Krebsfrei – und dann?
Tumortherapien haben viele Langzeitfolgen – Zum Weltkrebstag
Berlin/Mainz – dpa. In den Videos von Blogger Jules (26) dreht sich alles um Krebs. Wie fing die Krankheit an? Was isst man als Patient? Hilft Cannabis gegen Krebs? Wann wachsen mir wieder Haare? So lauten die Titel der Videos auf seinem YouTubeKanal „Chemoblog“, der sich besonders an andere Betroffene und Angehörige richtet. Der Mainzer ist einer von zahlreichen Bloggern, die ihre Krankheitsgeschichte mit der Öffentlichkeit teilen. Kürzlich lädt er wieder ein Video hoch: Er ist jetzt krebsfrei und fragt, wie es jetzt weitergeht.
Mit dieser Frage ist Jules nicht allein. Gesund fühlten sich ehemalige Krebspatienten nach ihrer Erfahrung nicht, sagt die Sprecherin der Organisation Frauenselbsthilfe nach Krebs, Caroline Mohr, anlässlich des Weltkrebstags am vergangenen Montag. Die Gruppe hat sich vor 40 Jahren gegründet.
Ein zweischneidiges Schwert
Bei der Organisation kommen Krebspatientinnen – und seit einigen Jahren auch männliche Patienten – deutschlandweit in über 300 Gruppen zusammen, um sich über ihre Erkrankung auszutauschen. Auch wenn ein Viertel der Mitglieder als krebsfrei gelte, berichteten viele über Spätfolgen: Sie seien weniger leistungsfähig, klagten über Schwindel, Erschöpfung und Empfindungsstörungen in Armen und Beinen, schildert Mohr.
Die Onkologin Georgia Schilling kennt diese Symptome bei Krebspatienten zur Genüge. Die Oberärztin, die an der Asklepios Klinik Altona in Hamburg auch am Tumorzentrum arbeitet, stimmen die Fortschritte in der Krebstherapie erst einmal optimistisch. Trotzdem seien sie ein zweischneidiges Schwert. „Wir erkaufen uns den Erfolg mit Nebenwirkungen“, sagt sie. Wenn Chemo-, Immuntherapie und Bestrahlung kombiniert würden, komme am Ende ein Cocktail aus Nebenwirkungen zusammen, die die Patienten auch nach der Krebserkrankung nicht loswürden und einschränkten.
Zum Beispiel im Arbeitsalltag: Zwar stünden 60 Prozent der an Krebs erkrankten Menschen nach durchschnittlich 150 Tagen Therapiepause wieder im Berufsleben. „Man weiß aber, dass sehr viele Patienten ihren Job wieder aufgeben, weil sie es eben nicht schaffen“, sagt Schilling.
Blogger Jules ist es langsam angegangen. Ende 2018 hatte er die letzte Chemotherapie. Der selbstständige Kameramann arbeitet wieder regelmäßig, wenn auch deutlich weniger als vor dem Krebs. Von Spätfolgen spürt er nach eigenen Angaben nichts – außer der Angst, dass sie kommen könnten.
Besonders stark treffen Nebenwirkungen Kinder. „Je jünger der Mensch, desto sensibler zum Beispiel gegenüber Bestrahlung“, sagt Peter Kaatsch, Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters an der Universitätsmedizin Mainz. Die Zahlen des Registers stimmen auf den ersten Blick positiv: Ein Großteil der an Krebs erkrankten Kinder wird demnach mittlerweile geheilt, zehn Jahre nach der Therapie leben noch 83 Prozent der Kinder.
„Am Deutschen Kinderkrebsregister sind etwa 30.000 dieser Kinder bekannt“, sagt Kaatsch. Viele der Patienten haben Spätfolgen durch die Therapie: Kaatsch berichtet von herzschädigenden Medikamenten gegen Leukämie, die bei geheilten Patienten im jungen Erwachsenenalter sogar eine Herztransplantation nötig machten.