„Mein Herz gehört Alcoy“
Musiklegende Camilo Sesto bekommt Straße in seinem Geburtsort und bringt letztes Album auf den Markt
Vor einigen Wochen brach eine Massenhysterie unter unzähligen Fans aus, als Camilo Sesto die Bühne betrat. Diesmal allerdings nicht in einem Konzertsaal in Madrid, Buenos Aires oder gar New York, sondern in seinem Geburtsort Alcoy. Dort wurde jetzt eine Straße nach dem 72-jährigen Schlagerstar benannt, nachdem ihm dort bereits vor zwei Jahren der Ehrenbürgertitel verliehen worden war.
„Camilo, aquí tienes tu calle“, „... hier hast du deine Straße“, sagte Bürgermeister Antonio Francés feierlich, während der sichtlich ergriffene Sänger das Tuch lüftete, mit dem das Straßenschild „Alameda Camilo Sesto“bis zur Zeremonie verdeckt gehalten worden war. Der Popstar kämpfte mit den Tränen und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken, als er auf Valenciano sagte: „Mein Herz gehört Alcoy. Einen Ort wie diesen gibt es nur einmal.“Er habe seinem Geburtsort viel zu verdanken, rief Sesto in das kreischende Publikum. 20 Jahre habe er darauf gewartet, dass in dem Ort, in dem er seine Jugend
„Vivir así es morir de amor“ist der bekannteste Titel von Camilo Sesto
verbracht habe, eine Straße nach ihm benannt wird. Und lachend fügte der Alcoyano hinzu: „Es macht mich froh, dass mir diese ganz besondere Ehre noch zu Lebzeiten zuteil geworden ist.“
Der Auftritt in Alcoy war einer der selten gewordenen Auftritte, in denen der Schmusesänger, dem in den 1980er Jahren Millionen Frauenherzen auf der ganzen Welt entgegenschlugen, und der sich auch heute noch einer großen Fangemeinde gewiss sein kann. Es bedarf nur der zwei gesungenen Worte „Vivir así...“(„So zu leben“), damit Spanier aller Altersgruppen die Textzeile mit „...es morir de amor“(„ist vor Liebe zu sterben“) zu Ende trällern. Dieser 1978 produzierte Song ist bis heute wohl der bekannteste des international gefeierten Stars, der bereits drei Jahre zuvor mit der spanischen Vertonung von „Jesus Christ Superstar“für Furore sorgte.
Besessen von der Idee, die Rockoper in Madrid aufzuführen, finanzierte der zu dieser Zeit schon sehr erfolgreiche Künstler 1975 alleine, und machte sich damit in dem erzkonservativen Spanien nicht nur Freunde. Die Darstellung eines sehr modernen Jesus, verkör-
pert von Camilo Sesto, kam bei der katholischen Kirche gar nicht gut an. Während der Film im Originalton und mit spanischen Untertiteln, die den Inhalt zum Teil nicht richtig wiedergaben, schon längst im Kino Palafox in Madrid gezeigt wurde, gab es lange Zeit keine Genehmigung für die Aufführung der Rockoper.
Als die Darbietung dann schließlich doch überraschend erlaubt wurde, gab es kein Halten mehr. Selbst wiederholte Bombendrohungen konnten den frappierenden Erfolg von Jesucristo Superstar, bei dem es sich um die überhaupt erste Darbietung eines Musicals in Spanien handelte, nicht bremsen.
Vier Monate lang waren die Aufführungen mit Camilo Sesto in der Hauptrolle Abend für Abend bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das Publikum zeigte seine Begeisterung mit nicht enden wollenden Applausstürmen und Standing Ovations. Lloyd Webber lobte die Produktion als die mit Abstand beste unter den unzähligen Kopien seines Originals, die zu diesem Zeitpunkt bereits weltweit aufgeführt worden waren.
Letztes Album
Diese Erfolgsstürme begleiten den sehr zurückgezogen lebenden Weltstar, der seit einer Nierentransplantation 2001 immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, seit langem nicht mehr. Am 20. November gab Camilo Sesto seinen endgültigen Abschied aus dem Musikgeschäft bekannt. In Madrid präsentierte der Künstler, den man bis dahin zwei Jahre lang nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen hatte, sein neues und laut Sestos Management letztes Album „Camilo Sinfónico“.
