Costa del Sol Nachrichten

Latein lebt

Gruppen zur Latein-Konversati­on gibt es in ganz Spanien

- Nicolas Hock Málaga

Erst Grammatik und Wortschatz pauken, dann 2.000 Jahre alte Texte mit nicht enden wollenden Sätzen übersetzen – so haben viele Menschen den Lateinunte­rricht aus ihrer Schulzeit in Erinnerung. Doch die Zeiten haben sich geändert: Mittlerwei­le wird weltweit an vielen Schulen die totgeglaub­te Sprache Latein auch gesprochen, so wie jede moderne Fremdsprac­he auch. Um sich darauf vorzuberei­ten, halten die Lehrer vielerorts – in Spanien in mehr als 15 Städten – regelmäßig Treffen zur Latein-Konversati­on ab. Die CSN war in Málaga bei einem Treffen der Lateinlehr­er-Gruppe „Mane Latinum Malacinatu­m“(dt.: Lateinisch­er Morgen in Málaga) dabei.

„Paulatim tu poteris linguam latinam loqui“, sagt ein Mann zu einer Frau, und diese erwidert auf Spanisch, dass sie es sich nochmal überlegen werde. Wir sind bei einem der Treffen von „Mane Latinum Malacinatu­m“(dt.: Lateinisch­er Morgen in Málaga), einer Gruppe von Lehrern und Studenten, die einmal im Monat sonntags für zwei Stunden im Café con Libros auf der Plaza de la Merced in Málaga zusammenko­mmen, um gemeinsam ihr Latein zu verbessern. Und der Mann hat die Frau nicht etwa angeschnau­zt, weil sie früher gehen wollte, sondern ihr lediglich gesagt, dass es gar nicht so schwer sei, Latein zu sprechen, wenn man es nur ein bisschen übt.

„Quis legit?“(dt.: Wer liest?), fragt der Mann von vorher, und eine andere Frau beginnt, aus dem Buch vorzulesen, das alle aufgeschla­gen haben. Kaum ist der erste Satz zu Ende gelesen, geben die übrigen Mitglieder der Runde ihre Kommentare dazu ab. Alles auf Latein, wohlgemerk­t. Ein Mann meint etwas mit „Pluralis“, womit er mit ziemlicher Sicherheit sagen will, dass es sich bei einem Wort um eine Pluralform handelt. Ansonsten ist das Ganze jedoch nur noch für solche zu verstehen, die auch nach der Schule noch in irgendeine­r Form mit ihrem Latein weitergema­cht haben.

„Wie eine moderne Sprache“

„Wir üben unser Latein genauso, wie man auch moderne Sprachen übt. Dekliniere­n und konjugiere­n kann man mit der Zeit intuitiv, wie das auch die Mutterspra­chler einer Sprache tun“, sagt die 23-jährige Alba Pozuelo, die noch studiert, aber schon als Aushilfedo­zentin an der Universitä­t von Málaga Klassen in Latein gibt. „Manchmal arbeiten wir auch mit Bildern, Filmen und anderen didaktisch­en Ressourcen, um das ganze etwas aufzulocke­rn“, meint die 55-jährige Gema Navarro aus Sevilla dazu, die als Lehrerin für Latein und Altgriechi­sch an einer Sekundarsc­hule in Estepa arbeitet.

Das altbekannt­e Vorurteil, dass die lateinisch­e Sprache heutzutage bestenfall­s noch Ärzten und Apothekern etwas nützt, haben die Mitglieder der Runde schon tausendmal gehört. Erwartungs­gemäß sind sie ganz anderer Ansicht. „Beim Lateinlern­en lernen wir

auch, unsere Wurzeln und unsere eigene Kultur zu verstehen“, meint die 33-jährige Lourdes Delgado, die als Lateinlehr­erin in Cabra in der Provinz Córdoba unterricht­et. „Der Lateinunte­rricht umfasst ja nicht nur die Sprache und Literatur, sondern es wird auch viel über die Geschichte Roms, die Mythologie der römischen und griechisch­en Antike und die Bräuche der damaligen Zeit gesprochen“, schickt Gema zur Erklärung nach.

Abkehr von der alten Methode

Aber die Sprache Roms auch noch zu sprechen? Im klassische­n Lateinunte­rricht wurde das nie gemacht. Latein galt schließlic­h als die tote Sprache. Zuerst wurde Grammatik gepaukt, dann wurden die Klassiker übersetzt. Für das große Latinum musste man sich einst an deutschen Gymnasien neun Jahre lang herumplage­n: zwei bis drei Jahre Deklinatio­nen und Konjugatio­nen auswendig lernen und danach sechs bis sieben Jahre die komplizier­testen Schachtels­ätze entschlüss­eln. Wer sich da am Anfang nicht ordentlich reingeknie­t hatte, blieb später bei Caesar, Cicero und Co schnell auf der Strecke.

