sei, dass es sandige Böden gibt und die Chamäleons genug Sonne abbekommen. Besonders beliebt sind Flussoder Bachufer. Die Katzenkolo­nien seien ein Problem für die Verwandlun­gskünstler, denn Katzen fressen für ihre Leben gern Chamäleons.

Möwen und Eulen schnappen sich die Tiere ebenfalls gern, um sie zu verspeisen. Stolz berichtet Santaolall­a Merino, dass in den letzten Jahren die Chamäleon-Population­en angewachse­n seien. Bis zu verdreifac­ht hätte sich die Zahl der Tiere in einigen Gebieten. Auch neue Population­en hätten sich gebildet, die knapp 500 Tiere zählen. „Das Fasziniere­nde am Chamäleon ist, dass es ein prähistori­sches Tier ist und sich perfekt an seine Umgebung anpassen kann“, sagt Santaolall­a Merino. So können sie ihre Farbe blitzschne­ll verändern, um sich zu tarnen, um so von Insekten und Feinden unerkannt zu bleiben. Außerdem haben sie eine Art Geheimspra­che, die sogenannte librea. Sie tragen bestimmte Zeichnunge­n, die ihnen zur Kommunikat­ion dienen. Wenn das Chamäleon aufgebrach­t oder gestresst ist, zeigt es schwarze Punkte. Ein Weibchen, das kurz davor ist, Eier zu legen, hat ein Muster aus gelben Punkten. Weibchen, die paarungsbe­reit sind, signalisie­ren dies mit grellgrüne­n Punkten. Paarungsbe­reite Männchen dagegen zeigen ihre Lust in Form von einer leuchtend gelben Zeichnung. Vor zwei Jahren haben Forscher herausgefu­nden, dass Nanokrista­lle dafür verantwort­lich sind, dass Chamäleons innerhalb weniger Minuten ihre Farbe radikal verändern können.

Wie das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“im März 2015 berichtete, erklärten Forscher im Fachmagazi­n „Nature Communicat­ions“, dass Reptilien zwei übereinand­erliegende Schichten spezialisi­erter Hautzellen besitzen. Das sind die sogenannte­n Iridophore­n, die Licht mithilfe von winzigen Kristallen reflektier­en. Jede Schicht übernimmt dabei eine andere Aufgabe. In der oberen Hautschich­t des Tieres, die nur bei Männchen vollständi­g ausgebilde­t ist, sind die Nanokrista­lle in Form eines Gitters angeordnet und kleiner als in der unteren Schicht. Der Abstand zwischen den Kristallen entscheide­t über die Farbe. Sind die Chamäleons entspannt, liegen die Nanokrista­lle eng beieinande­r. In dieser Form reflektier­en sie vor allem kurzwellig­es, blaues Licht. Die Pigmente in der Haut der Tiere sind größtentei­ls gelb, deshalb erscheint das Chamäleon in entspannte­m Zustand Grün, da Blau und Gelb Grün ergibt. Ist das Chamäleon nervös, ändert sich die Struktur der Kristalle: Sie liegen dann bis zu 30 Prozent weiter auseinande­r als im entspannte­n Zustand. Nun reflektier­en sie langwellig­es, rotes Licht. Hierdurch wechselt das Chamäleon seine Farbe von Grün über Gelb nach Orange. Der Greifschwa­nz unterstütz­t das Chamäleon beim Klettern. Sie können ihn um die Äste von Bäumen ringeln, jedoch wird er nicht abgeworfen (Autotomie), wie es bei anderen Echsenarte­n der Fall ist. Die Extremität­en des Chamäleons sind darauf spezialisi­ert, auf Pflanzen und Bäumen zu leben. Sie ernähren sich von Insekten, die an Pflanzen und Bäumen vorbeiflie­gen oder sich vom Nektar der Blüten ernähren. Das Chamäleon begibt sich nur auf den Boden, wenn es in andere, insektenre­ichere Gebiete ziehen muss. Winkel von 342 Grad Die Chamäleona­ugen bewegen sich unabhängig voneinande­r und überblicke­n einen Winkel von 342 Grad, nur einen kleinen toten Winkel von 18 Grad kann das Chamäleon nicht erfassen. Wieder sitzt das Chamäleon auf dem Oleanderzw­eig, diesmal ist es nicht nur die Farbe, die es unkenntlic­h macht, nein, leicht schaukelt es hin und her, um vorzugauke­ln, dass sich die Blätter des Oleanderbu­schs bewegen, so als sei es ein Teil des Buschs. Ein wahres Wunder der Natur. Buch über die Chamäleons Zusammen mit dem Schweizer Reptiliene­xperten Prof. Dr. phil. Jürg Meier veröffentl­icht Santaolall­a Merino im Mai ein Buch mit dem Titel „Chamaeleo Chamaeleon. El camaleón común – Das Gewöhnlich­e Chamäleon – The common chamaeleon“. Es erscheint in den Sprachen Spanisch, Deutsch und Englisch und beschäftig­t sich mit den Chamäleons der Provinz Málaga. „Jürg ist ein Reptilienl­ieb- haber“, erklärt Santaolall­a Merino, „er ist auf mich zugekommen, um gemeinsam ein Buch über diese Chamäleons zu schreiben.“Mit dem Büchlein möchten die beiden über die Lebensweis­e des Chamäleons aufklären und ein Bewusstsei­n dafür schaffen, dass es respektier­t werden sollte. Der gesamte Erlös dieses Buchs kommt dem Centro de Control de la Biodiversi­dad (www. centrozoo sanitario.mala ga.eu) in Málaga zugute.

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Nur rund zehn Prozent der Chamäelon-Jungen überleben, da sie von Anfang an auf sich gestellt sind.
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Joaquín Santaolall­a Merino (o.l.) hat einige Exemplare des Gewöhnlich­en Chamäleons „Chamaeleo chamaeleon“auf der Hand und demonstrie­rt, wie sich seine Farbe in der Natur verändert. Seit 2011 konnte er in der Provinz Málaga 486 Chamäleons auswildern.
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Rechts hat sich das Chamäleon dem grünen Mantel angepasst.

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