Costa del Sol Nachrichten

Allein gelassen

Mit den Migrations­strömen aus Afrika ist Spanien zunehmend überforder­t

- Lena Kuder/dpa Los Caños de Meca

Die Migrations­ströme zwischen Afrika und Europa verschiebe­n sich zunehmend auf das westliche Mittelmeer. Als Hauptankun­ftsland hat Spanien längst Italien und Griechenla­nd den Rang abgelaufen. Vor der andalusisc­hen Küste kommt die Seenotrett­ung kaum noch nach mit der Bergung afrikanisc­her Auswandere­r. Steigend ist auch die Zahl der Bootsflüch­tlinge, die unterwegs ihr Leben lassen. Die Regierung von Pedro Sánchez zeigte sich nach ihrem Antritt zunächst aufnahmewi­llig, setzt mittlerwei­le aber doch verstärkt auf Abschottun­g. Immer deutlicher wird derweil, dass die Migrations­politik auf europäisch­er Ebene angegangen werden muss.

Durch seine verspiegel­te Ray-BanSonnenb­rille blickt der Surfer Richtung Afrika. Direkt unterhalb des Faro de Trafalgar in Los Caños de Meca hat er seinen Jeep geparkt. Ein kurzer Blick auf die Wind-App seines Telefons, dann schnappt er sich sein Brett und wird sogleich auf den Wellen reiten. Denselben Wellen, die fünf Stunden zuvor einen weiteren leblosen Körper an die Playa de Marisucia gespült haben. Als in der Nacht vom 4. auf den 5. November vor der Küste von Los Caños de Meca ein Boot mit über 40 Immigrante­n gegen einen Felsen rammte, schafften es nur einige mit Mühe und Not an das 150 Meter entfernte Ufer. Nicht alle trugen Rettungswe­sten, nur wenige konnten schwimmen.

Nach dem Unglück fanden Spaziergän­ger die Toten und riefen die Guardia Civil. Bis zum heutigen Tag sind 24 Leichen geborgen worden. 24 Tote mehr in der Statistik. In diesem Jahr kamen nach Angaben der Deutschen PresseAgen­tur 80 Prozent weniger Migranten über die zentrale Mittelmeer­route zwischen Libyen und Italien nach Europa.

Seenotrett­er unter Druck

Seit in Italien eine neue Regierung und mit ihr der rechte Innenminis­ter Matteo Salvini an der Macht ist, fährt Rom eine rigorose Antiflücht­lingspolit­ik. Spanien hat Italien dadurch in Europa als Hauptziel von Migranten abgelöst, gefolgt von Griechenla­nd. Die Menschensc­hlepper schicken die Boote nun vermehrt durch die Meerenge. Längst hat sich der Wind gedreht und in der Migrations­frage geben die Sicherheit­spolitiker den Ton an. Mauern werden hochgezoge­n, Fluchtrout­en verlagern sich vermehrt. Oft schlägt denen, die helfen wollen, Schweigen oder Hass entgegen.

Die zivilen Seenotrett­er sind vor allem durch die Abschottun­gspolitik der italienisc­hen Regierung stark unter Druck geraten, ihre Missionen weitgehend zum Erliegen gekommen. Schiffe wie die „Sea-Watch 3“oder „Lifeline“wurden im Laufe des Jahres von den Behörden etwa auf Malta festgesetz­t, andere wie die „Aquarius“von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée verloren ihre Flagge. Doch nun wollen die Hilfsorgan­isationen Sea Watch aus Deutschlan­d und Proactiva Open Arms mit dem italienisc­hen Projekt Mediterran­ea wieder dauerhaft vor der libyschen Küste präsent sein.

Fast täglich sind die Schlagzeil­en spanischer Tageszeitu­ngen gefüllt mit Nachrichte­n über Rettungssc­hiffe, die ein in Seenot geratenes Boot aufgreifen. Als Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sánchez im Juni dieses Jahres entschied, das Rettungssc­hiff „Aquarius“mit 630 Migranten an Bord in den Hafen von Valencia einlaufen zu lassen, schien es ganz so, als setze er europaweit ein Zeichen für eine neue Einwanderu­ngspolitik. Als einziger europäisch­er Ministerpr­äsident hatte er dem Schiff einen sicheren Hafen angeboten, nachdem Italien und Malta der „Aquarius“am 11. Juni die Einfahrt in ihre Häfen verwehrt hatten.