Ob es dem Schlagerstar wirklich ernst damit ist, sich ganz aus dem Showgeschäft zurückzuziehen, wird in Musikerkreisen jedoch in Frage gestellt. Hatte es doch bereits 2008 eine drei Jahre währende und 2015 eine weitere Abschiedstournee des Künstlers gegeben. Danach gab es sporadische Auftritte in Argentinien, Chile, Peru, Kolumbien, Puerto Rico, Mexiko sowie in den USA, wo Sesto zeitweise lebte.
Das möglicherweise doch noch nicht allerletztes Album, das in der Delux-Version einen 70-minütigen Dokumentarfilm über den Popstar enthält, nahm der Künstler mit dem spanischen Radio- und Fernseh-Orchester auf. Auf dem „krönenden Werk“sind außer Camilo Sesto die Sängerinnen Marta Sánchez, Pastora Soler, Ruth Lorenzo und Mónica Naranjo zu hören. Mit ihnen nahm Sesto einige seiner großen Erfolge im Duett neu auf.
Die Idee zu dem Album sei ihm gekommen, nachdem Mónica Naranjo vor zwei Jahren sein Lied „Vivir así es morir de amor“unter Begleitung des Sinfonieorchesters bei der 60. Jubiläumsfeier des spanischen Fernsehens TVE gesungen habe, verriet Sesto bei der Präsentation des Abschieds-Albums. Und geheimnisvoll fügte er hinzu: „Auf dass die Musik weiterhin unsere einzige Welt sein möge.“
Keine Frage. Für Camilo Sesto bedeutet Musik die Welt. Der Künstler wurde nicht nur in Spanien, sondern auch in den USA und in vielen südamerikanischen Ländern gefeiert. Bei einem Auftritt im Madison Square Garden in New York, wo der Künstler vor 45.000 Zuhörern sang, wurde er als der „spanische Sinatra“angekündigt.
2011 erhielt er, der im Laufe seiner Karriere mehr als 40 Alben aufnahm, 100 Millionen Platten verkaufte und mehr als 600 Musiktitel komponierte, in Las Vegas die Medaille „Máximo Orgullo Hispano“(„Größter hispanischer Stolz“). 52 seiner Songs kamen in den Hitlisten auf Platz eins. Damit ist Sesto der spanische Künstler mit der größten Zahl an Nummer-Eins-Titeln und schlägt Stars wie Julio Iglesias, Alejandro Sanz und Nino Bravo.
Kein Senkrechtstarter
Camilo Sesto wird am 16. September 1946 als Camilo Blanes in Alcoy geboren. In den 1960er Jahren tingelt er als Mitglied der Coverband Los Dayson durch die Lande, die vornehmlich Stücke der Beatles und Bee Gees interpretiert. Nach einem Konzert mit der Band 1965 in Madrid kehrt der Musiker nicht mehr nach Alcoy zurück.
Die folgenden Jahre schlägt er sich hauptsächlich als Backgroundsänger durch. Als Camilo Sexto (mit „x“) beginnt der Valenciano 1970 seine Solo-Karriere. Es erscheint die erste Single mit den Titeln „Llegará el verano“und „Sin dirección“. Es folgen verschiedene Erfolge bei Gesangswettbewerben und 1971 der erste Auftritt als Camilo Sesto im Spanischen Fernsehen. Seine erste Goldene Platte wird dem Künstler 1972 in Buenos Aires überreicht. Von da an knüpft der Künstler einen Erfolg an den anderen, es entstehen Titel wie „Amor amar“, „Fresa Salvaje“, „Como cada noche“und „To be a man“. Dieser Titel wird als „bester ausländischer Song“für den Grammy nominiert.
Camilo Sesto tritt auf dem Höhepunkt seiner Karriere auch in Deutschland auf. 1974 interpretiert er dort unter anderem den Schlager „Rote Rosen im Haar“, den man sich auf YouTube anhören kann.