Gefühlswelt eines Adoptivkindes
Geschichte einer Adoption: In seinem Buch „Nuckeldecke“erzählt Rainer Wrage seine Lebensgeschichte
Marbella – lk. Vor 72 Jahren wurde der zeitweise in Marbella lebende Rainer Wrage adoptiert. Als kleiner Junge ahnte er nur, dass seine Eltern, die ihn in Hamburg aufzogen, nicht seine leiblichen Eltern sein könnten. Es war da etwas, das ihn verunsicherte, traurig stimmte, ihn denken ließ, dass er anders war. Denn er wusste nicht, woher er kam. Als er 25 Jahre alt war, hatte er es schwarz auf weiß: Er war ein Adoptivkind. Seine Gedanken und Gefühle, die ihn seit seiner Kindheit und während der Suche nach seinen Eltern begleiteten, gibt er in dem Buch „Nuckeldecke“wider. Als kleiner Junge griff er nach einer Nuckeldecke, die ihn beruhigte und Trost spendete. Seine leibliche Mutter traf er 1992 zum ersten Mal.
CSN: Wie ist die Idee zum Buch entstanden?
Rainer Wrage: Meine Frau und auch Freunde haben immer wieder insistiert, diese Geschichte aufzuschreiben, um anderen eine Hilfestellung zu geben, um ihre Adoptionsgeschichte zu bewältigen.
Ging es Ihnen denn darum, mit dem Buch eine bestimmte Botschaft zu vermitteln?
Ich wollte adoptierten Kindern vermitteln, dass man auch als Adoptivkind eine gute Chance hat, im Leben voranzukommen und etwas aus seinem Leben zu machen. Dazu ist es notwendig, die Geschichte aufzuarbeiten und sich damit abzufinden, dass man zwei Elternpaare hat. Auch den Eltern wollte ich helfen, damit sie die adoptierten Kinder und vor allem deren Gefühlsleben besser verstehen können.
Meinen Sie denn, dass Adoptivkinder anders aufwachsen und beim Start ins Leben mehr Schwierigkeiten haben als Kinder leiblicher Eltern?
Ich denke ja. Das Adoptivkind hat in einem sehr frühen Stadium alles verloren, was man verlieren kann und muss einen Weg finden, diese eigene Lebensgeschichte zu verarbeiten. Die Trennung von der Mutter ist ein dramatisches Erlebnis für ein Kind. Ich sehe ja, wie behütet mein Enkelkind bei seiner leiblichen Mutter aufwächst. Für ein Adoptivkind ist es sehr schwer, die Adoptiveltern anzuerkennen. Ich denke, dass dadurch ein großer Bruch im Leben passiert und dieses Kind als Jugendlicher oder Erwachsener große Schwierigkeiten hat, sich auf Beziehungen wirklich fest einzulassen.
Ist es ratsam, Kinder im Säuglingsalter oder lieber später zu adoptieren?
Ich denke, es ist völlig egal, wann die Kinder adoptiert werden. Sicherlich ist es schön für die annehmenden Eltern, wenn ein Kind im Säuglingsalter adoptiert wird, weil sie dann diese Säuglings- und Kleinkinderzeit miterleben. Für das Kind macht das keinen Unterschied, denn es hat diesen Bruch bereits als Baby erlebt. Dieser Bruch wird es ein Leben lang beschäftigen.
…und können die Adoptiveltern diese Lücke, die entstanden ist, jemals schließen?
Das ist sehr schwierig, denn das ist wirklich ein Prozess, der viel Kraft erfordert.
In Spanien und Deutschland ist der Prozess der Adoption eines Kindes sehr aufwendig.
Sollte dies einfacher sein? Nein, ich denke, dass es gut ist, dass es sich um einen langwierigen Prozess handelt, denn es ist wichtig, dass Eltern ausgesucht werden, deren Psyche in der Lage ist, ein Kind anzunehmen. Während der Zeit der Adoption sollte auch kontrolliert werden, ob das Kind eine Bindung aufgebaut hat und ob Ämter dabei helfen können, um ihm ein gutes Zuhause zu geben.
Kommen dafür nur die Ämter in Frage oder auch Psychologen und Beratungsstellen?
In Deutschland gibt es in jedem kleinen Ort eine Adoptionsberatungsstelle. Diese arbeiten mit Psychologen zusammen. Die psychologische Beratung ist enorm wichtig, um diesem Kind so viel wie möglich zu helfen.
Welches sind denn die psychologischen Herausforderungen an die Eltern?
Sie sollten dem Kind vermitteln, dass es eine besondere Lebensgeschichte und zwei Elternpaare hat. Das Kind sollte begreifen, dass es diese Situation akzeptieren und damit gut leben kann.
Ihren leiblichen Vater haben Sie nie kennengelernt. Hat Ihnen das nachgehangen?
Nein, für mich war der wesentliche Punkt, meine Mutter kennenzulernen, denn aus ihr bin ich letztendlich herausgekommen.
Sie schildern in dem Buch sehr persönliche Empfindungen. Ist es Ihnen schwer gefallen, diese Momente noch einmal wachzurufen?
Ich habe mehrere Jahre an diesem Buch gearbeitet, immer mal wieder einige Kapitel geschrieben und das Buch dann zur Seite gelegt. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich über dieses Thema habe sprechen und schreiben können. Während meiner Lesungen war ich oft erstaunt darüber, dass ich an einigen Stellen ins Stocken geraten bin und geweint habe, obwohl ich das Buch ja kenne, doch meine eigene Geschichte berührt mich noch immer tief.
Leonardo Verlagshaus Gmbh, <www.leonardo-verlagshaus.de>, ISBN: 978-3-9817542-0-9.