Besser in Ruhe lassen
Meeresschildkröten versuchen immer öfter, an den Stränden der Küste zu nisten – Oft werden sie belästigt und vertrieben
Murcia – sg. Schon das Bellen eines Hundes, das Blitzlicht eines Handys oder schaulustige Badegäste können Meeresschildkröten in die Flucht schlagen. Die bedrohten Tiere brauchen Ruhe und Ungestörtheit, wenn sie nachts an einem der Strände von Murcia an Land gehen und sich ein Plätzchen für die Eiablage suchen. Anfang Juli hat eine Unechte Karettschildkröte eine Bucht am Kanal Marchamalo am Mar Menor in Cartagena auserwählt, wie Mitarbeiter des Umweltamtes und Vertreter der Umweltorganisation Anse mitteilten. Doch der Versuch scheiterte. Die Schildkröte kehrte unverrichteter Dinge wieder ins Meer zurück.
Nur wenige Tage später startete sie oder eine Artgenossin, da sind sich die Experten nicht einig, einen neuen Versuch an einem Strand im Regionalpark Calblanque in Cartagena. Das Tier hatte bereits ein Loch in den Sand gegraben, wie Anse berichtete, doch dann bellte ein Hund. Zu den zwei fehlgeschlagenen Bemühungen kam ein weiterer Misserfolg in Guardamar in der Nachbarprovinz Alicante. Dennoch wird es nicht die letzte Meeresschildkröte gewesen sein, die in diesem Sommer eine Bucht am Mittelmeer als Nistplatz auswählen wird. Immer mehr Tiere kämen an die Mittelmeerküste, bestätigte der Experte für Meeresschildkröten, Adolfo Marco, gegenüber der Zeitung „La Verdad“. Ein Grund dafür sei der Klimawandel, so der Wissenschaftler, der für die Biologische Station des Forschungszentrums CSIC in Sevilla tätig ist.
Zuerst 112 anrufen
Die Wassertemperatur vor Murcia erreiche zwischen 22 und 23 Grad Celsius. An den Stränden sei es 30 bis 31 Grad warm. Gute Bedingungen zum Nisten. Doch zu oft würden die Schildkröten vom Menschen – teils aus Unwissenheit – belästigt und vertrieben, sagte Marco. Es herrsche ein Mangel an Information. Die Kampagne „Caretta a la vista“(Meeresschildkröte in Sicht) der Stiftung Biodiversidad des Umweltministeriums in Zusammenarbeit mit der privaten Universität Central de Cataluña in Barcelona (UVic) soll Abhilfe schaffen. Ziel ist es, Mitarbeiter von Behörden und die Bevölkerung über die Lebensweise und den Schutz des bedrohten Tieres aufzuklären. Ihnen zu zeigen, wie sie die Spuren der Schildkröte im Sand und die verbuddelten Nester erkennen und was zu tun ist, wenn sie ein Meerestier am Strand sehen, nämlich als Erstes den Notruf 112 wählen und die Entdeckung melden.
Wenn eine Meeresschildkröte nachts an Land geht, ist sie weder gestrandet, noch krank. Sie braucht keine Hilfe, sondern will ihre Eier ablegen, betonte Wissenschaftler Adolfo Marco. Sie soll weder angefasst noch mit Blitzlicht fotografiert oder beleuchtet werden. Wer sie beobachten möchte, sollte leise sein, sich nicht in ihr Blickfeld stellen, sondern sie vom Rücken aus betrachten. Wenn sie sich ungestört fühlt, gräbt sie mit ihren hinteren Flossen ein Loch für die Eiablage und bedeckt das Nest wieder mit Sand, bevor sie sich auf den Weg zurück ins Wasser macht.
Während der Sommermonate kehrt das Weibchen alle zwei Wochen zur Eiablage an einen Strand zurück. Ein Tier kann bis zu sieben Nester in dieser Zeit bauen, in die es jeweils 80 bis 100 Eier legt, wie der Informationsplattform der UVic zu entnehmen ist. Das mag sich viel anhören. Doch die Meeresschildkröte reproduziert sich nur alle zwei bis drei Jahre. Zudem schätzen Wissenschaftler, dass nur eine von 1.000 geschlüpften Schildkröten das Erwachsenenalter erreicht.
Die Brutzeit dauert zwei Monate. Die geschlüpften Jungen bleiben noch vier Tage unter der Erde, bevor sie nachts alle zusammen schnurstracks Richtung Meer marschieren. Sie ernähren sich von Fischen, Seeigeln und Quallen. Wenn die Tiere mit 15 bis 30 Jahren erwachsen sind, pflanzen sie sich fort. Nur die Weibchen gehen zur Eiablage an Land. Dabei versuchen sie, den Ort zu finden, an dem sie selbst ins Leben geschlüpft sind. Die Männchen verlassen das Wasser dagegen nie.
Die Meeresschildkröte erreicht ein Durchschnittsalter von 80 Jahren. Ihr Panzer kann bis zu 120 Zentimeter lang werden. Sie hinterlässt mit ihren Flossen eindeutige Spuren im Sand, mit einem Abstand zwischen 70 bis 80 Zentimetern. Die traditionellen Niststrände der Meeresschildkröte befinden sich in der Türkei, Griechenland und Zypern. Doch seit 2001 suchen sie auch spanische Strände auf. So wurde Ende Juli 2001 an einem Strand in Vera in der Provinz Almería ein Nest mit 97 Eiern entdeckt, die auf natürliche Weise ausgebrütet wurden. 41 Prozent der Jungen schlüpften.
Im September 2015 fand ein Fischer in einer Bucht in San Juan de los Terreros in Almería ein Nest mit 80 Eiern. Da die Gefahr bestand, das Nest könnte ins Meer gespült oder zerstört werden, beschlossen die Experten des Rettungszentrums für Meerestiere Equinac die Eier in der Biologischen Station des CSIC in Sevilla künstlich ausbrüten zu lassen. Nach dem Schlüpfen wurden die Jungen noch ein Jahr lang in Auffangzentren in Algeciras und Sevilla aufgezogen, bis sie mit einem Gewicht von 800 Gramm am selben Strand in die Freiheit entlassen wurden.