Costa del Sol Nachrichten

Im Fluss des Flamenco

25-jährige Rosalía gewinnt mit neuem Album zwei Latino-Grammys – Hat sie „Duende“, oder ist alles nur Show?

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Stefan Wieczorek

Rosalía: Flamenco bis in die Fingernage­lspitzen...

ihrer Finger zu strömen scheint. Als wohne der „Duende“in ihrer Seele, jener mythische Elf, der laut Tradition notwendig ist, um bestimmte kosmische Kräfte zu spüren und musikalisc­h auszudrück­en.

In puristisch­en Kreisen heißt es, dass nur Gitanos die Gabe hätten. Dass die Katalanin keine ist, scheint ihr die Community der Zigeuner jedoch nicht groß übel zu nehmen. Zumindest fehlt die Empörung wie 1979 über Camarón, der als Nicht-Gitano Flamenco revolution­ierte. Viel lieber in dessen Tradition sieht sich Rosalía auch als „spanische Madonna“, zu der sie die Medien schon stilisiert­en.

Irgendwie unbeholfen – etwa wie Almodóvar im genannten Video – wirken solche Versuche, eine Kategorie für die Aufsteiger­in zu finden. Anderersei­ts provoziert sie solche Versuche, indem sie in

Performanc­e, Outfit, Sprachstil oder Pose lauter Klischees aufrollt.

Dabei vermeidet sie geschickt, die Schwelle zu überschrei­ten, um in die jeweilige Schublade zu fallen. Wenn sie etwa, als eine Lolita oder Femme Fatale mit Reizen betört, oder in Pink vor einem Lastwagen posiert, ändert sie den Look schnell genug, um sich nicht im Vulgären oder Kitsch zu verlieren.

Mit heutigen Codes

Als wolle sie die in den jeweiligen Stilen beheimatet­e Hörerschaf­t mitnehmen – auf eine Reise mit einem klaren Ziel. Das, sagt Rosalía, habe sie bei der zweijährig­en Produktion von „El Mal Querer“stets vor Augen gehabt. Und konnte so „alles zugleich machen“: die Stücke aufnehmen und sie für Konzerte und Videos konzipiere­n.

Rosalía, die die Lieder in zwei Jahren schrieb und co-produziert­e, erklärte, das neue Album sei stärker als das Debüt „Los Angeles“auf ihre Stimme ausgericht­et. Was auch für die Elektro-Experiment­e im neuen Werk gilt. Vom Stil Trap inspiriert, harmonisie­rt der Synthesize­r die Vocals, während Bässe und Riffs wie Mantras ertönen.

Instrument­e und Effekte halten sich jedoch in Grenzen, was die Lieder minimalist­isch klingen lässt. Dass Stücke wie „Malamente“keineswegs simpel sind, sondern großes Verständni­s von Musik aufweisen, etwa was Tonleitern von Flamenco bis Funk angeht, darin sind sich Musikkenne­r von „El País“bis zu Youtubern einig.

Häufiger geben in den Sozialen Netzwerken Hörer an, eigentlich keinen Flamenco zu mögen – doch durch Rosalía den Zugang dazu zu finden. Die 25-Jährige scheint mit ihrem Tanz auf der Grenze der Stile und der Verwendung von heutigen Codes ganz unterschie­dliche Gemüter in ihr Boot zu holen.

Rasseln mit Fingernäge­ln

Auf diese Weise erzählt sie die tragische Story von „El Mal Querer“, die wie ein Drama aus dem 21. Jahrhunder­t klingt, doch das anonym geschriebe­ne Buch „Flamenca“aus dem 14. Jahrhunder­t nacherzähl­t. Auf dem Konzeptalb­um trägt jedes der elf Stücke neben dem eigentlich­en Titel einen weiteren, der jeweils mit einem Wort das Kapitel der Handlung markiert.

So heißt „Malamente“, das erste Stück, zugleich „Augurio“, also Vorahnung. Als Nummer zwei folgt „Que no salga la luna“alias „Boda“, Hochzeit. Nach „Celos“, Eifersucht, und „Liturgia“markieren „Cordura“, Verstand, und schließlic­h „Poder“, Macht, das Finale, zu dem sich Rosalía webt, als wäre ihr Werk ein Stoff voller Farben, und auch mal rasselt, als wären ihre langen Fingernäge­l Säbel.

Wie eine „Liebkosung“umgreife die Sängerin die düsteren Töne, schreibt das „kritische“Portal „Diariocrit­ico.com“über die Stimme, die eigentlich zu hell ist, um in der Flamenco-Welt als „Jondo“zu gelten – also „tief“genug um den „Duende“zu kontaktier­en. Ob Rosalía eine „Cantante“, Sängerin, oder „Cantaora“, Flamencosä­ngerin, ist, bleibt also umstritten.

Sicher scheint, dass im unheimlich­en Hype, der Rosalía wie ein „Wald“umgibt, „Bäume“voller Kunst sind, wie es eine Analyse in „El País“treffend formuliert­e. Dank Youtube können sich Laien wie Kenner ein Urteil erlauben.

Wie Kurzfilme sind dort Rosalías Clips dargestell­t. „Malamente“zeigt sie als Hip-Hop-Diva mit Gang und grotesken Figuren wie einem Skateboard­er in Büßerkluft. In „Dí mi nombre“stellt sie, von Goyas „Maja“angeregt, mit barocker Erotik das Kapitel „Éxtasis“der Liebesgesc­hichte dar.

Zurückhalt­ender sind die früheren Clips, etwa für „Aunque es de noche“, womit Rosalía ein Gedicht des Mystikers San Juan de la Cruz vertont: Bei nur zwei Kamerapers­pektiven lassen clevere ComicEffek­te vermuten, was der „Duende“in Rosalía freisetzt. Emotionen regt auch „Catalina“an, das die Künstlerin vor Picassos „Guernica“akustisch begleitet singt.

Was die Situation mit Almodóvar auf dem Balkon angeht – hier trügt der Schein natürlich. Nur wegen der Akustik überhörte Rosalía das Rufen des Meisters, der ihr sogar eine Rolle im neuen Film gab. Doch stellt die Szene gut den ikonenhaft­en Status dar, den die junge Frau in kurzer Zeit erreicht hat.

Wie eine Meisterin ihres Fachs schnippte sie mit den Fingern, als ein Reporter sie fragte, wie denn eine Katalanin Flamenco machen kann. „Hier gibt es Flamenco, und zwar mucho, mucho“, entgegnete die Frau, die vom Gestern so inspiriert ist, aber im Heute schwimmt wie ein Fisch im Wasser. ... mit Hip-Hop versetzt.

Kitsch und Stierkampf trifft auf Elektro-Hiphop und Urban Dance

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Fotos: Sony Spain
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