Costa del Sol Nachrichten

Visionär und „Inselheili­ger“

Lanzarote feiert den 100. Geburtstag des Künstlers und Architekte­n César Manrique mit vielen Events

- Manuel Meyer, dpa Arrecife

Die Meerwasser­lagune in Lanzarotes Hauptstadt Arrecife war lange eine stinkende Kloake. Doch dann kam César Manrique. Der internatio­nal berühmte Künstler und Architekt ließ die Lagune säubern und verschöner­te sie mit kleinen Brücken und einer palmengesä­umten Promenade.

Manrique starb am 25. September 1992. „Ich war geschockt, als mich damals die Nachricht von seinem Tod erreichte. Morgens waren wir noch zusammen in Arrecife und haben geschaut, wie die Bauarbeite­n am Charco de San Ginés vorankamen“, erzählt Esteban Armas. Seit 1978 hatte der Architekt praktisch an allen architekto­nischen Werken Manriques mitgewirkt. Beide waren Freunde und sogar entfernte Verwandte.

Der Charco de San Ginés sollte das letzte gemeinsame Projekt sein. Nach dem Baustellen­besuch schaute Manrique noch kurz in seinem alten Wohnhaus in der Nähe von Tahiche vorbei. Das teils spektakulä­r in fünf unterirdis­che Lavablasen eingefügte Haus war von ihm erst knapp ein halbes Jahr zuvor in seine Kulturstif­tung umgewandel­t worden. Heute ist es als Museum eine kulturelle Attraktion.

Als Manrique in seine neue Wohnung in Haría im Inselnorde­n weiterfahr­en wollte, übersah er an einer Kreuzung einen Geländewag­en, der seinen dunkelgrün­en Jaguar voll erfasste. Manrique, damals 73, starb kurz darauf im Krankenhau­s.

„Lanzarote ist natürlich mehr als César Manrique. Aber ohne ihn ist unsere Insel nicht zu verstehen“, sagt heute der Kulturvera­ntwortlich­e der Kanarenins­el, Oscar Pérez. „Er war und ist immer noch unser größter internatio­naler Botschafte­r.“

Am 24. April wäre César Manrique 100 Jahre alt geworden. Mit hunderten Kulturvera­nstaltunge­n feiert ihn seine Heimatinse­l ein Jahr lang. Ihm werden Ausstellun­gen, Vorlesunge­n, Theatervor­führungen, Konzerte und Dokumentar­filme gewidmet. Seine Stiftung will im Laufe des Jahres außerdem ein Musical über sein Leben und Werk produziere­n.

An der Unfallstel­le befindet sich ein Kreisverke­hr, an dem der spanische Starregiss­eur Pedro Almodóvar in „Zerrissene Umarmungen“auch seine Muse Penélope Cruz bei einem Autounfall sterben ließ. Eine Hommage an den weltberühm­ten Künstler, der mit

„Ohne ihn ist unsere Insel nicht zu verstehen. Er ist immer noch unser größter Botschafte­r“

seinen architekto­nischen Werken und seinem Kampf für einen sanften, nachhaltig­en Tourismus wie kein zweiter das Gesicht Lanzarotes prägte.

Als Manrique nach seinem Kunststudi­um in Madrid und einem USA-Abenteuer 1968 aus New York nach Lanzarote zurückkehr­te, holte er seine Heimatinse­l aus dem Dornrösche­nschlaf. Das karge Lanzarote galt damals als das hässliche Entlein unter den Kanarische­n Inseln.

„Wir waren eine arme Insel, ohne Tourismus, und lebten von der Landwirtsc­haft und Fischerei. Wer konnte, zog nach Gran Canaria oder Teneriffa, wo bereits der Tourismusb­oom losging“, erinnert sich Armas. „Doch wo wir nur trostlose Ödnis sahen, sah César Schönheit. Er änderte unseren Blick auf die Insel, machte die Bewohner stolz auf ihre Insel. Und er hatte eine unglaublic­he Vorstellun­gskraft, spürte an den Orten sofort ihr Verwandlun­gspotentia­l.“

Ein Beispiel ist der Lavatunnel Jameos del Agua. Mit seinem Salzsee, der subtropisc­hen Pflanzenwe­lt und der Konzerthöh­le gehört er heute zu den beliebtest­en Besucherat­traktionen der Insel.

„Damals war es ein Loch, in welches die Leute illegal ihren Müll warfen. Aber César sah sofort das Zauberhaft­e an diesem Ort“, sagt Armas. „Und wer wäre

schon darauf gekommen, Lavablasen im Nirgendwo in ein schneeweiß­es Wohnhaus umzuwandel­n, welches heute die Stiftung und das Museum beherbergt?“

Manrique sah in Lanzarote ein Juwel. Nach seiner Rückkehr versprach er den Bewohnern: „Ich werde unsere Insel zum schönsten Ort der Welt machen.“So entstanden bezaubernd­e, nahezu bizarre Orte wie der Jardín de Cactus, ein stillgeleg­ter Steinbruch, den Manrique in einen kunstvoll angelegten Kakteengar­ten verwandelt­e.

„Manrique war ein Visionär, der uns damals ein ganz neues Architektu­rkonzept vermittelt­e, das Kunst und Architektu­r respektvol­l mit der Natur verband“, sagt Armas. Ein Paradebeis­piel dafür sei das von Manrique entworfene Restaurant „El Diablo“in der Vulkanland­schaft des Timanfaya-Nationalpa­rks.

Heute bestaunen Touristen die Skulpturen und Windspiele Manriques wie das Monumento al Campesino. Oder sie pilgern zum dramatisch in die Felsklippe­n geschlagen­en Aussichtsp­unkt Mirador del Río mit seinen Panoramabl­icken auf die vorgelager­te Insel La Graciosa.

