König in Rente
Juan Carlos I. zieht sich komplett aus dem öffentlichen Leben zurück
Zugunsten seines Sohnes Felipe hatte Juan Carlos I. schon vor fünf Jahren abgedankt. Als emeritierter Monarch blieb er indes wichtiges Mitglied des spanischen Königshauses. Als solches nahm er auch weiterhin repräsentative Aufgaben eines Staatschefs wahr. Nun aber hat der 81-Jährige beschlossen, endgültig in den Ruhestand zu treten und sich fortan auf sein Privatleben zu beschränken. Der Grund dafür dürfte der gleiche sein wie bei seiner Abdankung, nämlich Schaden von der Krone abzuwenden, da sein Ansehen zuletzt wegen einiger Fehltritte stark gelitten hat.
Madrid – dpa/sk. Ex-König Juan Carlos sagt „Adiós“, und er tut das auf seine unverkennbare Art: Der 81-Jährige nimmt in einer Stierkampfarena Abschied vom öffentlichen Leben. Fünf Jahre nach seiner Abdankung, ging der emeritierte Monarch am Sonntag endgültig in den Ruhestand und übernimmt seitdem – angeblich auf eigenen Wunsch – keine repräsentativen Aufgaben mehr für das Königshaus. Zur Feier des Tages ging der Bourbone einer seiner großen Passionen nach und besuchte in Aranjuez bei Madrid als Ehrenvorsitzender die traditionsreiche „Corrida de San Fernando“.
Der Abgang hat durchaus Symbolkraft. Denn Juan Carlos einte früher, aber spaltet heute. Die jüngeren Generationen sehen in ihm oft nur einen abgehalfterten Skandalkönig mit einem von Kortison aufgeblähten Gesicht, der 2012 in Botsuana mit dem Jagdgewehr vor einem erlegten Elefanten posierte, sich auf Steuerkosten auf Segelregatten und Corridas herumtreibt, High-Society-Schönheiten hinterhersteigt und nun – bevor weitere pikante Details ans Licht der Öffentlichkeit gelangen – in den Ruhestand befördert wird, um Krone, Monarchie und den eigenen Sohn und Nachfolger vor weiterem Schaden zu bewahren.
Wer aber Franco und die Diktatur erlebt hat, sieht den scheidenden König oft mit anderen Augen. Schließlich war die ältere Generation dabei, als der damals junge Monarch die noch jüngere Demokratie durch die turbulente Zeit der Transición führte, also jene Epoche, die den Übergang von der Diktatur zu Demokratie markierte, die von ETA-Anschlägen, politischen Schlachten und wirtschaftlichen Krisen und einem neuen, aber in ständiger Gefahr schwebenden Gefühl der Freiheit geprägt war. So etwa hört es sich an, wenn Vicente Navarro de Luján für diese Generation in der Zeitung „Las Provincias“über den König urteilt:
„Es ist wie wahr, dass unsere Volksseele schneller ein Urteil fällt als die Absolution erteilt, dass in uns etwas von der Strenge wohnt, die uns erbarmunglos mit Fehltritten anderer und sehr nachsichtig mit den eigenen umgehen lässt, aber ich glaube, dass in diesem Moment, in denen der Protagonist dieser Zeilen aus freien Stücke seine ausgedehnte Präsenz in unserem öffentlichen Leben beendet, ihm für das Geleistete eine gewisse Dankbarkeit gebührt, die ohne Zweifel alle meiner Generation und alle die teilen, die diese stürmischen Jahre des Übergangs, der Besorgnis und der Angst erlebten, die am Ende doch zu Zeiten der Hoffnung wurden. Danke Majestät. Hoffentlich werden diejenigen, die jetzt diese Verdienste in den vergangenen 40 Jahren nicht zu würdigen wissen, nicht einmal voller Nostalgie ihrer gedenken müssen.“
Jungen Leuten fehlt oft jeder Bezug dazu, dass Juan Carlos viele Jahre als „Retter der spanischen Demokratie“gefeiert wurde und den als 23-F bezeichneten Putsch vereitelte. Nur gute fünf Jahre nach dem Tod von Diktator Francisco Franco stürmte am 23. Februar 1981 eine Gruppe von 200 Guardia Civiles um den Offizier Antonio Tejero das Parlament, um die Investitur von Leopoldo Calvo-Sotelo, Nachfolger des just zurückgetretenen Adolfo Suárez, zu verhindern.
Gleichzeitig marschierten die Truppen von Generalmayor Jaime Milans del Bosch in Valencia ein und verhängten den Ausnahmezustand. Das Militär von Sevilla, Barcelona, Zaragoza und Valencia stand hinter der Ernennung von Milans del Bosch zum Regierungspräsidenten und der Konstituierung einer provisorischen Regierung. Nicht aber König Juan
Rubalcabas täglicher Rapport zu Olympia: „Majestät, heute haben wir Medaillenchancen...“
Carlos: Der setzte sich in der Uniform des Generalmayors der Streitkräfte vor die Fernsehkameras und verlas die heute historische Erklärung, in der er die freiheitliche Verfassung als einzig gültige Rechtsordnung beschwor.
„Die Krone als Symbol des Bestands und der Einheit des Vaterlands kann in keinster Weise irgendwelche Handlungen oder Haltungen von Personen tolerieren, die mit Gewalt einen demokratischen Prozess unterbrechen, der von der vom spanischen Volk in einem Referendum gewählten Verfassung bestimmt wird.“Minuten darauf ordnete König Juan Carlos persönlich Milans del Bosch an, die Truppen abzuziehen. Mit seinem vielleicht bedeutendsten Auftritt konnte König Juan Carlos die damals junge Demokratie vor einem Schicksal wie Frankreich unter DeGaulle bewahren. Obwohl bis heute strittig ist, inwieweit der Monarch über die Putschpläne im Bilde war.