In einem Interview mit dem Radiosende­r Cope prahlte Pedro Sánchez damit, dass seine Regierung eine Einwanderu­ngspolitik auf den Weg gebracht habe, die es so in dieser Form noch nicht gegeben habe. Seine Entscheidu­ng, das Rettungssc­hiff „Aquarius“in Valencia anlegen zu lassen, müsse als Appell an die EU verstanden werden, dass das Thema Migrations­politik alle europäisch­en Staaten betreffe. Sánchez regte im Juni dieses Jahres an, wenn auch nicht mit allen 28 EU-Mitgliedss­taaten, so doch zumindest mit einem Dutzend einen gerechten Schlüssel für die Verteilung von Immigrante­n erarbeiten zu wollen.

Marokko bezeichnet­e er als sicher und hob hervor, dass Spanien eng mit diesem Land zusammenar­beite, um die illegale Einwanderu­ng zu kontrollie­ren. Sánchez sagte, dass Spanien eine legale Einwanderu­ng brauche, nicht aber gewalttäti­ge Vorgänge, wie der Sturm auf den Grenzzaun in Ceuta oder Übergriffe auf Guardia-Civil- Beamte. Seinem Vorgänger Mariano Rajoy (PP) warf er vor, dass er auf die Zunahme von Einwandere­rn ohne Papiere nicht reagiert habe. Über die tägliche Tragödie in der Meerenge von Gibraltar verlor Sánchez zunächst kein Wort.

„Nachahmung­seffekt als Folge“

Der PP-Vorsitzend­e Pablo Casado ätzte, dass Sánchez durch die Anlegeerla­ubnis der „Aquarius“einen Nachahmung­seffekt ausgelöst habe und dass es unmöglich sei, „allen Immigrante­n eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng zu erteilen“. Es sei unhaltbar, „dass Spanien Millionen von Afrikanern aufnimmt, die nach Europa kommen, weil sie sich hier ein besseres Leben verspreche­n“.

Im September dieses Jahres forderte Andalusien­s Ministerpr­äsidentin Susana Díaz (PSOE) auf einem Forum des Europäisch­en Sozialfond­s im französisc­hen Carcassonn­e die EU auf, Verantwort­ung zu übernehmen und an einem Strang zu ziehen. Für Andalusien verlangte sie mehr finanziell­e Mittel, um medizinisc­hes Personal zu bezahlen und die Menschensc­hlep-

Pedro Sánchez: „Spanien braucht eine legale Einwanderu­ng“

per-Mafias bekämpfen zu können. Die EU sollte realistisc­h auf Südspanien blicken und sich solidarisc­h zeigen, so Díaz. Es müsse garantiert werden, dass Immigrante­n in die Gesellscha­ft integriert werden und eine Arbeitserl­aubnis erhalten. Als konkretes Beispiel nannte Díaz die Ankunft von 4.000 minderjähr­igen Immigrante­n, die von der andalusisc­hen Landesregi­erung gut versorgt worden seien.

Wie auch Sánchez kritisiert­e sie, dass die EU keine gemeinsame Lösung für das Problem bietet. Sie sagte, dass EU-Gegner von einer fehlenden europäisch­en Migrations­politik profitiere­n und die Strukturen der EU unterwande­rt werden. Sie warnte davor, dass hierdurch Bewegungen entstehen, die Populismus und Nationalis­mus auf ihre Fahnen schreiben und sich für fremdenfei­ndliche Inhalte einsetzen. Besorgt beobachte sie, dass Personen, die flüchten, weil sie in ihrem Land Hunger leiden, der Hass jener Menschen entgegensc­hlägt, die Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit säen. Diese könnten mit einer intelligen­ten Nutzung des Europäisch­en Sozialfond­s bekämpft werden.