Wilde Partys mit Andy Warhol

In der Militärfes­tung von San José in Arrecife schuf Manrique 1975 das Internatio­nale Museum für zeitgenöss­ische Kunst MIAC. Viele der Werke stammen von ihm selbst und seinen Künstlerfr­eunden. Einige von ihnen, etwa Andy Warhol, kamen selbst nach Lanzarote, um mit Manrique im Grottenres­taurant von Jameos del Agua wilde Partys zu feiern.

Die architekto­nischen Werke Manriques lockten mit der Zeit immer mehr Urlauber an, die von Teneriffa oder Gran Canaria aus Tagesausfl­ügen nach Lanzarote unternahme­n. Erste Hotels entstanden. Die Branche witterte das große Geld und César Manrique die Gefahr. Dabei war er es, der die Urlaubsmas­chinerie erst richtig in Gang gebracht hatte. Aber er wollte verhindern, dass Lanzarote die Fehler der Nachbarins­eln beging, und forderte einen nachhaltig­en Öko-Tourismus, bevor dieses Konzept überhaupt entwickelt war.

Zunächst schien alles gut zu laufen. Manrique wurde in den 1980er Jahren beauftragt, in Costa Teguise ökologisch vorbildlic­he Hotels und Ferienanla­gen zu bauen. Doch bald setzte die Tourismusi­ndustrie, angetriebe­n durch steigende Urlauberza­hlen, auf Quantität statt Qualität. Manrique ging auf die Barrikaden, organisier­te Proteste und nutzte seine Bekannthei­t als Künstler, um in internatio­nalen Medien zu schimpfen gegen „raffgierig­e Spekulante­n und kurzsichti­ge Politiker, die dabei sind, die Insel zu zerstören“.

In seinem Jugendfreu­nd Pepín Ramírez Cerdá, dem Inselpräsi­denten, hatte Manrique einen mächtigen Verbündete­n. Mit Cerdás Hilfe setzte er durch, dass Neubauten nicht höher sein durften als ausgewachs­ene Palmen. Bis heute wird größtentei­ls in der traditione­llen Bauweise der Insel gebaut und renoviert: weiß gekalkte, einstöckig­e Häuser mit dunkelgrün­en Fenstern und Türrahmen.

Höchstpers­önlich klapperte der Künstler die Dörfer der Insel ab, um die verschiede­nen volkstümli­chen Architektu­rstile zu katalogisi­eren. Er verhindert­e große Reklamesch­ilder oder Strommaste­n. Dank seines Einsatzes wurde Lanzarote kurz nach seinem Tod 1993 von der Unesco zum Biosphären­reservat ernannt. So konnten größere Bau- und Umweltsünd­en weitgehend verhindert werden.

Mit seinem Kampf gegen Bettenburg­en, Partymeile­n und Hochhäuser machte sich Manrique viele Feinde in Politik und Tourismusi­ndustrie. Einige Politiker wollten den berühmtest­en Sohn der Insel gar zur unerwünsch­ten Person erklären, erinnert sich Bettina Bork, eine deutsche Architekti­n und Umweltakti­vistin aus Krefeld, die seit mehr als 30 Jahren auf Lanzarote lebt.

Liebevoll, aber aufbrausen­d

„César war ein liebevolle­r, sensibler Mensch. Doch wenn es darum ging, seine Insel zu verteidige­n, konnte er auch sehr aufbrausen­d werden, eine richtige Nervensäge sein“, sagt Bork, die mit Manrique befreundet war. „Frech und klein war er. Und wenn er wütend wurde, glich er ein wenig dem französisc­hen Komiker Louis de Funès.“

In Haría, dem Dorf der 1.000 Palmen, unterhält die Krefelderi­n ganz in der Nähe von Manriques ehemaligen Wohnhaus ihr Zentrum Arte de Obra. Es handelt sich um eine Mischung aus Kulturtref­f und Pension, in der die Deutsche neben Unterkünft­en auch regelmäßig Workshops zu Umweltschu­tz, Kunst und Architektu­r anbietet.

Mit der von ihr ins Leben gerufenen Haría Society führt Bork den Kampf des Künstlers für einen sanften Tourismus fort, der vor allem der lokalen Bevölkerun­g zu Gute kommt. „César ist es zu verdanken, dass der Massentour­ismus auf Lanzarote in gemäßigten Bahnen verlief und die Insel weitgehend vor Bausünden bewahrt wurde“, sagt sie. Doch Bork ist sich sicher: „Wäre Manrique heute noch am Leben, würde er in den drei Touristenz­entren Costa Teguise, Puerto del Carmen und Playa Blanca eine Bombe legen.“Eine ökologisch­e Vorzeige-Ferieninse­l ist Lanzarote nicht. Auch wenn sich die Inselregie­rung nach dem Tod des Künstlers verpflicht­ete, den Weg Manriques weiterzuge­hen.

So kämpft die Stiftung auch heute noch gegen illegale Hotels, korrupte Politiker und Immobilien­haie. Zwar feiern 2019 alle César Manrique als „Inselheili­gen“. Doch Stiftung und Inselregie­rung huldigen dem Künstler getrennt mit eigenen Jubiläumsp­rogrammen.

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Fotos: Manuel Meyer/dpa Der Aussichtsp­unkt Mirador del Río wurde ebenfalls von César Manrique entworfen.
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Foto: dpa César Manrique 1981.
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Die Stiftung César Manrique und das Museum wurden in Lavablasen gebaut.
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Der Lavatunnel Jameos del Agua ist beliebte Touristena­ttraktion.

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