Die Erde des Salzes
Die Salinen in Santa Pola, ihre Vögel, Forscher und Geschmäcker
Eine Tüte mit weißem Inhalt im Koffer am Flughafen von Alicante muss nichts Kriminelles bedeuten. Es kann auch ein Gourmetprodukt sein, das in der Heimat unter dem Weihnachtsbaum landen soll: „Espuma de Sal“, Salzschaum, heißt der Stoff, mit dem die Fabrik
Bras del Port dieses Jahr Spaniens Sterneköche entzückte.
Dass Salz in dieser Form überhaupt entstand, war Zufall. Als das Labor des Betriebs auf den Salinen in Santa Pola ein anderes Speiseprodukt erforschte, kristallisierte sich ein Salz heraus, das in seiner Struktur und im Geschmack zart war wie keines zuvor. Nicht ganz wie ein Schaum,
doch genug für den danach klingenden Namen.
Die Kampagne fürs neue Starprodukt der Sterneküche Spaniens war 2018 für Bras del Port nicht nur ein erneuter Höhepunkt des 118-jährigen Bestehens – sondern auch ein Meilenstein und die Festigung einer weiteren Neuausrichtung. Als der Firmengründer, Manuel González-Carbajal y Pire aus Asturien, 1900 das Gebiet in den Salinen kaufte, war das dort angebaute Salz vor allem als Konservierungsstoff bekannt. Wie lange schon, lassen die Ruinen der römischen Salzanlage vermuten, die derzeit am Palmenhain von Santa Pola erforscht werden. Doch wie das Museo de la Sal auf der Nordseite der Salinen erzählt, gewann das Gebiet, auch als es lange noch nicht Portus Ilicitanus hieß, Salz zum Bewahren von Lebensmitteln.
Die Phönizier entwickelten den „Salazón“– gepökelter Fisch, dann auch Fleisch und Gemüse –, den sich nach den Römern Westgoten, Araber und Christen schmecken ließen. Die Bedeutung Santa Polas als Land des Salzes zeigt nicht zuletzt die Playa Tamarit: Über die Mole, auf der Paare heute romantische Fotos machen, luden Anfang des 20. Jahrhunderts Arbeiter Salz auf Schleppboote wie das, dessen Reste heute auf dem Strand liegen.
In Sichtweite sind die weißen Salzberge der Fabrik, die dafür garantieren, dass die Costa Blanca an Weihnachten zumindest an einem Fleck weiß ist. Die zwei Bergkämme mit den gleichmäßig aufgestreuten Gipfeln beeindrucken gerade an sonnigen Tagen so sehr, dass manch Autofahrer das Einfahrtverbotsschild übersieht, wenn er von der Nationalstraße abbiegt, um einen Selfie in der vermeintlichen Antarktis zu schießen.
Verlängerter Arm des Meeres
„Auch mit Benutzern von Drohnen haben wir unsere liebe Not“, verrät Teresa Ferrández, die der CBN an einem regnerischen Tag die Salinenfabrik zeigt. Das Problem der unerlaubten Besucher sei nicht einmal, dass es sich bei dem Gelände um ein Privatgrundstück handle.
Sondern vielmehr, da Bras del Port auch das Herz des Natur-
parks Salinas de Santa Pola sei und dazu beitrage, dass sich unzählige Vogelarten, Enten oder Flamingos, hier wohlfühlten. „Drohnen stören die Tiere sehr“, klagt die Chefin des Bereichs Marketing, zu deren Aufgaben der regelmäßige Austausch mit dem Naturpark zählt.
Wirtschaft und Biologie arbeiten in dem Park, der sich laut eines Clips als „Verlängerung des Meeres“versteht, eng zusammen wie sonst selten. Die Harmonie von Mensch, Tier und Erde im „Bras“– Valenciano für „Arm“– bringt immer wieder Früchte hervor. Wobei das Salz und seine Wirkungsweisen stets die Hauptrolle spielen.
Mitte des 20. Jahrhunderts etwa, als die Technik das Salz in der Konservierung von Lebensmitteln herabsetzte. „Der Kühlschrank war unsere bis dato größte Herausforderung“, erzählt Ferrández. Doch mit „Demut, Treue und Innovation“, Prinzipien des Familienbetriebs, hielt sich Bras del Port über Wasser, indem eine weitere hinzukam: „Exzellenz“. Dank Qualität in allen Phasen der Herstellung erhielt die Salzfirma 1999 als erste in Europa das Zertifikat ISO 9001.
Mit der Abteilung I+D+i ging die Fabrik neue Wege. Heute spielt das Forscherteam unter den 75 Angestellten von Bras del Port eine Hauptrolle. Zwar ist das Labor in einem historischen Gebäude untergebracht, lässt aber mit hochmoderner Technik neue Früchte aus den Salinen sprießen wie den derzeit so gefeierten Salzschaum.
Länger als die „Espuma“gibt es die „Escamas de la Sal“, die auf Deutsch übersetzt weniger elegant „Salzschuppen“heißen, wobei der Name das Produkt mit der Haut von Fischen vergleicht: Dünne Plättchen in vier Farben sortiert die Angestellte von Bras del Port nun aus den Boxen, und reicht sie uns nach und nach, wobei die kleinen Kristalle sich im Mund auflösend kleine Salinen auf der Zunge bilden. Der zarte Geschmack tröstet über Wind und Regen hinweg, der uns beim Hinausgehen empfängt.
Anruf beim Biologen
„Wegen des Wetters sind die Becken, in denen das Salz gedeiht, heute bläulich gefärbt“, erklärt Ferrández. Ein Zehntel der 1.570Hektar-Fläche nehmen die eigentlich rosafarbenen Becken ein, in denen die finale Phase der Gewinnung des Salzes vonstatten geht.
Dort heraus gelöffelt, gelangt es übers Band, das quer über die N-332 läuft, zum gewaltigen Salzstreuer, der schon seit den 1940er Jahren mit ausgebreiteten Armen vor den weißen Bergkämmen steht wie ein riesiger Moses vor einem geteilten Salzmeer. Überraschend delikat und gleichförmig verteilt die Maschine dann rechts und links bis zu 140.000 Tonnen, die die Ernte jeweils im Sommer hervorbringt.
Viel Stoff, der dafür sorgt, dass sich an diesem Fleck der Costa Blanca soviel Leben tummelt und mischt. Während wir an einem Beckenrand waten, machen sich die Vögel dezent davon. Einer bleibt jedoch liegen, scheint zu brüten. Eine werdende Mutter? Wohl kaum – im Spätherbst.
Ferrández wählt die Nummer des Naturparks, dessen Expoerten sich um das offenbar kranke Tier kümmern sollen. Der Vogel wäre aufgeschmissen, wenn nicht die Frau von der Fabrik da wäre. Und auch Weihnachten würde wohl in Zucker untergehen – wenn nicht zumindest eine zarte Prise Salz auf der Erde unter dem Baum landen würde.