Fehltritte ramponieren Image
An den selbstsicheren und zackigen 1,88-Meter-Mann von damals erinnert heute nur noch wenig. Nach zahlreichen Operationen an Knie, Hüfte, Bandscheibe und Lunge alterte der Adlige zuletzt rapide. Juan Carlos geht seit Jahren nur noch mit Hilfe eines Stocks und vornübergebeugt. Oft wird er von Leibwächtern oder Begleitern gestützt. Bei jüngsten kurzen Auftritten vor TV-Kameras wirkte er zerstreut, verstand häufig Fragen von Journalisten falsch oder gar nicht. Allerdings ramponierten weder der Alterungsprozess noch Krankheiten das Image von Juan Carlos und der Casa Real so gewaltig wie seine Fehltritte.
Vor Jahren erwies der Monarch aber durchaus staatsmännisches Gespür, lenkte mit intuitiver Sicherheit die Geschicke des Landes in die richtigen Bahnen. So drifete er schnell von Francos Plänen ab und leitete gegen den Widerstand
des Regimes einen Demokratisierungsprozess ein, in dem er den Ministerpräsidenten von Francos Gnaden, Carlos Arias Navarro, entließ und den reformfreudigen Adolfo Suárez zum jüngsten Ministerpräsidenten machte. Suárez genießt bis heute großes Ansehen in der Bevölkerung und wird von der Volkspartei gerne als geistiger Gründungsvater beschworen.
Unter Juan Carlos’ Federführung wurde Spanien zu einem sozialen und demokratischen Rechtsstaat, Parteien und Gewerkschaften wurden zugelassen, die Parlamentswahlen von 1977 eingeleitet und die Verfassung von 1978 und der EU-Beitritt auf den Weg gebracht.
Sein Beitrag zu diesen heute als selbstverständlich hingenommenen demokratischen Errungenschaften sichert Juan Carlos einen Platz in den Geschichtsbücher zu.
An seinem Ansehen kratzten jedoch die angeblichen Affären, Vaterschaftsklagen und Skandale wie die Elefantenjagd in Botsuana im Jahr 2012. Damals sägte die Umweltschutzorganisation WWF
Juan Carlos prompt als Ehrenpräsidenten ab, Frankreichs Film- und Tierschutz-Ikone Brigitte Bardot bezeichnete die Safari als „widerlich und unwürdig für eine Person Ihres Ranges“. Das in der Finanzkrise darbende Volk reagierte so verstört, dass der Regent öffentlich um Entschuldigung bat. Hinzu kamen Korruptionsaffären in der Familie, die den Beliebtheitsgrad des bis vor zehn Jahren recht populären Königshauses auf Tiefstwerte trieben und hinter Polizei, Armee und die Massenmedien platzierten – und das trotz des SaubermannRufs von Juan Carlos’ Sohn und Nachfolger Felipe VI.
Jahre zuvor schaffte es der joviale Lebemann Juan Carlos, einem unter dem nie aufgearbeiteten Trauma des Bürgerkriegs leidendem Land Optimismus und Glauben an die Zukunft einzuflößen. Der Monarch konnte sich auf Freundschaften mit dem Kommunistenführer Santiago Carillo ebenso berufen wie auf die von Industriellen und Wirtschaftsbossen wie etwa den Santander-Bankchef Emilio Botín.
Nicht nur in Spanien, sondern auch außerhalb, vor allem in Südamerika und den arabischen Ländern – vorneweg Marokko – kann Spanien nicht zuletzt wegen der Figur des Juan Carlos auf gute Beziehungen aufbauen. Und die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona verbinden viele immer noch
mit dem Aufbruch Spaniens in die Moderne. Legendär die überlieferten allmorgendlichen Anrufe des Sportministers Alfredo Pérez Rubalcaba: „Majestät, heute haben wir Medaillenchancen in...“.
Die Frage, warum nach der Abdankung am 2. Juni 2014 nun der Rückzug ins Privatleben folgt und inwiefern das seinem Willen entsprach, darüber scheiden sich die Geister. Kommt da wieder was hoch aus den Kloaken des erpresserischen Ex-Kommissars Villarejo über seine „Freundschaft“zu Corinna zu Sayn-Wittgenstein? Möchte man die Krone künftig vor groben Schnitzern wie dem Treffen mit dem Prinzen von Saudi-Arabien beim Großen Preis von Abu Dhabi inmitten des Skandals um die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi bewahren? Seit seiner Abdankung nahm Juan Carlos nur noch an etwa 120 institutionellen Akten teil – recht wenig im Vergleich zu seiner viel emsigeren, aber verlässlicheren Gattin Sofía.
Finanzielle Sorgen muss Juan Carlos sich in seinem neuen Rentnerdasein bei einem Jahresgehalt von 194.232 Euro wohl keine machen, langweilig dürfte es ihm bei all seinen Leidenschaften auch nicht werden. Bleibt aber abzuwarten, ob die Tritte ins Fettnäpfchen nur noch die Person Juan Carlos, aber nicht mehr die Institution der Monarchie beschädigen. Schließlich bleibt er „Rey emérito“.
„Die Krone kann keine Handlungen tolerieren, die mit Gewalt einen demokratischen Prozess unterbrechen“