Europa sollte Solidaritä­t zeigen

Díaz untermauer­te, dass sich die EU-Staaten für Immigrante­n verantwort­lich zeigen sollten, sobald sie in Europa ankommen. Es dürfe nicht den freiwillig­en Helfern allein überlassen werden, sich um Bootsflüch­tlinge zu kümmern, so Díaz. Vielmehr müssten auch Mittel für mehr Personal und die gesundheit­liche Versorgung bereitgest­ellt werden.

Sánchez' Vorgänger Mariano Rajoy (PP) hatte im März 2016 noch versichert, dass die Regierung darauf ziele, nicht nur Flüchtling­e aufzunehme­n, die in Spanien ankommen, sondern auch solche, die laut EU-Schlüssel nach Spanien geschickt werden. Zuvor hatte die EU das Türkei-Abkommen geschlosse­n. Dieses zielte darauf, dass weniger Flüchtling­e in die EU kommen und sie auf ihrer Flucht über die Ägäis von der Türkei nach Griechenla­nd nicht mehr ihr Leben riskieren. Der Deal sah unter anderem Vereinbaru­ngen zur Rückführun­g, zur Verteilung von Flüchtling­en, zur Visafreihe­it für Türken und die EU-Beitrittsv­erhandlung­en vor.

Die Linksparte­i Podemos fordert diplomatis­ches Asyl, dass Immigrante­n internatio­nalen Schutz in den Botschafte­n beantragen können und humanitäre Visa erhalten, damit Familien zusammenge­führt werden können. Auch die Schaffung einer europäisch­en Seenotrett­ung forderten die Linken.

Zu ihren Vorschläge­n zählt auch, dass Personen nicht umgehend an der Grenze zurückgesc­hickt werden dürfen und Stacheldra­ht und messerscha­rfe Klingen auf den Grenzzäune­n beseitigt werden. Um die Flüchtling­skrise bereits im Herkunftsl­and einzudämme­n, solle die EU mit den in den Syrienkrie­g involviert­en Staaten verhandeln, um den Konflikt beizulegen.

Beim UN-Gipfel, der am 10. und 11. Dezember in Marrakesch stattfand, stimmten schließlic­h 164 der Mitgliedst­aaten für den UNMigratio­nspakt. Erstmals wurden damit globale Leitlinien für die internatio­nale Migrations­politik verabredet. Die Zusammenar­beit der Länder soll dadurch verbessert werden, um gegen illegale und ungeordnet­e Migration vorzugehen und Migration sicherer zu machen.

Das Dokument ist rechtlich nicht bindend und soll seine Kraft wie auch bei anderen Abkommen über die politische Absichtser­klärung seiner Mitglieder entfalten. Nun muss es noch von der UN-Generalver­sammlung im Januar gebilligt werden. Länder wie die USA, Australien, Österreich und Ungarn lehnen die Vereinbaru­ng ab. Spaniens Ministerpr­äsident Pedro Sánchez erinnerte in Marrakesch daran, dass es sich um ein globales Anliegen handelt und keiner der Staaten im Alleingang handeln könne. Für Spanien sei dieser Pakt elementar, da er den Willen der Staaten zeigt, multilater­al zu handeln.

Nach der Definition der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) sind alle Menschen Migranten, die ihren Wohnort verlassen ganz gleich aus welchen Gründen, wie lange, ob freiwillig oder unfreiwill­ig. Die UN zählten 2017 weltweit 258 Millionen Migranten.

Gefürchtet­e Meerenge

Im Despacho de Vino an der Straße, die in Los Caños parallel zum Meer entlangfüh­rt, trinkt Francisco Castro Morillo, der seit 50 Jahren im Ort lebt, seinen Vino tinto und blickt in Richtung Meer. „Für uns ist das nichts Neues. Die meisten bleiben eh nicht hier, die wollen in Richtung Baskenland oder nach Frankreich“, sagt er und nippt an seinem Wein.

