Der Ziehsohn des Diktators
Vom König von Francos Gnaden zur Gallionsfigur der spanischen Demokratie
Als Juan Carlos am 5. Januar 1938 im römischen Exil geboren wurde, sah es überhaupt nicht danach aus, dass der kleine Bourbonen-AnjouPrinz jemals König von Spanien werden würde. Die Geschichte und seine eigene Familie sprachen dagegen. Sein Großvater, Alfonso XIII., wurde 1931 durch die Zweite Republik entthront, und während Juan Carlos in den Windeln lag, lag diese in ihren letzten Zügen gegen die Putschisten Francos.
Franco machte keine Anstalten, wieder eine Monarchie zuzulassen. 1941 rang er Alfonso Wochen vor dessen Tod einen offiziellen Thronverzicht ab. Im Gegenzug erhielt der Adel Garantien wie die Unantastbarkeit seiner Besitztümer – vorausgesetzt, die Blaublüter stellten Francos Alleinherrschaft nicht in Frage. Für die Bourbonen hieß das Exil. Zunächst Mussolinis Italien, dann die Schweiz, zuletzt Estoril in Portugal. Juan Carlos wurde im Familienkreis unterrichtet, die Nanny war Französin, seine Mutter Britin, seine Großmutter Deutsche (sein Urgroßvater mütterlicherseits war Kaiser Wilhelm II.) Er wuchs in Internaten auf, etwa im schweizerischen Fribourg.
Der Vater, Don Juan de Borbón, Conde de Barcelona, bat aus dem Exil heraus sogar bei Hitler um Hilfe, um in Spanien wieder eine Monarchie zu installieren. Mit Manifesten und Geheimabsprachen mit den Alliierten versuchte Don Juan dann die aus seiner Sicht gottgewollte Ordnung wiederherzustellen. Damit katapultierte er sich bei Franco ins Abseits.
Der Diktator regelte die Nachfolge auf seine Weise. Er „adoptierte“Juan Carlos mit dem Hintergedanken, über die Installation eines Königs eine Dynastie von seinen Gnaden zu etablieren. Und so machte er Don Juan ein Angebot, das dieser nicht ablehnen konnte: Die Rückkehr der Monarchie nach seinem Tode gegen die Auslieferung des Sohnes.
Mit zehn Jahren betrat Juan Carlos erstmals spanischen Boden. Franco ließ ihn abgeschirmt in San Sebastián und Madrid in Internaten ausbilden. „Sie errichteten eine Schule (Las Jarillas) für mich, wir waren acht Kinder. Am Wochenende kamen die Familien der anderen, ich blieb allein“, erinnert sich Juan Carlos in einem Interview 2016. Seine Lehrer rekrutierten sich aus Angehörigen des erzkatholischen Opus Dei, seine Mitschüler
stammten aus den einflussreichsten Familien des Regimes.
An die Treffen mit Franco erinnert sich Juan Carlos folgendermaßen: „Franco beobachtete mich ständig, ich versuchte, natürlich zu wirken. Er sprach wenig mit mir, wir haben uns auch unterhalten, gelacht, mit mir war er offener als mit anderen.“Später schickte man ihn in die Militärschulen, zum Heer nach Zaragoza, zur Marine in Pontevedra und den Luftstreitkräften in San Javier. „Erst in der Milipern
tärakademie lernte ich wirklich Leute kennen, aus allen Teilen und Schichten“. Und erst im Studium „sah ich auch, dass es Menschen gab, die für und die gegen das Regime waren“, sagt Juan Carlos.
Die Ferien verbrachte er anfänglich bei der Familie in Portugal, aber immer öfter auch im aristokratischen Jetset, wo er wohl nichts anbrennen ließ. Juan Carlos lebte in zwei surrealen Welten: In Spanien die strenge, nationalkatholische Erziehung, dort das Schnupeiner freien Welt. Seinen Kreisen blieb Juan Carlos verhaftet. Beide lassen Rückschlüsse auf sein späteres Verhalten zu: Sowohl sein Bekenntnis zur Demokratie als auch seine oftmals lächerlichen Eskapaden als „Lebemann“.
Tod von Alfonsito
1956 starb Juan Carlos’ kleinerer Bruder Alfonsito mit 14 Jahren bei einem tragischen Unfall mit einer Pistole in Portugal, wobei Juan Carlos anwesend war. Das traumatische Erlebnis liefert bis heute Stoff für finstere Legenden. 1962 heiratete Juan Carlos Sofía, die Tochter der Königin von Griechenland und Dänemark und verfestigte die Bande der europäischen Königshäuser. Denn Sofías Familie ist über die Linie Hannover-Braunschweig eng mit den Thronen in Preußen, Britannien und sogar mit dem Zarenreich verbandelt. Über die Battenbergs sind beide Vorfahren sogar Verwandte, beider Stammbäume bilden also letztlich einen Kreis.
1969 dann, Juan Carlos war 30 Jahre alt, wurde die Nachfolge Francos offiziell verkündet. Der Prinz würde als König und Staatsoberhaupt nach dem Tode Francos inthronisiert. Aber das war noch nicht das Ende der Geschichte, denn 1972 heiratete Francos Enkelin, Carmen Martínez-Bordiú, Juan Carlos’ Onkel, Alfonso de Borbón, in der Hoffnung, ein Königshaus Borbón-Franco schaffen zu können (siehe Kasten). Doch Carmens Schachzug kam zu spät. Franco vertraute darauf, Juan Carlos ausreichend geformt zu haben, damit dieser sein politisches Erbe antrete.
1974 arbeitete Juan Carlos bereits einige Monate als Praktikanten-Staatschef und ersetzte den schwer erkrankten Diktator zumindest intern. Am 20. November 1975 wurde Franco für tot erklärt, am 22. November Don Juan Carlos durch das „Parlament“zum König ernannt, einige Tage später auch gekrönt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Schaffung eines neuen Titels, des Duque de Franco, für dessen Tochter. Alles hatte seinen Preis. Die Bourbonen, in der Geschichte dreimal abgesetzt, saßen wieder auf dem Thron. Aber am Ruder waren sie nicht mehr.