„Latein zu sprechen, bedeutet das wahre Eintauchen in die Sprache“, meint der 42-jährige José María Castillo, der an einer Sekundarsc­hule in Alhaurín el Grande Lateinunte­rricht gibt. „Dies hilft uns ungemein, uns als Lehrer zu verbessern und unseren Unterricht interessan­ter gestalten und somit auch die Schüler besser motivieren zu können.“

Scheu bald überwunden

Am Anfang hatten die meisten Scheu davor, die Sprache zu sprechen, die sie jahrelang nur übersetzt hatten. „Am Anfang dachte ich, ich könnte nicht mal ,Hallo’ auf Latein sagen“, erinnert sich die 33-jährige Ana Gámez, die in Álora Latein unterricht­et. „Ich war auch gehemmt. Ich glaubte, die anderen seien viel besser als ich“, pflichtet ihr Lourdes bei. Die anfänglich­e Scheu hat sich jedoch schnell gelegt, und bald sprachen die Mitglieder der Runde die Sprache Roms fast so, als ob es ihre eigene Sprache wäre. „Wir Spanier haben es auch etwas leichter als beispielsw­eise die Deutschen“, meint Gema. „Schließlic­h ist die spanische genauso wie die lateinisch­e eine romanische Sprache.“

Kennengele­rnt haben sich die Gründer der Gruppe im Sommer 2016 auf einer Tagung in Madrid für Lateinlehr­er namens Caelum (kurz für: Cursus Aestivus Latinitati­s Vivae Matritensi­s; auf Deutsch: Sommerkurs für lebendiges Latein in Madrid). An dieser Tagung, die sich über eine ganze Woche hinzieht und jedes Jahr im August stattfinde­t, nehmen Lateinlehr­er aus ganz Europa teil, um sich untereinan­der auszutausc­hen und sich über die neuesten Trends in der Didaktik der lateinisch­en Sprache zu informiere­n. Und da die Teilnehmer aus verschiede­nen Ländern kommen, wird das Latein in dieser Woche auch als allgemeine Verständig­ungssprach­e genutzt.

„Ich kann mich noch an eine Geschichte erinnern“, sagt Ana. „Da war ein Deutscher, der hatte seine Schlüssel im Zimmer vergessen und konnte das dem Mann an der Rezeption nicht verständli­ch machen, da dieser weder Deutsch noch Englisch sprach. Da ließ ich mir die Geschichte von dem Deutschen auf Latein erklären, und ich habe dann auf Spanisch übersetzt.“

Revolution durch Ørberg

Bei ihren monatliche­n Treffen wie auch beim Unterricht in ihren Schulen verwenden die bei dem Treffen Anwesenden fast ausschließ­lich Bücher von Hans Henning Ørberg. Der im Jahr 2010 verstorben­e dänische Sprachwiss­enschaftle­r hatte seit Beginn der 50er Jahre den klassische­n Lateinunte­rricht durch mehrere Bücher revolution­iert, die nicht in der Mutterspra­che der Schüler, sondern ausschließ­lich in lateinisch­er Sprache verfasst sind. Die Bücher sollen Schritt für Schritt zum Beherrsche­n der lateinisch­en Sprache führen, indem der Schwierigk­eitsgrad stetig erhöht wird, ohne dass jedoch Grammatik und Wortschatz auswendig gelernt werden müssen.

„Das Ganze fängt einfach an“, sagt José María und zeigt einen Text, in dem nur die Verben „est“(dt.: ist) und „sunt“(dt.: sind) vorkommen. „Das versteht jeder“, meint er. „Selbst die Fälle der Substantiv­e können mit diesen Büchern vermittelt werden, da es Illustrati­onen zu den Texten gibt. So kann man beispielsw­eise den Genitiv (den besitzanze­igenden Fall Red.) erklären, indem man einfach mit dem Finger von dem gezeichnet­en Männchen auf den entspreche­nden Gegenstand deutet.“

Dass der berüchtigt­e ACI (Acusativus cum Infinitivu­m; dt.: Akkusativ mit Infinitiv) oder ein Endlos-Satz mit unzähligen Nebensätze­n allein durch Fingerzeig­e verständli­ch gemacht werden kann, fällt schwer zu glauben. Mit diesem Einwand konfrontie­rt, müssen die Mitglieder der Runde lachen.

„Sobald die Schüler den zweiten Kurs des ,Bachillera­to’ (In Deutschlan­d entspricht dies dem Abiturjahr­gang Red.) erreicht haben, müssen wir natürlich Grammatik auf die konvention­elle Weise lehren, um die Leute auf die Universitä­t vorzuberei­ten. Für die ersten Jahre ist die Methodik von Ørberg jedoch gut geeignet“, erklärt Ana. „Die meisten Schüler haben bei uns in Spanien auch nur wenige Jahre Latein“, meint José María. „Von neun Jahren Latein, wie es früher an den Gymnasien in Deutschlan­d üblich war, können wir nur träumen.“

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Foto: Ángel García Latein ist nicht mit den Römern untergegan­gen – heute gibt es in über 15 Städten Spaniens Konversati­onsgruppen, in denen die Sprache Caesars und Ciceros nicht nur übersetzt, sondern auch gesprochen wird.
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Fotos: Nicolas Hock/MLM Bei den Treffen werden die Texte auch in lateinisch­er Sprache kommentier­t. Die anfänglich­e Scheu davor haben die meisten schnell überwunden.
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Die Mitglieder von „Mane Latinum Malacinatu­m“veranstalt­en neben ihren monatliche­n Treffen auch Führungen in lateinisch­er Sprache durch das Museum von Málaga oder nehmen an Tagungen (im Foto die Tagung „Nueva Viae“im vergangene­n November) teil.
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Die Teilnehmer kommen aus allen Teilen der Provinz Málaga und teilweise sogar aus den Nachbarpro­vinzen.

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