Die Show muss weitergehen
40 Jahre Benidorm Palace – Höhen und Tiefen eines Schauspielhauses, in dem der Vorhang immer aufgeht
Der Benidorm Palace ist Vicente Climents Lebenswerk. Und die Alma Mater der Benidormer Unterhaltungsbranche hat mit ihm und in seinem Leben viel erreicht. Etwas aber erfüllt ihn mit großem Stolz. „Ich hab’ den Benidorm Palace zweimal gerettet, und – als wir ihn erst gemietet und dann gekauft haben – gerade noch verhindern können, dass ein Supermarkt draus wird. Wirklich in letzter Minute. Wenn ich mir vorstelle, dass in unserem Saal, dort wo unsere Bühne ist, Fische und Melonen ausliegen würden, wird mir ganz anders.“
Es ist ein Leben für die Nacht, voller Farben, Licht und Musik. Tagsüber kommt Vicente Climent schlicht daher. Das Büro des Entertainers wirkt im Vergleich zu den opulenten Bühnenshows des Palace geradezu ungeschminkt. Die gerahmten Auszeichnungen für seine unternehmerischen Leistungen prangen an keinem prominenten Platz, sie lagern neben dem Schreibtisch auf dem roten Teppichboden. Nur ein vergilbtes Por- trät seines acht Jahre jüngeren Bruders hat sich nicht mit ihm zur Ruhe gesetzt und ziert das sonst spartanisch eingerichtete Büro, in dem Vicente Climent mit 71 Jahren an den letzten Vorbereitungen für den 40. Geburtstag des Benidorm Palace am Mittwoch, 12. Juli, feilt und von der Notwendigkeit permanenter Innovation redet, manchmal via Festnetztelefon.
Das Jubeljahr-Spektakel „Rubí“kommt als eine prachtvolle, rote Fest-Revue mit Musik, Tanz, Akrobatik, Magie und Show auf die mehr als 300 Quadratmeter große Bühne. Über 50 Künstler folgen in dieser Spielzeit dem roten Faden, den der Pariser Chefchoreograph David Moore rund um das Motto Fiesta ausgelegt hat und inszenieren so prachtvoll wie noch nie diese Essenz des Spielhauses mit seiner eigenen und unverkennbaren Mischung aus Las-Vegas-Revue und Flamencofolklore. 40 Jahre Benidorm Palace müssen eine riesige Feier sein. Sogar ein preisgekröntes scharlachrotes Kostüm vom Karneval aus Teneriffa kommt in „Rubí“auf die Bühne – nachdem entsprechende Baumaßnahmen den notwendigen Platz für den Auftritt des Monstrums schufen. „Was den Benidorm Palace ausmacht, ist eine gute Show, ein gutes Abendessen und das zu einem vernünftigen Preis“, meint der Unternehmer.
Bis heute führt die Familie Climent den Benidorm Palace mit seinen über 100 Mitarbeitern. Das Zepter des Schauspielhauses hat Vicente Climent an Tochter Joanna weitergegeben, ohne sich ganz zurückzuziehen. Die 40-jährige Direktorin des Schauspielhauses hat sowohl hinter der Bühne als auch in der Küche das Sagen. „Ich wollte, dass etwas frischer Wind ins Haus kommt und ich mit mei-
Das Motto zum 40-jährigen Bestehen: Fiesta!
nen vielleicht alten Ideen nicht im Weg stehe“, sagt Climent.
Sohn David steckte er in den hauseigenen Zirkus. Raus kam er als einer der derzeit besten Magier Spaniens – ausgezeichnet mit dem internationalen Merlin-Preis als bester Illusionist im Jahr 2015 – und als Experte für die spektakulären Lasershows. Vicents Frau Cristina – eine Engländerin – engagiert die internationalen Künstler, vor allem die Kultbands aus den 1960er Jahren, auf die britische Touristen abfahren.
Sein legerer Umgang und seine bescheidene Art täuschen. Im Unterhaltungsgeschäft gilt Vicente Climent als Schwergewicht. Ein Kabarett wie den Benidorm Palace sucht man nicht umsonst lange in Spanien. Wenn er über sein Lebenswerk spricht, greift er zu fundierten Vergleichen mit dem Lido, dem Moulin Rouge oder dem Berliner Friedrichstadt-Palast, die er verblüffend genau kennt.
„Mir hat es immer etwas weh getan, dass öffentliche Institutionen wie die Landesregierung oder die Provinzverwaltung nie richtig erkannt haben, dass es so eine Bühne wie im Benidorm Palace in ganz Europa kaum noch gibt“, meint Climent. „Mit so einem Blick, keine Säule im Blickfeld, nichts. Unser Bühnenvorhang ist 45 Meter lang. Der FriedrichstadtPalast etwa ist ein Theater mit langen Sitzreihen. Da sitzt man nicht frei an eigenen Tischen und kann während der Vorführung aufstehen. So etwas wie hier gibt es nirgends mehr“.
Von Boney M bis Camilo Sesto
Von Camilo Sesto über Rocío Jurado bis hin zu Boney M, den Platters und den Supremes traten Künstler von Rang und Namen im Benidormer Palace auf. David Bisbal bat ihn nach seinem Auftritt um Pommes und Brathendl vom Imbissgrill, und um 5.000 Leute für Heroes del Silencio in den Saal zu bekommen, bauten sie die Bestuhlung ab. „Der berühmte Ballett-Tänzer und Choreograph Rudolf Nureyev hatte hier seinen letzten Auftritt“, sagt Climent.