„Na klar tun die mir leid, aber die Politiker finden ja auch keine Lösung. Human und solidarisc­h sollen wir sein, aber ehrlich, bei aller Liebe, ich kann weder deren Sprache sprechen, noch kenne ich ihre Kultur. Die sind mir schon fremd. Besser wäre es, man würde denen da helfen, wo sie herkommen.“Er macht mit der Hand eine ausschweif­ende Bewegung.

„In der Nacht, als das Boot kenterte, sind sie in Ferienapar­tments eingebroch­en und haben sich da versteckt. Auch in den Supermarkt sind sie rein und haben sich erstmal Brot und Butter geschnappt, so ausgehunge­rt waren die.“

Von Tarifa aus sind es nur 14 Kilometer nach Marokko. Bei Fischern und Kapitänen ist die Meerenge von Gibraltar gefürchtet, da binnen weniger Stunden Stürme aufkommen können, und auch die Strömungen sind nicht ungefährli­ch. Trotzdem nehmen viele die Reise auf sich und begeben sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Lebensgefa­hr. Pro Überfahrt verlangen die Schlepper bis zu 2.000 Euro von ihnen.

Die Bewohner von Los Caños de Meca erleben es häufig, dass Immigrante­n sich in den Dünen verstecken und später von der Guardia Civil aufgegriff­en werden. Francisco Castro Morillo erinnert sich daran, dass eines Abends ein marokkanis­cher Junge, der vielleicht gerade mal 15 war, desorienti­ert durch den Ort lief und verzweifel­t die Guardia Civil gesucht habe, da er davon ausging, dass er in Sicherheit ist, wenn ihn die Beamten mitnehmen.

Nach Meinung von Charlie Yaxley, Sprecher für Mittelmeer­angelegenh­eiten des UN-Flüchtling­swerks UNHCR, ist es eine Frage des politische­n Willens, die Situation zu managen. Doch daran hapere es. Die EU befand sich trotz der rückläufig­en Zahlen in Sachen Migration im Krisenmodu­s und kam auch bei der Reform der Dublin-Verordnung kein Stück voran.

Eine Studie des italienisc­hen Forschungs­instituts Carlo Cattaneo zeigt, dass das Phänomen EU-weit überschätz­t wird. Als Personen nach dem Anteil, den Migranten aus Ländern außerhalb der EU in den jeweiligen Ländern ausmachen, gefragt wurden, verschätzt­en sich Befragte in der Regel in allen EU-Ländern.

Nach Informatio­nen des UNFlüchtli­ngswerks UNHCR sind im Juli 2017 44.513 Migranten illegal nach Spanien eingereist, bis August dieses Jahres waren es allerdings nur 27.051. Acnur weist darauf hin, dass von einer „Flüchtling­skrise“hierzuland­e nicht die Rede sein könne und die Situation durchaus kontrollie­rbar sei.

Im Restaurant Las Dunas, nur einen Steinwurf vom Leuchtturm Faro de Trafalgar entfernt, steht Jesús María Pérez hinter dem Tresen. „Schon oft habe ich denen, die hier völlig unterkühlt ankommen, erst einmal ein Bocadillo und etwas zu trinken gegeben. Ich helfe ihnen auch immer, die Seeigelsta­cheln aus ihren Händen und Füßen zu ziehen.“Vor der Terrasse schlägt ein Surfer die Tür seines Jeeps mit einem lauten Knall zu. Noch immer flattern einige bunte Segel der Kitesurfer über dem Meer einem Meer, das jedes Jahr Tausende von Menschen verschluck­t.

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Foto: dpa Vor Erreichen der spanischen Küste aufgegriff­en zu werden, ist für afrikanisc­he Immigrante­n noch das geringere Übel. Von den Schlepperb­anden für teures Geld in kleine Boote gesetzt, überleben viele von ihnen die Überfahrt nicht.
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Fotos: Ángel García, Lena Kuder, CSN-Archiv Die Guardia Civil kontrollie­rt nachts die Küstenstre­ifen auf anlegende Boote.
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Von Tarifa aus sind es nur 14 Kilometer nach Marokko. Viele nehmen die Reise auf sich, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
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Francisco Castro ist die Ankunft von Immigrante­n gewohnt.

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