Für die EU zählt jede Stimme
Wähler erkennen laut Umfragen die Vorteile der Gemeinschaft an – Alles hängt von Beteiligung ab
Madrid – ck. Gerade bei jungen Menschen herrsche Unwissen über die EU, klagen Fachleute. Nicht einmal Skepsis oder Kritik, sondern Desinteresse sieht die ehemalige Sprachlehrerin aus Marokko, Zohra Merzougui, und verteilt Flyer auf Madrids Puerta del Sol, um die Fußgänger zur Wahl am 26. Mai zu animieren. Bei der EUWahl 2014 gaben 43,8 Prozent der wahlberechtigten Spanier ihre Stimme ab, unter den 18- bis 24Jährigen waren es nur 27 Prozent.
Spanien stellt 54 der 751 Europa-Abgeordneten. Obwohl das EU-Parlament klar von den konservativen Volksparteien bestimmt ist, rechnen die Umfragen für die spanischen Abgeordneten mit sozialistischer Mehrheit. Spanien galt lange als Verteidiger der EU. Der Übergang von der Diktatur in eine Demokratie wurde durch die Aufwertung der internationalen Rolle gestärkt. Das Land hat großzügig Gelder erhalten, um Infrastrukturen auszubauen und die Wirtschaft zu modernisieren. Inzwischen ist Spaniens Einfluss zurückhaltend, die Skepsis nimmt zu.
Die Sparmaßnahmen nach der Krise werden der EU zugeschoben. Richtig ist, dass die soziale Ungleichheit wächst. Armer Süden, reicher Norden. Aber in den vergangenen fünf Jahren sind noch einmal 40 Milliarden Euro in Strukturmaßnahmen geflossen. Von Sozialwohnungen in Navarra bis zu umweltschonenden Bussen in Palma und medizinischer Technologie landesweit. Richtig ist, dass die Umsetzung der Reformen zu langsam vor sich geht. Das stört viele, aber ohne EU wäre es unmöglich, Schritte gegen Plastikmüll oder CO2-Ausstoß auch nur im Ansatz zu koordinieren.
Gescheitert ist die Union bei der Flüchtlingspolitik. Das Mittelmeer als Friedhof ist für den baskischen Philosophieprofessor Daniel Innerarity das schlimmste Bild der vergangenen Jahre. Da hilft es nicht, dass die EU mit über 74 Milliarden Euro für den Kampf gegen Armut, für Umweltschutz und wirtschaftliche Projekte der weltweit größte Geber bei Entwicklungszusammenarbeit ist. „Die EU ist ein sehr schwieriges politisches Experiment, aber nur auf europäischer Ebene ist es möglich, die großen Technologieunternehmen zu regulieren“, steht für Innerarity fest. Spanien allein würde kaum etwas ausrichten können. Auch die Zeitung „El Mundo“kommentierte das EU-Urteil gegen das Bankenkartell kürzlich in diese Richtung: „Der einzige Weg, Missbrauch und Delikte zu bekämpfen, die die großen globalen Unternehmen begehen können, führt über eine transnationale und integrierende Institution wie die EU“.
Am kritischsten sind wohl die Landwirte, im vergleichsweise wenig besiedelten Spanien ein mächtiger Sektor. Von Beginn an sorgte der „Butterberg“für Unverständnis. Dann der Milchpreis, jetzt sind es die verfaulenden Orangen, die in Valencia nicht mehr geerntet werden. Denn die EU hat die Zölle für den Import südafrikanischer Apfelsinen gesenkt, die nun den Markt überschwemmen.
Trotz allem hat die Umfrage für „El País“ergeben, dass 74 Prozent der Wähler die Vorteile, die die EU Spanien bringt, anerkennen. Die Wähler von PP, PSOE und Ciudadanos tun das zu über 86 Prozent. Bei Unidas Podemos sehen 70 Prozent die Zugehörigkeit zu Europa positiv, 15 Prozent kritisch. Unter Vox-Wählern sind über 74 Prozent für die EU.
Puigdemont im Parlament
23 Prozent der ERC-Anhänger sehen keinen Vorteil durch die EU, 13 Prozent wissen nicht, was sie von ihr halten sollen. ERC gehört zur Europäischen Freien Allianz (EFA). Ihr Spitzenkandidat ist der in U-Haft sitzende katalanische Unabhängigkeitsführer Oriol Junqueras. Er könnte wie auch der nach Belgien geflüchtete Carles Puigdemont ins Europa-Parlament gewählt werden. Da am Sonntag auch Landtags- und Kommunalwahlen stattfinden, könnte die Beteiligung an der Europa-Wahl in Spanien diesmal höher ausfallen.
Ohne EU wäre es unmöglich, Schritte gegen CO2-Ausstoß auch nur zu koordinieren