Im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielhäusern präsentiert der Benidorm Palace jede Saison ein neues Programm, mit neuen Choreographien, Kostümen und oftmals neuen Licht- und Spezialeffekten. Mit dem selbst auferlegten Zwang zur Innovation trägt das Haus auch dem Tourismus von Benidorm Rechnung, 80 Prozent der Gäste sind Touristen und nur 20 Prozent Residenten. Da viele Gäste wiederkehren, will der Benidorm Palace jedes Jahr eine neue Show bieten. „Das ist kein Geschäft, um Geld zu machen. Das macht man aus Leidenschaft. So- bald du etwas mehr verdienst, investiert du das gleich in die nächste Show. In einem Hotel hängst du eine Lampe auf und die hält ein Leben lang“, sagt Vicent Climent.
1.400 Gäste fasst der Saal leicht, 600 bis 800 braucht der Palace jede Nacht, damit die Rechnung für die Familie Climent aufgehen kann. Und all diese Gäste müssen in 90 Minuten zu Abend essen. Eine große Herausforderung für Küche und Service. „Wissen Sie, ich bin der glücklichste Mensch der Welt, wenn ich den Saal einigermaßen voll habe und es keine Probleme gibt. Damit die Stimmung kippt, reicht es, dass nur zwei Leute unzufrieden sind. Deswegen sind wir in allen Bereichen auf sehr verantwortungsvolle Führungskräfte angewiesen“, meint Vicent Climent.
Mit Revue, Tanz oder Akrobatik hatte er nie so richtig was am Hut. Seine Karriere in der Unterhaltungsbranche begann Climent mit 16 Jahren als Festmusiker in Finestrat, als Organist und Sänger der Formation Puig Campana. In den 1960er Jahren traten sie als erste Musikgruppe überhaupt in den Benidormer Hotels auf, tingelten unter dem Namen Els Leaders von einem Etablissement zum anderen. „Ich war immer ein Nachtmensch, ich glaube ich hab’ tagsüber noch nie jemanden kennengelernt.“
So eröffnete er ein Tanzlokal namens Barbacoa Rancho Grande in Finestrat, machte die Urlaubsvertretung der Hausband Sonartists des Benidorm Palace und griff dann 1990 zu und übernahm das tief in einer Krise steckende Haus. „Ich wollte was im Nachtleben machen. Wenn ich gewusst hätte, wie groß das wirklich ist und was da alles dranhängt, ich hätte es nicht gemacht. Am Anfang ging es mir wirklich schlecht. Da waren 100 Angestellte, die nur darauf warteten, dass wir den Laden dicht machen. Die hatten keine Lust mehr zu arbeiten, waren ausgebrannt und verbittert“, so Climent.
Der Vorhang ging im Benidorm Palace erstmals 1977 auf. Der Unternehmer Miguel Vidal Massanet betrieb damals die legendären Konzertsäle Albany, Gallo Rojo und Gallo Blanco rund um Alicante, suchte noch einen Auftrittsort an der Küste und fand in José Soriano aus Benidorm einen Investor. „Ich habe noch die Rechnung von Julio Iglesias. Er trat an einem Freitag im Albany und am Samstag im Benidorm Palace auf, für 25.000 Peseten“, sagt Climent. An weniger glamourösen Tagen tanzten im Benidorm Palace in den ersten Jahren tropisch angehauchte Ensembles, meist gab es auch etwas Flamenco und international gefärbte Showeinlagen. Und natürlich viel nackte Haut.
Einen guten Ruf genossen weder Haus noch Publikum in diesen Anfangsjahren. „Das waren mehr aneinander gereihte Auftritte, keine Revue mit einem roten Faden, einer Geschichte“, sagte Climent. Finanziell stand es auch nicht sonderlich gut um das Haus, das namhafte Supermarktketten wegen der guten Lage nur zu gerne übernehmen wollten.
Er knickte aber nicht ein, erneuerte die Belegschaft, setzte auf Sekt und Rioja-Wein statt billigem Fusel und knüpfte die Galashow an ein Abendessen. „Heute essen 80 Prozent unserer Gäste zu Abend. Für 20 Euro mehr bekommt man ein Vier-Gänge-Menü mit Rindsfilet Plus eine Flasche Rotwein und eine Flasche Sekt“, sagt er. So traten die Topless-Auf- tritte dezent in den Hintergrund, ausgefeilte Choreographien und Licht- und Spezialeffekte sollen heute für offene Münder sorgen.
Der Systemwechsel half, schlechte Gäste fernzuhalten und die guten in den Palace zu holen. 1996 kaufte Vicente Climent 35 Prozent der Anteile des Benidorm Palace, nur um in letzter Minute einen weiteren Supermarkt ausbooten zu können. Damit zwang er indirekt auch die anderen Anteilseigner, auf seine Linie umzuschwenken oder ihm ihre Anteile zu verkaufen. „Sie hatten den Vertrag eigentlich schon fix und fertig ausgearbeitet, und ich gerade die Licht- und Tontechnik erneuert. Das konnte ich nicht zulassen“, sagt Climent.
Während all der Jahre hat der Benidorm Palace nie geschlossen. Dienstags, donnerstags, freitags und samstags geht dort der Vorhang auf, im Winter wie im Sommer, in guten wie in schlechten Zeiten. Auch an seiner siebenköpfigen Hausband rüttelt Climent nicht, ebenso wenig wie an den kostspieligen Investitionen in die neuesten Licht- und Tonanlagen, für die er – wie gerne zugibt – seit seiner Jugendzeit als Musiker große Faszination empfindet. „An der Essenz der Live-Musik halten wir fest, weil die Leute tanzen wollen und da gehört eine Band dazu. Generell aber müssen wir der Entwicklung immer voraus sein, vor allem bei den Spezialeffekten und dem Licht. Wir wollen die Ersten sein, die irgendeine Neuheit einführen“, sagt Climent.
Der Vorhang geht immer auf: Während all der Jahre hat der Benidorm Palace nie geschlossen